Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite



Frau von Ehrenkolb, Säugling das Fräulein.
Kaum hatte die Gräfinn ihre Freundinn umarmen
können, als das Fräulein, von Säuglings Hand,
auf sie zurauschte, und sich mit einem: "Ah ma chere
"Comtesse, que je suis ravie de vous embrasser, c'est
"un million d'annees, qu'on ne vous a pas vau"
in ihre
Arme warf. Jndem dieses geschah, erblickte Ma-
riane Säuglingen,
und ward feuerroth; Säug-
ling
warf zu gleicher Zeit die Augen auf Marianen,
und stand mit einemmale, wie eine Salzsäule, so
daß er auch weder die Gräfinn noch Marianen
grüßte. Die Gräfinn redete ihn an, er ward blaß
und roth, wollte seine Verwirrung verbergen, und
sahe noch dähmischer aus. Die Gräfinn stellte ihm
Marianen, als eine vorige Bekanntschaft vor, er
fieng an zu stammeln, und nannte sie Madame. Die
Gräfinn lachte, und fragte, ob er seine ehemalige
Freundinn nicht kenne. Säugling stotterte aber-
mals, -- und besann sich zu spät, zu sagen, daß er
sich im Gesichte geirret hätte, wußte aber noch nicht,
welche Miene er annehmen sollte.

Nachdem er sich von seiner ersten Bestürzung ein
wenig erholt hatte, sah er wohl ein, daß er von sei-
ner Tante sey hintergangen worden, und konnte auch
die Absicht ihrer List leicht errathen. Nun ent-

brannte
L 3



Frau von Ehrenkolb, Saͤugling das Fraͤulein.
Kaum hatte die Graͤfinn ihre Freundinn umarmen
koͤnnen, als das Fraͤulein, von Saͤuglings Hand,
auf ſie zurauſchte, und ſich mit einem: „Ah ma chere
”Comteſſe, que je ſuis ravie de vous embraſſer, c’eſt
”un million d’années, qu’on ne vous a pas vû‟
in ihre
Arme warf. Jndem dieſes geſchah, erblickte Ma-
riane Saͤuglingen,
und ward feuerroth; Saͤug-
ling
warf zu gleicher Zeit die Augen auf Marianen,
und ſtand mit einemmale, wie eine Salzſaͤule, ſo
daß er auch weder die Graͤfinn noch Marianen
gruͤßte. Die Graͤfinn redete ihn an, er ward blaß
und roth, wollte ſeine Verwirrung verbergen, und
ſahe noch daͤhmiſcher aus. Die Graͤfinn ſtellte ihm
Marianen, als eine vorige Bekanntſchaft vor, er
fieng an zu ſtammeln, und nannte ſie Madame. Die
Graͤfinn lachte, und fragte, ob er ſeine ehemalige
Freundinn nicht kenne. Saͤugling ſtotterte aber-
mals, — und beſann ſich zu ſpaͤt, zu ſagen, daß er
ſich im Geſichte geirret haͤtte, wußte aber noch nicht,
welche Miene er annehmen ſollte.

Nachdem er ſich von ſeiner erſten Beſtuͤrzung ein
wenig erholt hatte, ſah er wohl ein, daß er von ſei-
ner Tante ſey hintergangen worden, und konnte auch
die Abſicht ihrer Liſt leicht errathen. Nun ent-

