Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite



"wohnung sogleich räumen sollen, und es muß jeder
"Christ der Obrigkeit unterthan seyn, die Gewalt
"über ihn hat, ich rathe Jhnen also wohlmeinend an,
"sich zu hüten, daß Sie nicht einst zu einem Beispiele
"angefühet werden, wie die Abweichung von der rei-
"nen Lehre, auch zuletzt Rebellion wider die Obrigkeit
"hervorbringt." Sebaldus war durch diese Rede so
sehr zum Erstaunen gebracht, daß er den Mag. Tuf-
felius
mit starren Augen ansahe, und stillschwieg.
Mariane aber nahm das Wort, und sagte mit sanf-
ter und zitternder Stimme zu Tuffelius: "Wir sind
"nicht willens, uns zu widersetzen, wir sind auch dazu
"viel zu schwach, wir verlangen nur so viel Zeit, als
"nöthig ist, um eine andere Wohnung zu suchen, dazu
"ist ein Tag zu kurz, zudem ist meine Mutter gefähr-
"lich krank worden. Ein Prediger ist Bothe des Frie-
"dens, er soll Ruhe, Einigkeit und Wohlwollen be-
"fördern. Wollen Sie also wohl den Anfang Jh-
"res Predigtamts damit machen, daß sie eine äus-
"serst schwache Kranke aus dem Hause werfen?"
Tuffelius der mit seinen Augen bishero noch im-
mer unverwandt gerade vor sich weggesehen hatte,
richtete sie in einer mit dem Horizonte parallelen Linie
gegen Marianens Antlitz, runzelte die Stirn, zog
den Mund ein wenig in die Breite, und sagte mit

etwas



„wohnung ſogleich raͤumen ſollen, und es muß jeder
„Chriſt der Obrigkeit unterthan ſeyn, die Gewalt
„uͤber ihn hat, ich rathe Jhnen alſo wohlmeinend an,
„ſich zu huͤten, daß Sie nicht einſt zu einem Beiſpiele
„angefuͤhet werden, wie die Abweichung von der rei-
„nen Lehre, auch zuletzt Rebellion wider die Obrigkeit
„hervorbringt.‟ Sebaldus war durch dieſe Rede ſo
ſehr zum Erſtaunen gebracht, daß er den Mag. Tuf-
felius
mit ſtarren Augen anſahe, und ſtillſchwieg.
Mariane aber nahm das Wort, und ſagte mit ſanf-
ter und zitternder Stimme zu Tuffelius: „Wir ſind
„nicht willens, uns zu widerſetzen, wir ſind auch dazu
„viel zu ſchwach, wir verlangen nur ſo viel Zeit, als
„noͤthig iſt, um eine andere Wohnung zu ſuchen, dazu
„iſt ein Tag zu kurz, zudem iſt meine Mutter gefaͤhr-
„lich krank worden. Ein Prediger iſt Bothe des Frie-
„dens, er ſoll Ruhe, Einigkeit und Wohlwollen be-
„foͤrdern. Wollen Sie alſo wohl den Anfang Jh-
„res Predigtamts damit machen, daß ſie eine aͤuſ-
„ſerſt ſchwache Kranke aus dem Hauſe werfen?‟
Tuffelius der mit ſeinen Augen bishero noch im-
mer unverwandt gerade vor ſich weggeſehen hatte,
richtete ſie in einer mit dem Horizonte parallelen Linie
gegen Marianens Antlitz, runzelte die Stirn, zog
den Mund ein wenig in die Breite, und ſagte mit

