Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite


Seb. Und daß nach diesem Leben noch ein künf-
tiges zu gewarten sey?

Maj. Nein, mit dem Tode ist alles aus.

Seb. Jch habe zuweilen aus Jhren Reden geschlos-
sen, daß Sie eine solche Meinung hegten, ohne daß
es sich gefügt hätte, sie näher erläutern zu können.
Wäre diese Meinung wahr, so wären wir, wie Sie
selbst nicht läugnen werden, in vielen Begegnissen des
Lebens völlig trostlos. Gott hat aber, wie ich glaube,
so wie er kein Uebel, ohne zu gutem Zwecke zuläßt,
auch, als ein gütiger Vater, für jedes Uebel den
Trost in die Natur gelegt. Dieß hat mir schon vor
langen Jahren über diese Meinung näher nachzuden-
ken Gelegenheit gegeben; ich weiß daher, daß, in der
Vernunft und in der Schrift, viele Gründe zu finden
sind, die sehr bald das Gegentheil wahrscheinlich, und,
bey reiferm Nachdenken, gewiß machen.

Maj. Herr! ich habe immer gedacht, daß die Ver-
nunft nicht einmal weiß, wenn ein Todter recht todt
ist, wie sollte sie wissen, was nach dem Tode vorge-
het. Wenigstens meine Vernunft reicht so weit nicht.
Was die Schrift betrifft, so steht viel gutes darinn.
Jch habe alles gelesen. Es läßt sich vieles hier in
diesem Leben recht wohl nützen. Aber von einem künf-
tigen Leben, so wie von so viel andern unbegreifli-

chen
H 5


Seb. Und daß nach dieſem Leben noch ein kuͤnf-
tiges zu gewarten ſey?

Maj. Nein, mit dem Tode iſt alles aus.

Seb. Jch habe zuweilen aus Jhren Reden geſchloſ-
ſen, daß Sie eine ſolche Meinung hegten, ohne daß
es ſich gefuͤgt haͤtte, ſie naͤher erlaͤutern zu koͤnnen.
Waͤre dieſe Meinung wahr, ſo waͤren wir, wie Sie
ſelbſt nicht laͤugnen werden, in vielen Begegniſſen des
Lebens voͤllig troſtlos. Gott hat aber, wie ich glaube,
ſo wie er kein Uebel, ohne zu gutem Zwecke zulaͤßt,
auch, als ein guͤtiger Vater, fuͤr jedes Uebel den
Troſt in die Natur gelegt. Dieß hat mir ſchon vor
langen Jahren uͤber dieſe Meinung naͤher nachzuden-
ken Gelegenheit gegeben; ich weiß daher, daß, in der
Vernunft und in der Schrift, viele Gruͤnde zu finden
ſind, die ſehr bald das Gegentheil wahrſcheinlich, und,
bey reiferm Nachdenken, gewiß machen.

Maj. Herr! ich habe immer gedacht, daß die Ver-
nunft nicht einmal weiß, wenn ein Todter recht todt
iſt, wie ſollte ſie wiſſen, was nach dem Tode vorge-
het. Wenigſtens meine Vernunft reicht ſo weit nicht.
Was die Schrift betrifft, ſo ſteht viel gutes darinn.
Jch habe alles geleſen. Es laͤßt ſich vieles hier in
dieſem Leben recht wohl nuͤtzen. Aber von einem kuͤnf-
tigen Leben, ſo wie von ſo viel andern unbegreifli-

