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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

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"wichtiges Ding wichtig, es mag nun ein Rockärmel,
"oder ein symbolisches Buch seyn, so kann über dessen
"Veränderung Zank und Bitterkeit, ja wohl gar Auf-
"ruhr und bürgerlicher Krieg entstehen. Eben des-
"halb sollte man, meines Erachtens, in Dingen, die
"von der Meinung der Menschen abhangen, nicht all-
"zuviel bestimmen und durch Zeichen festsetzen wol-
"len, weil dadurch Nebendingen mehr Werth beyge-
"legt wird, als sie eigenthümlich haben. Das Be-
"zeichnete ist wesentlich, das Zeichen willkührlich.
"Hat ein ietziger Geistlicher Speners edelmüthige
"Gesinnungen, so wird er einem weisen Manne eben
"so werth seyn, er mag sich schwarz oder grün kleiden,
"und jeder ehrliche Mann, der rechtschaffen handelt,
"und so viel er kann, tugendhafte Thaten thut, ver-
"dient verehrt zu werden, er mag seine Gedanken vor
"sich selbst weglaufen lassen, oder sie an irgend ein
"Symbolum heften wollen. Wenn mich nicht alles,
"was ich als Kennzeichen der Wahrheit erkennt,
"trügt, so muß ich glauben, Gott selbst werde uns
"nach unsern Gesinnungen, und nicht nach unsern
"Spekulationen richten; er werde jedem gnädig seyn,
"der so viel gutes thut, als er in der Lage, in der er
"sich befindet, thun kann, und werde keinen verdam-
"men, weil er symbolische Bücher, die irgend eine

"Par-
G 4



”wichtiges Ding wichtig, es mag nun ein Rockaͤrmel,
”oder ein ſymboliſches Buch ſeyn, ſo kann uͤber deſſen
”Veraͤnderung Zank und Bitterkeit, ja wohl gar Auf-
”ruhr und buͤrgerlicher Krieg entſtehen. Eben des-
”halb ſollte man, meines Erachtens, in Dingen, die
”von der Meinung der Menſchen abhangen, nicht all-
”zuviel beſtimmen und durch Zeichen feſtſetzen wol-
”len, weil dadurch Nebendingen mehr Werth beyge-
”legt wird, als ſie eigenthuͤmlich haben. Das Be-
”zeichnete iſt weſentlich, das Zeichen willkuͤhrlich.
”Hat ein ietziger Geiſtlicher Speners edelmuͤthige
”Geſinnungen, ſo wird er einem weiſen Manne eben
”ſo werth ſeyn, er mag ſich ſchwarz oder gruͤn kleiden,
”und jeder ehrliche Mann, der rechtſchaffen handelt,
”und ſo viel er kann, tugendhafte Thaten thut, ver-
”dient verehrt zu werden, er mag ſeine Gedanken vor
”ſich ſelbſt weglaufen laſſen, oder ſie an irgend ein
Symbolum heften wollen. Wenn mich nicht alles,
”was ich als Kennzeichen der Wahrheit erkennt,
”truͤgt, ſo muß ich glauben, Gott ſelbſt werde uns
”nach unſern Geſinnungen, und nicht nach unſern
”Spekulationen richten; er werde jedem gnaͤdig ſeyn,
”der ſo viel gutes thut, als er in der Lage, in der er
”ſich befindet, thun kann, und werde keinen verdam-
”men, weil er ſymboliſche Buͤcher, die irgend eine

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[99/0107] ”wichtiges Ding wichtig, es mag nun ein Rockaͤrmel, ”oder ein ſymboliſches Buch ſeyn, ſo kann uͤber deſſen ”Veraͤnderung Zank und Bitterkeit, ja wohl gar Auf- ”ruhr und buͤrgerlicher Krieg entſtehen. Eben des- ”halb ſollte man, meines Erachtens, in Dingen, die ”von der Meinung der Menſchen abhangen, nicht all- ”zuviel beſtimmen und durch Zeichen feſtſetzen wol- ”len, weil dadurch Nebendingen mehr Werth beyge- ”legt wird, als ſie eigenthuͤmlich haben. Das Be- ”zeichnete iſt weſentlich, das Zeichen willkuͤhrlich. ”Hat ein ietziger Geiſtlicher Speners edelmuͤthige ”Geſinnungen, ſo wird er einem weiſen Manne eben ”ſo werth ſeyn, er mag ſich ſchwarz oder gruͤn kleiden, ”und jeder ehrliche Mann, der rechtſchaffen handelt, ”und ſo viel er kann, tugendhafte Thaten thut, ver- ”dient verehrt zu werden, er mag ſeine Gedanken vor ”ſich ſelbſt weglaufen laſſen, oder ſie an irgend ein ”Symbolum heften wollen. Wenn mich nicht alles, ”was ich als Kennzeichen der Wahrheit erkennt, ”truͤgt, ſo muß ich glauben, Gott ſelbſt werde uns ”nach unſern Geſinnungen, und nicht nach unſern ”Spekulationen richten; er werde jedem gnaͤdig ſeyn, ”der ſo viel gutes thut, als er in der Lage, in der er ”ſich befindet, thun kann, und werde keinen verdam- ”men, weil er ſymboliſche Buͤcher, die irgend eine ”Par- G 4

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/107>, abgerufen am 21.11.2024.