Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite



"gesetzt war,*) so gieng es doch ohne weitere Ahn-
"dung durch. Denn nunmehr war die Zeit gekom-
"men, da die Unordnung und Lauigkeit in der Lehre,
"die sich schon lange in die Herzen eingeschlichen hatte,
"auch an den Kleidern sichtbar werden sollte. Vor
"Zeiten hatten sich die Lutherischen und Refor-
"mirten,
so viel wie möglich, von einander abgeson-
"dert, auch wohl, eine Folge des Eifers für eines je-
"den Symbolum, weidlich mit einander geha-
"dert,
nicht weniger, eine Folge des Haders, ein-
"ander herzlich gehasset; nunmehr aber, da sich
"ihre Geistlichen auch nicht einmal mehr| der Klei-
"dung nach von einander unterschieden, war fast
"gar die Frage nicht mehr, ob jemand Lutherisch
"oder reformirt sey. Diese Jndifferentisterey hatte
"aber auch andere schädliche Folgen. Denn die geist-
"lich Kleidung
verlohr einen großen Theil ihrer

"sym-
*) Unter andern fanden in einer gewissen Kirche, in welcher
wechselsweise Lutherisch und reformirt gepredigt ward,
beide Gemeinen Ursach, sich über diese Neuerung zu be-
klagen. Es war bisher die Gewohnheit gewesen daß der
Prediger, ehe er in die Sakristey trat, außen, neben der
Thür derselben, seinen Hut anhieng, woraus die Zuhö-
rer gleich abnehmen konnten, an welcher Konfeffion die
Reihe sey. Nachdem aber der Hut seine symbolische
Kraft
verloren hatte, so konnten die irregemachten
Kirchkinder nunmehr weiter an keinem Kennzeichen un-
terscheiden, ob die Predigt, die sie hörten, Lutherisch oder
reformirt sey.
G 3



”geſetzt war,*) ſo gieng es doch ohne weitere Ahn-
”dung durch. Denn nunmehr war die Zeit gekom-
”men, da die Unordnung und Lauigkeit in der Lehre,
”die ſich ſchon lange in die Herzen eingeſchlichen hatte,
”auch an den Kleidern ſichtbar werden ſollte. Vor
”Zeiten hatten ſich die Lutheriſchen und Refor-
”mirten,
ſo viel wie moͤglich, von einander abgeſon-
”dert, auch wohl, eine Folge des Eifers fuͤr eines je-
”den Symbolum, weidlich mit einander geha-
”dert,
nicht weniger, eine Folge des Haders, ein-
”ander herzlich gehaſſet; nunmehr aber, da ſich
”ihre Geiſtlichen auch nicht einmal mehr| der Klei-
”dung nach von einander unterſchieden, war faſt
”gar die Frage nicht mehr, ob jemand Lutheriſch
”oder reformirt ſey. Dieſe Jndifferentiſterey hatte
”aber auch andere ſchaͤdliche Folgen. Denn die geiſt-
”lich Kleidung
verlohr einen großen Theil ihrer