chen
H 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0127" n="117"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Seb.</hi> Und daß nach die&#x017F;em Leben noch ein ku&#x0364;nf-<lb/>
tiges zu gewarten &#x017F;ey?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Maj.</hi> Nein, mit dem Tode i&#x017F;t alles aus.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Seb.</hi> Jch habe zuweilen aus Jhren Reden ge&#x017F;chlo&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, daß Sie eine &#x017F;olche Meinung hegten, ohne daß<lb/>
es &#x017F;ich gefu&#x0364;gt ha&#x0364;tte, &#x017F;ie na&#x0364;her erla&#x0364;utern zu ko&#x0364;nnen.<lb/>
Wa&#x0364;re die&#x017F;e Meinung wahr, &#x017F;o wa&#x0364;ren wir, wie Sie<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t nicht la&#x0364;ugnen werden, in vielen Begegni&#x017F;&#x017F;en des<lb/>
Lebens vo&#x0364;llig tro&#x017F;tlos. Gott hat aber, wie ich glaube,<lb/>
&#x017F;o wie er kein Uebel, ohne zu gutem Zwecke zula&#x0364;ßt,<lb/>
auch, als ein gu&#x0364;tiger Vater, fu&#x0364;r jedes Uebel den<lb/>
Tro&#x017F;t in die Natur gelegt. Dieß hat mir &#x017F;chon vor<lb/>
langen Jahren u&#x0364;ber die&#x017F;e Meinung na&#x0364;her nachzuden-<lb/>
ken Gelegenheit gegeben; ich weiß daher, daß, in der<lb/>
Vernunft und in der Schrift, viele Gru&#x0364;nde zu finden<lb/>
&#x017F;ind, die &#x017F;ehr bald das Gegentheil wahr&#x017F;cheinlich, und,<lb/>
bey reiferm Nachdenken, gewiß machen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Maj.</hi> Herr! ich habe immer gedacht, daß die Ver-<lb/>
nunft nicht einmal weiß, wenn ein Todter recht todt<lb/>
i&#x017F;t, wie &#x017F;ollte &#x017F;ie wi&#x017F;&#x017F;en, was nach dem Tode vorge-<lb/>
het. Wenig&#x017F;tens meine Vernunft reicht &#x017F;o weit nicht.<lb/>
Was die Schrift betrifft, &#x017F;o &#x017F;teht viel gutes darinn.<lb/>
Jch habe alles gele&#x017F;en. Es la&#x0364;ßt &#x017F;ich vieles hier in<lb/>
die&#x017F;em Leben recht wohl nu&#x0364;tzen. Aber von einem ku&#x0364;nf-<lb/>
tigen Leben, &#x017F;o wie von &#x017F;o viel andern unbegreifli-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 5</fw><fw place="bottom" type="catch">chen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0127] Seb. Und daß nach dieſem Leben noch ein kuͤnf- tiges zu gewarten ſey? Maj. Nein, mit dem Tode iſt alles aus. Seb. Jch habe zuweilen aus Jhren Reden geſchloſ- ſen, daß Sie eine ſolche Meinung hegten, ohne daß es ſich gefuͤgt haͤtte, ſie naͤher erlaͤutern zu koͤnnen. Waͤre dieſe Meinung wahr, ſo waͤren wir, wie Sie ſelbſt nicht laͤugnen werden, in vielen Begegniſſen des Lebens voͤllig troſtlos. Gott hat aber, wie ich glaube, ſo wie er kein Uebel, ohne zu gutem Zwecke zulaͤßt, auch, als ein guͤtiger Vater, fuͤr jedes Uebel den Troſt in die Natur gelegt. Dieß hat mir ſchon vor langen Jahren uͤber dieſe Meinung naͤher nachzuden- ken Gelegenheit gegeben; ich weiß daher, daß, in der Vernunft und in der Schrift, viele Gruͤnde zu finden ſind, die ſehr bald das Gegentheil wahrſcheinlich, und, bey reiferm Nachdenken, gewiß machen. Maj. Herr! ich habe immer gedacht, daß die Ver- nunft nicht einmal weiß, wenn ein Todter recht todt iſt, wie ſollte ſie wiſſen, was nach dem Tode vorge- het. Wenigſtens meine Vernunft reicht ſo weit nicht. Was die Schrift betrifft, ſo ſteht viel gutes darinn. Jch habe alles geleſen. Es laͤßt ſich vieles hier in dieſem Leben recht wohl nuͤtzen. Aber von einem kuͤnf- tigen Leben, ſo wie von ſo viel andern unbegreifli- chen H 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/127
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/127>, abgerufen am 24.11.2024.