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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

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brannte seine Liebe zu Marianen wieder viel stär-
ker als zuvor. Er hieng wieder an ihren Augen, seine
Gedichte waren wieder an sie gerichtet, er schrieb ihr
öfters Briefe, indem er sehr selten so glücklich war,
sich mit ihr unter vier Augen zu unterreden.

Mariane hingegen war gegen ihn ungemein zu-
rückhaltend. Sie hatte der Gräfinn, mit der sie
sonst auf einen sehr vertraulichen Fuß lebte, nichts
von ihrer Neigung zu Säuglingen, noch weniger
von den Verdrießlichkeiten, die sie deshalb erfahren
hatte, entdeckt; sie wollte sich also nunmehr auch
keinem Verdachte aussetzen. Dieß war die Ursach,
die sie sich selbst angab; sie hatte aber noch eine an-
dere und geheimere. Sie bemerkte nehmlich, daß
Säugling nicht wenig verändert war, und daß er da-
durch nicht wenig gewonnen hatte. Er war sonst
ängstlich bescheiden, weil er glaubte, daß dem Frauen-
zimmer das Sanfte gefiele; er hatte einer rauschen-
den Hofschönheit gefallen wollen, und war lebhafter
und ungezwungner geworden. Mariane war scharf-
sichtig genug, diese Veränderung der rechten Ursach
zuzuschreiben, zumal da sie gewisse Achtsamkei-
ten
bemerkte, die Säugling fortfahren mußte ge-
gen das Fräulein zu bezeugen, und da sie, sonderlich
im Anfange, des Fräuleins Augen oft auf Säug-

lings



brannte ſeine Liebe zu Marianen wieder viel ſtaͤr-
ker als zuvor. Er hieng wieder an ihren Augen, ſeine
Gedichte waren wieder an ſie gerichtet, er ſchrieb ihr
oͤfters Briefe, indem er ſehr ſelten ſo gluͤcklich war,
ſich mit ihr unter vier Augen zu unterreden.

Mariane hingegen war gegen ihn ungemein zu-
ruͤckhaltend. Sie hatte der Graͤfinn, mit der ſie
ſonſt auf einen ſehr vertraulichen Fuß lebte, nichts
von ihrer Neigung zu Saͤuglingen, noch weniger
von den Verdrießlichkeiten, die ſie deshalb erfahren
hatte, entdeckt; ſie wollte ſich alſo nunmehr auch
keinem Verdachte ausſetzen. Dieß war die Urſach,
die ſie ſich ſelbſt angab; ſie hatte aber noch eine an-
dere und geheimere. Sie bemerkte nehmlich, daß
Saͤugling nicht wenig veraͤndert war, und daß er da-
durch nicht wenig gewonnen hatte. Er war ſonſt
aͤngſtlich beſcheiden, weil er glaubte, daß dem Frauen-
zimmer das Sanfte gefiele; er hatte einer rauſchen-
den Hofſchoͤnheit gefallen wollen, und war lebhafter
und ungezwungner geworden. Mariane war ſcharf-
ſichtig genug, dieſe Veraͤnderung der rechten Urſach
zuzuſchreiben, zumal da ſie gewiſſe Achtſamkei-
ten
bemerkte, die Saͤugling fortfahren mußte ge-
gen das Fraͤulein zu bezeugen, und da ſie, ſonderlich
im Anfange, des Fraͤuleins Augen oft auf Saͤug-

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[162/0172] brannte ſeine Liebe zu Marianen wieder viel ſtaͤr- ker als zuvor. Er hieng wieder an ihren Augen, ſeine Gedichte waren wieder an ſie gerichtet, er ſchrieb ihr oͤfters Briefe, indem er ſehr ſelten ſo gluͤcklich war, ſich mit ihr unter vier Augen zu unterreden. Mariane hingegen war gegen ihn ungemein zu- ruͤckhaltend. Sie hatte der Graͤfinn, mit der ſie ſonſt auf einen ſehr vertraulichen Fuß lebte, nichts von ihrer Neigung zu Saͤuglingen, noch weniger von den Verdrießlichkeiten, die ſie deshalb erfahren hatte, entdeckt; ſie wollte ſich alſo nunmehr auch keinem Verdachte ausſetzen. Dieß war die Urſach, die ſie ſich ſelbſt angab; ſie hatte aber noch eine an- dere und geheimere. Sie bemerkte nehmlich, daß Saͤugling nicht wenig veraͤndert war, und daß er da- durch nicht wenig gewonnen hatte. Er war ſonſt aͤngſtlich beſcheiden, weil er glaubte, daß dem Frauen- zimmer das Sanfte gefiele; er hatte einer rauſchen- den Hofſchoͤnheit gefallen wollen, und war lebhafter und ungezwungner geworden. Mariane war ſcharf- ſichtig genug, dieſe Veraͤnderung der rechten Urſach zuzuſchreiben, zumal da ſie gewiſſe Achtſamkei- ten bemerkte, die Saͤugling fortfahren mußte ge- gen das Fraͤulein zu bezeugen, und da ſie, ſonderlich im Anfange, des Fraͤuleins Augen oft auf Saͤug- lings

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/172>, abgerufen am 21.11.2024.