ſym-
*) Unter andern fanden in einer gewiſſen Kirche, in welcher
wechſelsweiſe Lutheriſch und reformirt gepredigt ward,
beide Gemeinen Urſach, ſich über dieſe Neuerung zu be-
klagen. Es war bisher die Gewohnheit geweſen daß der
Prediger, ehe er in die Sakriſtey trat, außen, neben der
Thür derſelben, ſeinen Hut anhieng, woraus die Zuhoͤ-
rer gleich abnehmen konnten, an welcher Konfeffion die
Reihe ſey. Nachdem aber der Hut ſeine ſymboliſche
Kraft
verloren hatte, ſo konnten die irregemachten
Kirchkinder nunmehr weiter an keinem Kennzeichen un-
terſcheiden, ob die Predigt, die ſie hörten, Lutheriſch oder
reformirt ſey.
G 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0105" n="97"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x201D;ge&#x017F;etzt war,<note place="foot" n="*)">Unter andern fanden in einer gewi&#x017F;&#x017F;en Kirche, in welcher<lb/>
wech&#x017F;elswei&#x017F;e Lutheri&#x017F;ch und reformirt gepredigt ward,<lb/>
beide Gemeinen Ur&#x017F;ach, &#x017F;ich über die&#x017F;e Neuerung zu be-<lb/>
klagen. Es war bisher die Gewohnheit gewe&#x017F;en daß der<lb/>
Prediger, ehe er in die Sakri&#x017F;tey trat, außen, neben der<lb/>
Thür der&#x017F;elben, &#x017F;einen Hut anhieng, woraus die Zuho&#x0364;-<lb/>
rer gleich abnehmen konnten, an welcher Konfeffion die<lb/>
Reihe &#x017F;ey. Nachdem aber der <hi rendition="#fr">Hut &#x017F;eine &#x017F;ymboli&#x017F;che<lb/>
Kraft</hi> verloren hatte, &#x017F;o konnten die irregemachten<lb/>
Kirchkinder nunmehr weiter an keinem Kennzeichen un-<lb/>
ter&#x017F;cheiden, ob die Predigt, die &#x017F;ie hörten, Lutheri&#x017F;ch oder<lb/>
reformirt &#x017F;ey.</note> &#x017F;o gieng es doch ohne weitere Ahn-<lb/>
&#x201D;dung durch. Denn nunmehr war die Zeit gekom-<lb/>
&#x201D;men, da die Unordnung und Lauigkeit in der Lehre,<lb/>
&#x201D;die &#x017F;ich &#x017F;chon lange in die Herzen einge&#x017F;chlichen hatte,<lb/>
&#x201D;auch an den Kleidern &#x017F;ichtbar werden &#x017F;ollte. Vor<lb/>
&#x201D;Zeiten hatten &#x017F;ich die <hi rendition="#fr">Lutheri&#x017F;chen</hi> und <hi rendition="#fr">Refor-<lb/>
&#x201D;mirten,</hi> &#x017F;o viel wie mo&#x0364;glich, von einander abge&#x017F;on-<lb/>
&#x201D;dert, auch wohl, eine Folge des Eifers fu&#x0364;r eines je-<lb/>
&#x201D;den <hi rendition="#fr">Symbolum,</hi> weidlich mit einander <hi rendition="#fr">geha-<lb/>
&#x201D;dert,</hi> nicht weniger, eine Folge des <hi rendition="#fr">Haders,</hi> ein-<lb/>
&#x201D;ander herzlich <hi rendition="#fr">geha&#x017F;&#x017F;et;</hi> nunmehr aber, da &#x017F;ich<lb/>
&#x201D;ihre Gei&#x017F;tlichen auch nicht einmal mehr| der Klei-<lb/>
&#x201D;dung nach von einander unter&#x017F;chieden, war fa&#x017F;t<lb/>
&#x201D;gar die Frage nicht mehr, ob jemand <hi rendition="#fr">Lutheri&#x017F;ch</hi><lb/>
&#x201D;oder <hi rendition="#fr">reformirt</hi> &#x017F;ey. Die&#x017F;e Jndifferenti&#x017F;terey hatte<lb/>
&#x201D;aber auch andere &#x017F;cha&#x0364;dliche Folgen. Denn die <hi rendition="#fr">gei&#x017F;t-<lb/>
&#x201D;lich Kleidung</hi> verlohr einen großen Theil <hi rendition="#fr">ihrer</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 3</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x201D;<hi rendition="#fr">&#x017F;ym-</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[97/0105] ”geſetzt war, *) ſo gieng es doch ohne weitere Ahn- ”dung durch. Denn nunmehr war die Zeit gekom- ”men, da die Unordnung und Lauigkeit in der Lehre, ”die ſich ſchon lange in die Herzen eingeſchlichen hatte, ”auch an den Kleidern ſichtbar werden ſollte. Vor ”Zeiten hatten ſich die Lutheriſchen und Refor- ”mirten, ſo viel wie moͤglich, von einander abgeſon- ”dert, auch wohl, eine Folge des Eifers fuͤr eines je- ”den Symbolum, weidlich mit einander geha- ”dert, nicht weniger, eine Folge des Haders, ein- ”ander herzlich gehaſſet; nunmehr aber, da ſich ”ihre Geiſtlichen auch nicht einmal mehr| der Klei- ”dung nach von einander unterſchieden, war faſt ”gar die Frage nicht mehr, ob jemand Lutheriſch ”oder reformirt ſey. Dieſe Jndifferentiſterey hatte ”aber auch andere ſchaͤdliche Folgen. Denn die geiſt- ”lich Kleidung verlohr einen großen Theil ihrer ”ſym- *) Unter andern fanden in einer gewiſſen Kirche, in welcher wechſelsweiſe Lutheriſch und reformirt gepredigt ward, beide Gemeinen Urſach, ſich über dieſe Neuerung zu be- klagen. Es war bisher die Gewohnheit geweſen daß der Prediger, ehe er in die Sakriſtey trat, außen, neben der Thür derſelben, ſeinen Hut anhieng, woraus die Zuhoͤ- rer gleich abnehmen konnten, an welcher Konfeffion die Reihe ſey. Nachdem aber der Hut ſeine ſymboliſche Kraft verloren hatte, ſo konnten die irregemachten Kirchkinder nunmehr weiter an keinem Kennzeichen un- terſcheiden, ob die Predigt, die ſie hörten, Lutheriſch oder reformirt ſey. G 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/105
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/105>, abgerufen am 17.05.2024.