Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite



erfreueten Wilhelminen ungemein, welche ihn als
ihren würdigen Erben ansahe, obgleich Sebaldus
ein wenig darüber deu Kopf schüttelte, und die Hof-
nung, die er sich seit zehen Jahren gemacht hatte,
ihn zum Adjunkt seiner Pfarre zu bekommen, beinahe
aufzugeben anfing.

Etwa sechs Jahre nach der Geburt des Sohnes,
eben als die Zuneigung zwischen Sebaldus und Wil-
helminon
zur wärmsten Zärtlichkeit gestiegen war,
wurden sie mit einer Tochter erfreut, die den Namen
Mariane bekam. Sie war von ihrer ersten Jugend
an, der Gegenstand der väterlichen und mütterlichen
Zärtlichkeit. Besonders wendete Wilhelmine ihre
ganze Sorgfalt auf die Erziehung ihrer Tochter. Sie
unterwies sie in allen weiblichen Arbeiten und in der
französischen Sprache, ihr Vater war ihr Lehrer
in der Geschichte und Erdbeschreibung, und beide
vergaßen nichts um den Geist und das Herz dieser gelieb-
ten Tochter zu bilden. Als Mariane sechszehn Jahre
alt war, hatte sie die besten deutschen und fran-
zösischen Schriftsteller gelefen. Wenn ihre häus-
lichen Geschäfte geendigt waren, so war ihr Amt
wechselsweise ihrer Mutter vorzulesen, oder auf dem
Claviere zu spielen, worauf ihr Vater ihr erster Lehr-
meister gewesen war, und ihr eigner Fleiß sie zu meh-

rerer
Erster Theil. B



erfreueten Wilhelminen ungemein, welche ihn als
ihren wuͤrdigen Erben anſahe, obgleich Sebaldus
ein wenig daruͤber deu Kopf ſchuͤttelte, und die Hof-
nung, die er ſich ſeit zehen Jahren gemacht hatte,
ihn zum Adjunkt ſeiner Pfarre zu bekommen, beinahe
aufzugeben anfing.

Etwa ſechs Jahre nach der Geburt des Sohnes,
eben als die Zuneigung zwiſchen Sebaldus und Wil-
helminon
zur waͤrmſten Zaͤrtlichkeit geſtiegen war,
wurden ſie mit einer Tochter erfreut, die den Namen
Mariane bekam. Sie war von ihrer erſten Jugend
an, der Gegenſtand der vaͤterlichen und muͤtterlichen
Zaͤrtlichkeit. Beſonders wendete Wilhelmine ihre
ganze Sorgfalt auf die Erziehung ihrer Tochter. Sie
unterwies ſie in allen weiblichen Arbeiten und in der
franzoͤſiſchen Sprache, ihr Vater war ihr Lehrer
in der Geſchichte und Erdbeſchreibung, und beide
vergaßen nichts um den Geiſt und das Herz dieſer gelieb-
ten Tochter zu bilden. Als Mariane ſechszehn Jahre
alt war, hatte ſie die beſten deutſchen und fran-
zoͤſiſchen Schriftſteller gelefen. Wenn ihre haͤus-
lichen Geſchaͤfte geendigt waren, ſo war ihr Amt
wechſelsweiſe ihrer Mutter vorzuleſen, oder auf dem
Claviere zu ſpielen, worauf ihr Vater ihr erſter Lehr-
meiſter geweſen war, und ihr eigner Fleiß ſie zu meh-