etwas
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0066" n="46"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x201E;wohnung &#x017F;ogleich ra&#x0364;umen &#x017F;ollen, und es muß jeder<lb/>
&#x201E;Chri&#x017F;t der Obrigkeit unterthan &#x017F;eyn, die Gewalt<lb/>
&#x201E;u&#x0364;ber ihn hat, ich rathe Jhnen al&#x017F;o wohlmeinend an,<lb/>
&#x201E;&#x017F;ich zu hu&#x0364;ten, daß Sie nicht ein&#x017F;t zu einem Bei&#x017F;piele<lb/>
&#x201E;angefu&#x0364;het werden, wie die Abweichung von der rei-<lb/>
&#x201E;nen Lehre, auch zuletzt Rebellion wider die Obrigkeit<lb/>
&#x201E;hervorbringt.&#x201F; <hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> war durch die&#x017F;e Rede &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ehr zum Er&#x017F;taunen gebracht, daß er den <hi rendition="#fr">Mag. Tuf-<lb/>
felius</hi> mit &#x017F;tarren Augen an&#x017F;ahe, und &#x017F;till&#x017F;chwieg.<lb/><hi rendition="#fr">Mariane</hi> aber nahm das Wort, und &#x017F;agte mit &#x017F;anf-<lb/>
ter und zitternder Stimme zu <hi rendition="#fr">Tuffelius:</hi> &#x201E;Wir &#x017F;ind<lb/>
&#x201E;nicht willens, uns zu wider&#x017F;etzen, wir &#x017F;ind auch dazu<lb/>
&#x201E;viel zu &#x017F;chwach, wir verlangen nur &#x017F;o viel Zeit, als<lb/>
&#x201E;no&#x0364;thig i&#x017F;t, um eine andere Wohnung zu &#x017F;uchen, dazu<lb/>
&#x201E;i&#x017F;t ein Tag zu kurz, zudem i&#x017F;t meine Mutter gefa&#x0364;hr-<lb/>
&#x201E;lich krank worden. Ein Prediger i&#x017F;t Bothe des Frie-<lb/>
&#x201E;dens, er &#x017F;oll Ruhe, Einigkeit und Wohlwollen be-<lb/>
&#x201E;fo&#x0364;rdern. Wollen Sie al&#x017F;o wohl den Anfang Jh-<lb/>
&#x201E;res Predigtamts damit machen, daß &#x017F;ie eine a&#x0364;u&#x017F;-<lb/>
&#x201E;&#x017F;er&#x017F;t &#x017F;chwache Kranke aus dem Hau&#x017F;e werfen?&#x201F;<lb/><hi rendition="#fr">Tuffelius</hi> der mit &#x017F;einen Augen bishero noch im-<lb/>
mer unverwandt gerade vor &#x017F;ich wegge&#x017F;ehen hatte,<lb/>
richtete &#x017F;ie in einer mit dem Horizonte parallelen Linie<lb/>
gegen <hi rendition="#fr">Marianens</hi> Antlitz, runzelte die Stirn, zog<lb/>
den Mund ein wenig in die Breite, und &#x017F;agte mit<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">etwas</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0066] „wohnung ſogleich raͤumen ſollen, und es muß jeder „Chriſt der Obrigkeit unterthan ſeyn, die Gewalt „uͤber ihn hat, ich rathe Jhnen alſo wohlmeinend an, „ſich zu huͤten, daß Sie nicht einſt zu einem Beiſpiele „angefuͤhet werden, wie die Abweichung von der rei- „nen Lehre, auch zuletzt Rebellion wider die Obrigkeit „hervorbringt.‟ Sebaldus war durch dieſe Rede ſo ſehr zum Erſtaunen gebracht, daß er den Mag. Tuf- felius mit ſtarren Augen anſahe, und ſtillſchwieg. Mariane aber nahm das Wort, und ſagte mit ſanf- ter und zitternder Stimme zu Tuffelius: „Wir ſind „nicht willens, uns zu widerſetzen, wir ſind auch dazu „viel zu ſchwach, wir verlangen nur ſo viel Zeit, als „noͤthig iſt, um eine andere Wohnung zu ſuchen, dazu „iſt ein Tag zu kurz, zudem iſt meine Mutter gefaͤhr- „lich krank worden. Ein Prediger iſt Bothe des Frie- „dens, er ſoll Ruhe, Einigkeit und Wohlwollen be- „foͤrdern. Wollen Sie alſo wohl den Anfang Jh- „res Predigtamts damit machen, daß ſie eine aͤuſ- „ſerſt ſchwache Kranke aus dem Hauſe werfen?‟ Tuffelius der mit ſeinen Augen bishero noch im- mer unverwandt gerade vor ſich weggeſehen hatte, richtete ſie in einer mit dem Horizonte parallelen Linie gegen Marianens Antlitz, runzelte die Stirn, zog den Mund ein wenig in die Breite, und ſagte mit etwas

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/66
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/66>, abgerufen am 14.05.2024.