zer Geist war von dem Vergnügen seine Gedichte täg- lich vorzulesen und gelobt zu hören so eingenommen, daß er selbst nur in wenigen Minuten voll Phantasie an seine ungetreue Mariane denken konnte.
Dritter Abschnitt.
Die Sachen standen auf diese Art in dem Schlosse der Frau von Ehrenkolb, als sie sich vor- nahm, ihre Freundinn, die Gräfinn von *** zu be- suchen, welche einige Meilen von ihr wohnte. Jhre Tochter hatte schon einigemal diese Reise hintertrie- ben, weil ihre Gesinnungen mit den Gesinnungen der Gräfinn gar nicht übereinstimmten, und sie sich von dem Aufenthalte bey ihr nicht das geringste Ver- gnügen versprach. Jzt bestand aber die Mutter darauf, und die Tochter durfte nicht ferner wider- sprechen.
Die ganze Gesellschaft reisete also fort, und Säug- ling wiegte sich mit dem Gedanken, vor der Gräfinn, deren guten Geschmack er schon kannte, mit seinen Gedichten zu glänzen, unwissend, daß seiner ganz andere Vorfälle warteten.
Die Gräfinn empfieng sie bey ihrer Ankunft in einem offnen Gartensaale. Der Oberste führte die
Fran
zer Geiſt war von dem Vergnuͤgen ſeine Gedichte taͤg- lich vorzuleſen und gelobt zu hoͤren ſo eingenommen, daß er ſelbſt nur in wenigen Minuten voll Phantaſie an ſeine ungetreue Mariane denken konnte.
Dritter Abſchnitt.
Die Sachen ſtanden auf dieſe Art in dem Schloſſe der Frau von Ehrenkolb, als ſie ſich vor- nahm, ihre Freundinn, die Graͤfinn von *** zu be- ſuchen, welche einige Meilen von ihr wohnte. Jhre Tochter hatte ſchon einigemal dieſe Reiſe hintertrie- ben, weil ihre Geſinnungen mit den Geſinnungen der Graͤfinn gar nicht uͤbereinſtimmten, und ſie ſich von dem Aufenthalte bey ihr nicht das geringſte Ver- gnuͤgen verſprach. Jzt beſtand aber die Mutter darauf, und die Tochter durfte nicht ferner wider- ſprechen.
Die ganze Geſellſchaft reiſete alſo fort, und Saͤug- ling wiegte ſich mit dem Gedanken, vor der Graͤfinn, deren guten Geſchmack er ſchon kannte, mit ſeinen Gedichten zu glaͤnzen, unwiſſend, daß ſeiner ganz andere Vorfaͤlle warteten.
Die Graͤfinn empfieng ſie bey ihrer Ankunft in einem offnen Gartenſaale. Der Oberſte fuͤhrte die
Fran
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0170"n="160"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
zer Geiſt war von dem Vergnuͤgen ſeine Gedichte taͤg-<lb/>
lich vorzuleſen und gelobt zu hoͤren ſo eingenommen,<lb/>
daß er ſelbſt nur in wenigen Minuten voll Phantaſie<lb/>
an ſeine ungetreue <hirendition="#fr">Mariane</hi> denken konnte.</p></div><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Dritter Abſchnitt.</hi></hi></head><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>ie Sachen ſtanden auf dieſe Art in dem Schloſſe<lb/>
der Frau von <hirendition="#fr">Ehrenkolb,</hi> als ſie ſich vor-<lb/>
nahm, ihre Freundinn, die Graͤfinn von *** zu be-<lb/>ſuchen, welche einige Meilen von ihr wohnte. Jhre<lb/>
Tochter hatte ſchon einigemal dieſe Reiſe hintertrie-<lb/>
ben, weil ihre Geſinnungen mit den Geſinnungen<lb/>
der Graͤfinn gar nicht uͤbereinſtimmten, und ſie ſich<lb/>
von dem Aufenthalte bey ihr nicht das geringſte Ver-<lb/>
gnuͤgen verſprach. Jzt beſtand aber die Mutter<lb/>
darauf, und die Tochter durfte nicht ferner wider-<lb/>ſprechen.</p><lb/><p>Die ganze Geſellſchaft reiſete alſo fort, und <hirendition="#fr">Saͤug-<lb/>
ling</hi> wiegte ſich mit dem Gedanken, vor der Graͤfinn,<lb/>
deren guten Geſchmack er ſchon kannte, mit ſeinen<lb/>
Gedichten zu glaͤnzen, unwiſſend, daß ſeiner ganz<lb/>
andere Vorfaͤlle warteten.</p><lb/><p>Die Graͤfinn empfieng ſie bey ihrer Ankunft in<lb/>
einem offnen Gartenſaale. Der Oberſte fuͤhrte die<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Fran</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[160/0170]
zer Geiſt war von dem Vergnuͤgen ſeine Gedichte taͤg-
lich vorzuleſen und gelobt zu hoͤren ſo eingenommen,
daß er ſelbſt nur in wenigen Minuten voll Phantaſie
an ſeine ungetreue Mariane denken konnte.
Dritter Abſchnitt.
Die Sachen ſtanden auf dieſe Art in dem Schloſſe
der Frau von Ehrenkolb, als ſie ſich vor-
nahm, ihre Freundinn, die Graͤfinn von *** zu be-
ſuchen, welche einige Meilen von ihr wohnte. Jhre
Tochter hatte ſchon einigemal dieſe Reiſe hintertrie-
ben, weil ihre Geſinnungen mit den Geſinnungen
der Graͤfinn gar nicht uͤbereinſtimmten, und ſie ſich
von dem Aufenthalte bey ihr nicht das geringſte Ver-
gnuͤgen verſprach. Jzt beſtand aber die Mutter
darauf, und die Tochter durfte nicht ferner wider-
ſprechen.
Die ganze Geſellſchaft reiſete alſo fort, und Saͤug-
ling wiegte ſich mit dem Gedanken, vor der Graͤfinn,
deren guten Geſchmack er ſchon kannte, mit ſeinen
Gedichten zu glaͤnzen, unwiſſend, daß ſeiner ganz
andere Vorfaͤlle warteten.
Die Graͤfinn empfieng ſie bey ihrer Ankunft in
einem offnen Gartenſaale. Der Oberſte fuͤhrte die
Fran
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/170>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.