brannte
L 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0171" n="161"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Frau von <hi rendition="#fr">Ehrenkolb, Sa&#x0364;ugling</hi> das Fra&#x0364;ulein.<lb/>
Kaum hatte die Gra&#x0364;finn ihre Freundinn umarmen<lb/>
ko&#x0364;nnen, als das Fra&#x0364;ulein, von <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;uglings</hi> Hand,<lb/>
auf &#x017F;ie zurau&#x017F;chte, und &#x017F;ich mit einem: <hi rendition="#aq">&#x201E;Ah ma chere<lb/>
&#x201D;Comte&#x017F;&#x017F;e, que je &#x017F;uis ravie de vous embra&#x017F;&#x017F;er, c&#x2019;e&#x017F;t<lb/>
&#x201D;un million d&#x2019;années, qu&#x2019;on ne vous a pas vû&#x201F;</hi> in ihre<lb/>
Arme warf. Jndem die&#x017F;es ge&#x017F;chah, erblickte <hi rendition="#fr">Ma-<lb/>
riane Sa&#x0364;uglingen,</hi> und ward feuerroth; <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ug-<lb/>
ling</hi> warf zu gleicher Zeit die Augen auf <hi rendition="#fr">Marianen,</hi><lb/>
und &#x017F;tand mit einemmale, wie eine Salz&#x017F;a&#x0364;ule, &#x017F;o<lb/>
daß er auch weder die Gra&#x0364;finn noch <hi rendition="#fr">Marianen</hi><lb/>
gru&#x0364;ßte. Die Gra&#x0364;finn redete ihn an, er ward blaß<lb/>
und roth, wollte &#x017F;eine Verwirrung verbergen, und<lb/>
&#x017F;ahe noch da&#x0364;hmi&#x017F;cher aus. Die Gra&#x0364;finn &#x017F;tellte ihm<lb/><hi rendition="#fr">Marianen,</hi> als eine vorige Bekannt&#x017F;chaft vor, er<lb/>
fieng an zu &#x017F;tammeln, und nannte &#x017F;ie <hi rendition="#fr">Madame.</hi> Die<lb/>
Gra&#x0364;finn lachte, und fragte, ob er &#x017F;eine ehemalige<lb/>
Freundinn nicht kenne. <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ugling</hi> &#x017F;totterte aber-<lb/>
mals, &#x2014; und be&#x017F;ann &#x017F;ich zu &#x017F;pa&#x0364;t, zu &#x017F;agen, daß er<lb/>
&#x017F;ich im Ge&#x017F;ichte geirret ha&#x0364;tte, wußte aber noch nicht,<lb/>
welche Miene er annehmen &#x017F;ollte.</p><lb/>
          <p>Nachdem er &#x017F;ich von &#x017F;einer er&#x017F;ten Be&#x017F;tu&#x0364;rzung ein<lb/>
wenig erholt hatte, &#x017F;ah er wohl ein, daß er von &#x017F;ei-<lb/>
ner Tante &#x017F;ey hintergangen worden, und konnte auch<lb/>
die Ab&#x017F;icht ihrer Li&#x017F;t leicht errathen. Nun ent-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 3</fw><fw place="bottom" type="catch">brannte</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[161/0171] Frau von Ehrenkolb, Saͤugling das Fraͤulein. Kaum hatte die Graͤfinn ihre Freundinn umarmen koͤnnen, als das Fraͤulein, von Saͤuglings Hand, auf ſie zurauſchte, und ſich mit einem: „Ah ma chere ”Comteſſe, que je ſuis ravie de vous embraſſer, c’eſt ”un million d’années, qu’on ne vous a pas vû‟ in ihre Arme warf. Jndem dieſes geſchah, erblickte Ma- riane Saͤuglingen, und ward feuerroth; Saͤug- ling warf zu gleicher Zeit die Augen auf Marianen, und ſtand mit einemmale, wie eine Salzſaͤule, ſo daß er auch weder die Graͤfinn noch Marianen gruͤßte. Die Graͤfinn redete ihn an, er ward blaß und roth, wollte ſeine Verwirrung verbergen, und ſahe noch daͤhmiſcher aus. Die Graͤfinn ſtellte ihm Marianen, als eine vorige Bekanntſchaft vor, er fieng an zu ſtammeln, und nannte ſie Madame. Die Graͤfinn lachte, und fragte, ob er ſeine ehemalige Freundinn nicht kenne. Saͤugling ſtotterte aber- mals, — und beſann ſich zu ſpaͤt, zu ſagen, daß er ſich im Geſichte geirret haͤtte, wußte aber noch nicht, welche Miene er annehmen ſollte. Nachdem er ſich von ſeiner erſten Beſtuͤrzung ein wenig erholt hatte, ſah er wohl ein, daß er von ſei- ner Tante ſey hintergangen worden, und konnte auch die Abſicht ihrer Liſt leicht errathen. Nun ent- brannte L 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/171
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/171>, abgerufen am 21.11.2024.