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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

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"merken Sie daraus, daß die Eingeweihten aller Orden
"Zeichen haben, die den Augen der Profanen entgehen.'

Sie setzten sich abermals auf eine Bank, und Herr
F. las, wie folget:

"Philipp Jakob Spener, ein gutmüthiger red-
"licher Mann, der, in einem Zeitalter voll theologi-
"sches Stolzes, und theologischer Zänkerey, beschei-
"den und friedliebend war, der, vorzüglich vor allen
"dogmatischen Spitzfündigkeiten, die er gern vermie-
"den hätte, und nach dem Genius seines Zeitalters
"nicht vermeiden konnte, die Rechtschaffenheit und
"die Lauterkeit des Herzens einschärfte, befliß sich
"nicht in seiner Kleidung etwas sonderliches zu ha-
"ben. Sein ehrwürdiges Haupt,*) um das seine sil-
"berweißen Haare in natürlichen Locken hinabhien-
"gen, wärmte ein kleines Kalottchen, und sein weit-
"gefalteter Mantel (die damals gewöhnliche Tracht
"der Gelehrten, die noch bis in das erste Viertheil
"dieses Jahrhunderts alle Schüler in Berlin trugen,)
"hieng, als eine brauchbare Bedeckung, ungekünstelt
"über die Schultern und Arme herab. Bald nach
"seiner Zeit, ward ein Theil der Berlinischen Geistlich-
"keit nach dem modischen Putze der Spanischen Pe-
"rücken**) lüstern, die sie so oft auf den Häuptern der
"Geheimenräthe und der Edelknaben, an dem prunk-

"vollen
*) Fig. 1.
**) Fig. 2.
G



”merken Sie daraus, daß die Eingeweihten aller Orden
Zeichen haben, die den Augen der Profanen entgehen.‛

Sie ſetzten ſich abermals auf eine Bank, und Herr
F. las, wie folget:

Philipp Jakob Spener, ein gutmuͤthiger red-
”licher Mann, der, in einem Zeitalter voll theologi-
”ſches Stolzes, und theologiſcher Zaͤnkerey, beſchei-
”den und friedliebend war, der, vorzuͤglich vor allen
”dogmatiſchen Spitzfuͤndigkeiten, die er gern vermie-
”den haͤtte, und nach dem Genius ſeines Zeitalters
”nicht vermeiden konnte, die Rechtſchaffenheit und
”die Lauterkeit des Herzens einſchaͤrfte, befliß ſich
”nicht in ſeiner Kleidung etwas ſonderliches zu ha-
”ben. Sein ehrwuͤrdiges Haupt,*) um das ſeine ſil-
”berweißen Haare in natuͤrlichen Locken hinabhien-
”gen, waͤrmte ein kleines Kalottchen, und ſein weit-
”gefalteter Mantel (die damals gewoͤhnliche Tracht
”der Gelehrten, die noch bis in das erſte Viertheil
”dieſes Jahrhunderts alle Schuͤler in Berlin trugen,)
”hieng, als eine brauchbare Bedeckung, ungekuͤnſtelt
”uͤber die Schultern und Arme herab. Bald nach
”ſeiner Zeit, ward ein Theil der Berliniſchen Geiſtlich-
”keit nach dem modiſchen Putze der Spaniſchen Pe-
”ruͤcken**) luͤſtern, die ſie ſo oft auf den Haͤuptern der
”Geheimenraͤthe und der Edelknaben, an dem prunk-

”vollen
*) Fig. 1.
**) Fig. 2.
G
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[93/0101] ”merken Sie daraus, daß die Eingeweihten aller Orden ”Zeichen haben, die den Augen der Profanen entgehen.‛ Sie ſetzten ſich abermals auf eine Bank, und Herr F. las, wie folget: „Philipp Jakob Spener, ein gutmuͤthiger red- ”licher Mann, der, in einem Zeitalter voll theologi- ”ſches Stolzes, und theologiſcher Zaͤnkerey, beſchei- ”den und friedliebend war, der, vorzuͤglich vor allen ”dogmatiſchen Spitzfuͤndigkeiten, die er gern vermie- ”den haͤtte, und nach dem Genius ſeines Zeitalters ”nicht vermeiden konnte, die Rechtſchaffenheit und ”die Lauterkeit des Herzens einſchaͤrfte, befliß ſich ”nicht in ſeiner Kleidung etwas ſonderliches zu ha- ”ben. Sein ehrwuͤrdiges Haupt, *) um das ſeine ſil- ”berweißen Haare in natuͤrlichen Locken hinabhien- ”gen, waͤrmte ein kleines Kalottchen, und ſein weit- ”gefalteter Mantel (die damals gewoͤhnliche Tracht ”der Gelehrten, die noch bis in das erſte Viertheil ”dieſes Jahrhunderts alle Schuͤler in Berlin trugen,) ”hieng, als eine brauchbare Bedeckung, ungekuͤnſtelt ”uͤber die Schultern und Arme herab. Bald nach ”ſeiner Zeit, ward ein Theil der Berliniſchen Geiſtlich- ”keit nach dem modiſchen Putze der Spaniſchen Pe- ”ruͤcken **) luͤſtern, die ſie ſo oft auf den Haͤuptern der ”Geheimenraͤthe und der Edelknaben, an dem prunk- ”vollen *) Fig. 1. **) Fig. 2. G

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/101>, abgerufen am 24.11.2024.