rerer
Erſter Theil. B
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0037" n="17"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
erfreueten <hi rendition="#fr">Wilhelminen</hi> ungemein, welche ihn als<lb/>
ihren wu&#x0364;rdigen Erben an&#x017F;ahe, obgleich <hi rendition="#fr">Sebaldus</hi><lb/>
ein wenig daru&#x0364;ber deu Kopf &#x017F;chu&#x0364;ttelte, und die Hof-<lb/>
nung, die er &#x017F;ich &#x017F;eit zehen Jahren gemacht hatte,<lb/>
ihn zum Adjunkt &#x017F;einer Pfarre zu bekommen, beinahe<lb/>
aufzugeben anfing.</p><lb/>
          <p>Etwa &#x017F;echs Jahre nach der Geburt des Sohnes,<lb/>
eben als die Zuneigung zwi&#x017F;chen <hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> und <hi rendition="#fr">Wil-<lb/>
helminon</hi> zur wa&#x0364;rm&#x017F;ten Za&#x0364;rtlichkeit ge&#x017F;tiegen war,<lb/>
wurden &#x017F;ie mit einer Tochter erfreut, die den Namen<lb/><hi rendition="#fr">Mariane</hi> bekam. Sie war von ihrer er&#x017F;ten Jugend<lb/>
an, der Gegen&#x017F;tand der va&#x0364;terlichen und mu&#x0364;tterlichen<lb/>
Za&#x0364;rtlichkeit. Be&#x017F;onders wendete <hi rendition="#fr">Wilhelmine</hi> ihre<lb/>
ganze Sorgfalt auf die Erziehung ihrer Tochter. Sie<lb/>
unterwies &#x017F;ie in allen weiblichen Arbeiten und in der<lb/>
franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Sprache, ihr Vater war ihr Lehrer<lb/>
in der Ge&#x017F;chichte und Erdbe&#x017F;chreibung, und beide<lb/>
vergaßen nichts um den Gei&#x017F;t und das Herz die&#x017F;er gelieb-<lb/>
ten Tochter zu bilden. Als <hi rendition="#fr">Mariane</hi> &#x017F;echszehn Jahre<lb/>
alt war, hatte &#x017F;ie die be&#x017F;ten deut&#x017F;chen und fran-<lb/>
zo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Schrift&#x017F;teller gelefen. Wenn ihre ha&#x0364;us-<lb/>
lichen Ge&#x017F;cha&#x0364;fte geendigt waren, &#x017F;o war ihr Amt<lb/>
wech&#x017F;elswei&#x017F;e ihrer Mutter vorzule&#x017F;en, oder auf dem<lb/>
Claviere zu &#x017F;pielen, worauf ihr Vater ihr er&#x017F;ter Lehr-<lb/>
mei&#x017F;ter gewe&#x017F;en war, und ihr eigner Fleiß &#x017F;ie zu meh-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Er&#x017F;ter Theil.</hi> B</fw><fw place="bottom" type="catch">rerer</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0037] erfreueten Wilhelminen ungemein, welche ihn als ihren wuͤrdigen Erben anſahe, obgleich Sebaldus ein wenig daruͤber deu Kopf ſchuͤttelte, und die Hof- nung, die er ſich ſeit zehen Jahren gemacht hatte, ihn zum Adjunkt ſeiner Pfarre zu bekommen, beinahe aufzugeben anfing. Etwa ſechs Jahre nach der Geburt des Sohnes, eben als die Zuneigung zwiſchen Sebaldus und Wil- helminon zur waͤrmſten Zaͤrtlichkeit geſtiegen war, wurden ſie mit einer Tochter erfreut, die den Namen Mariane bekam. Sie war von ihrer erſten Jugend an, der Gegenſtand der vaͤterlichen und muͤtterlichen Zaͤrtlichkeit. Beſonders wendete Wilhelmine ihre ganze Sorgfalt auf die Erziehung ihrer Tochter. Sie unterwies ſie in allen weiblichen Arbeiten und in der franzoͤſiſchen Sprache, ihr Vater war ihr Lehrer in der Geſchichte und Erdbeſchreibung, und beide vergaßen nichts um den Geiſt und das Herz dieſer gelieb- ten Tochter zu bilden. Als Mariane ſechszehn Jahre alt war, hatte ſie die beſten deutſchen und fran- zoͤſiſchen Schriftſteller gelefen. Wenn ihre haͤus- lichen Geſchaͤfte geendigt waren, ſo war ihr Amt wechſelsweiſe ihrer Mutter vorzuleſen, oder auf dem Claviere zu ſpielen, worauf ihr Vater ihr erſter Lehr- meiſter geweſen war, und ihr eigner Fleiß ſie zu meh- rerer Erſter Theil. B

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/37
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/37>, abgerufen am 03.12.2024.