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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

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Stimme allezeit einen halben Ton höher gestimmet,
als anderer Leute Stimme, und hatte dabey etwas
quäckendes, daß man glaubte einen Staar zu hören.
Er ließ sich durch den Bauer der ihn gefahren hatte
aumelden, stieg nach empfangener Antwort langsam
aus dem Wagen, und schritte fort, bis er ins Zim-
mer kam, wo ihn Sebaldus und Mariane em-
pfiengen. Er legte seinen Hut vor seinen Bauch, und
beide Hände in den Hut, grüßte die Awesenden mit
einem halbtiefen Bücklinge ohne Haupt und Füsse zu
bewegen und ohne ein Wort zu sprechen, setzte
sich, und nach verschiedenen Hem, Hem, ließ er sich
folgendermaßen aus: "Da ich den göttlichen Beruf
"erhalten habe, die Seelen dieses Dorfs als ein treuer
"Hirte zu weiden, so wird es dann wohl nöthig seyn,
"daß mir dieses Pfarrhaus als meine künftige Woh-
"nung sogleich geräumet werde, sintemahl ich in dem
"Herrn entschlossen bin, mein Amt unverzüglich anzu-
"treten, und zu dem Ende noch anheute, auf meine
"nächstens zu haltende Antrittspredigt zu studieren."
Sebaldus stellte ihm vor, daß es unmöglich seyn
würde, das Haus zu räumen, um so viel mehr, da
seine Frau diese Nacht krank worden wäre. Tuffe-
lius
antwortete sehr trocken: "Die Jhnen in Person
"vorgelesene Sentenz enthält deutlich, daß sie die

Pfarr-



Stimme allezeit einen halben Ton hoͤher geſtimmet,
als anderer Leute Stimme, und hatte dabey etwas
quaͤckendes, daß man glaubte einen Staar zu hoͤren.
Er ließ ſich durch den Bauer der ihn gefahren hatte
aumelden, ſtieg nach empfangener Antwort langſam
aus dem Wagen, und ſchritte fort, bis er ins Zim-
mer kam, wo ihn Sebaldus und Mariane em-
pfiengen. Er legte ſeinen Hut vor ſeinen Bauch, und
beide Haͤnde in den Hut, gruͤßte die Aweſenden mit
einem halbtiefen Buͤcklinge ohne Haupt und Fuͤſſe zu
bewegen und ohne ein Wort zu ſprechen, ſetzte
ſich, und nach verſchiedenen Hem, Hem, ließ er ſich
folgendermaßen aus: „Da ich den goͤttlichen Beruf
„erhalten habe, die Seelen dieſes Dorfs als ein treuer
„Hirte zu weiden, ſo wird es dann wohl noͤthig ſeyn,
„daß mir dieſes Pfarrhaus als meine kuͤnftige Woh-
„nung ſogleich geraͤumet werde, ſintemahl ich in dem
„Herrn entſchloſſen bin, mein Amt unverzuͤglich anzu-
„treten, und zu dem Ende noch anheute, auf meine
„naͤchſtens zu haltende Antrittspredigt zu ſtudieren.‟
Sebaldus ſtellte ihm vor, daß es unmoͤglich ſeyn
wuͤrde, das Haus zu raͤumen, um ſo viel mehr, da
ſeine Frau dieſe Nacht krank worden waͤre. Tuffe-
lius
antwortete ſehr trocken: „Die Jhnen in Perſon
„vorgeleſene Sentenz enthaͤlt deutlich, daß ſie die

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[45/0065] Stimme allezeit einen halben Ton hoͤher geſtimmet, als anderer Leute Stimme, und hatte dabey etwas quaͤckendes, daß man glaubte einen Staar zu hoͤren. Er ließ ſich durch den Bauer der ihn gefahren hatte aumelden, ſtieg nach empfangener Antwort langſam aus dem Wagen, und ſchritte fort, bis er ins Zim- mer kam, wo ihn Sebaldus und Mariane em- pfiengen. Er legte ſeinen Hut vor ſeinen Bauch, und beide Haͤnde in den Hut, gruͤßte die Aweſenden mit einem halbtiefen Buͤcklinge ohne Haupt und Fuͤſſe zu bewegen und ohne ein Wort zu ſprechen, ſetzte ſich, und nach verſchiedenen Hem, Hem, ließ er ſich folgendermaßen aus: „Da ich den goͤttlichen Beruf „erhalten habe, die Seelen dieſes Dorfs als ein treuer „Hirte zu weiden, ſo wird es dann wohl noͤthig ſeyn, „daß mir dieſes Pfarrhaus als meine kuͤnftige Woh- „nung ſogleich geraͤumet werde, ſintemahl ich in dem „Herrn entſchloſſen bin, mein Amt unverzuͤglich anzu- „treten, und zu dem Ende noch anheute, auf meine „naͤchſtens zu haltende Antrittspredigt zu ſtudieren.‟ Sebaldus ſtellte ihm vor, daß es unmoͤglich ſeyn wuͤrde, das Haus zu raͤumen, um ſo viel mehr, da ſeine Frau dieſe Nacht krank worden waͤre. Tuffe- lius antwortete ſehr trocken: „Die Jhnen in Perſon „vorgeleſene Sentenz enthaͤlt deutlich, daß ſie die Pfarr-

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/65>, abgerufen am 14.05.2024.