Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite


,Mein Kind! nehme Sie mir doch die Dose
"auf!' --

Mariane, über die ganze Scene erstaunt, stand
sprachlos da; denn so weit hatte das Fräulein die Un-
höflichkeit noch nicht getrieben. Säugling sprang
auf, und überreichte dem Fräulein die Dose.

,Lassen Sie,' rief sie, ,lassen Sie, Herr von
"Säugling, Mariane wird sie schon ...

Säugling nahm allen seinen Ernst zusammen,
und versetzte: ,Verzeihen Sie, gnädiges Fräulein,
"Jhnen aufzuwarten, halte ich nur für meine Schul-
"digkeit'

Das Fräulein maß ihn mit den Augen von oben
bis unten, und schlug ein bitteres Gelächter auf.

Mariane, welche empfand, daß die Demüthigung,
wodurch sie bis zu einer gemeinen Dienstmagd herun-
ter gesetzt werden sollte, zu den Beleidigungen ge-
höre, für die man, so grob sie sind, keine Worte
hat, um sich darüber zu beschweren, konnte nicht ver-
hindern, daß sich nicht eine Thräne in ihr Auge
drängte, und gieng stillschweigend ab, doch nicht ohne
auf Säuglingen einen Blick zu werfen, in welchem
er ihr ganzes Herz las.

Der Oberste, ob er wohl, an sich, Marianen
gern diese Demüthigung erspart hätte, war doch wohl

damit
M 3


‚Mein Kind! nehme Sie mir doch die Doſe
”auf!‛ —

Mariane, uͤber die ganze Scene erſtaunt, ſtand
ſprachlos da; denn ſo weit hatte das Fraͤulein die Un-
hoͤflichkeit noch nicht getrieben. Saͤugling ſprang
auf, und uͤberreichte dem Fraͤulein die Doſe.

‚Laſſen Sie,‛ rief ſie, ‚laſſen Sie, Herr von
Saͤugling, Mariane wird ſie ſchon …

Saͤugling nahm allen ſeinen Ernſt zuſammen,
und verſetzte: ‚Verzeihen Sie, gnaͤdiges Fraͤulein,
”Jhnen aufzuwarten, halte ich nur fuͤr meine Schul-
”digkeit‛

Das Fraͤulein maß ihn mit den Augen von oben
bis unten, und ſchlug ein bitteres Gelaͤchter auf.

Mariane, welche empfand, daß die Demuͤthigung,
wodurch ſie bis zu einer gemeinen Dienſtmagd herun-
ter geſetzt werden ſollte, zu den Beleidigungen ge-
hoͤre, fuͤr die man, ſo grob ſie ſind, keine Worte
hat, um ſich daruͤber zu beſchweren, konnte nicht ver-
hindern, daß ſich nicht eine Thraͤne in ihr Auge
draͤngte, und gieng ſtillſchweigend ab, doch nicht ohne
auf Saͤuglingen einen Blick zu werfen, in welchem
er ihr ganzes Herz las.

Der Oberſte, ob er wohl, an ſich, Marianen
gern dieſe Demuͤthigung erſpart haͤtte, war doch wohl

damit
M 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0187" n="177"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>&#x201A;Mein Kind! nehme Sie mir doch die Do&#x017F;e<lb/>
&#x201D;auf!&#x201B; &#x2014;</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Mariane,</hi> u&#x0364;ber die ganze Scene er&#x017F;taunt, &#x017F;tand<lb/>
&#x017F;prachlos da; denn &#x017F;o weit hatte das Fra&#x0364;ulein die Un-<lb/>
ho&#x0364;flichkeit noch nicht getrieben. <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ugling</hi> &#x017F;prang<lb/>
auf, und u&#x0364;berreichte dem Fra&#x0364;ulein die Do&#x017F;e.</p><lb/>
          <p>&#x201A;La&#x017F;&#x017F;en Sie,&#x201B; rief &#x017F;ie, &#x201A;la&#x017F;&#x017F;en Sie, Herr von<lb/>
&#x201D;<hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ugling, Mariane</hi> wird &#x017F;ie &#x017F;chon &#x2026;</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ugling</hi> nahm allen &#x017F;einen Ern&#x017F;t zu&#x017F;ammen,<lb/>
und ver&#x017F;etzte: &#x201A;Verzeihen Sie, gna&#x0364;diges Fra&#x0364;ulein,<lb/>
&#x201D;Jhnen aufzuwarten, halte ich nur fu&#x0364;r <hi rendition="#fr">meine</hi> Schul-<lb/>
&#x201D;digkeit&#x201B;</p><lb/>
          <p>Das Fra&#x0364;ulein maß ihn mit den Augen von oben<lb/>
bis unten, und &#x017F;chlug ein bitteres Gela&#x0364;chter auf.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Mariane,</hi> welche empfand, daß die Demu&#x0364;thigung,<lb/>
wodurch &#x017F;ie bis zu einer gemeinen Dien&#x017F;tmagd herun-<lb/>
ter ge&#x017F;etzt werden &#x017F;ollte, zu den Beleidigungen ge-<lb/>
ho&#x0364;re, fu&#x0364;r die man, &#x017F;o grob &#x017F;ie &#x017F;ind, keine Worte<lb/>
hat, um &#x017F;ich daru&#x0364;ber zu be&#x017F;chweren, konnte nicht ver-<lb/>
hindern, daß &#x017F;ich nicht eine Thra&#x0364;ne in ihr Auge<lb/>
dra&#x0364;ngte, und gieng &#x017F;till&#x017F;chweigend ab, doch nicht ohne<lb/>
auf <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;uglingen</hi> einen Blick zu werfen, in welchem<lb/>
er ihr ganzes Herz las.</p><lb/>
          <p>Der Ober&#x017F;te, ob er wohl, an &#x017F;ich, <hi rendition="#fr">Marianen</hi><lb/>
gern die&#x017F;e Demu&#x0364;thigung er&#x017F;part ha&#x0364;tte, war doch wohl<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">M 3</fw><fw place="bottom" type="catch">damit</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[177/0187] ‚Mein Kind! nehme Sie mir doch die Doſe ”auf!‛ — Mariane, uͤber die ganze Scene erſtaunt, ſtand ſprachlos da; denn ſo weit hatte das Fraͤulein die Un- hoͤflichkeit noch nicht getrieben. Saͤugling ſprang auf, und uͤberreichte dem Fraͤulein die Doſe. ‚Laſſen Sie,‛ rief ſie, ‚laſſen Sie, Herr von ”Saͤugling, Mariane wird ſie ſchon … Saͤugling nahm allen ſeinen Ernſt zuſammen, und verſetzte: ‚Verzeihen Sie, gnaͤdiges Fraͤulein, ”Jhnen aufzuwarten, halte ich nur fuͤr meine Schul- ”digkeit‛ Das Fraͤulein maß ihn mit den Augen von oben bis unten, und ſchlug ein bitteres Gelaͤchter auf. Mariane, welche empfand, daß die Demuͤthigung, wodurch ſie bis zu einer gemeinen Dienſtmagd herun- ter geſetzt werden ſollte, zu den Beleidigungen ge- hoͤre, fuͤr die man, ſo grob ſie ſind, keine Worte hat, um ſich daruͤber zu beſchweren, konnte nicht ver- hindern, daß ſich nicht eine Thraͤne in ihr Auge draͤngte, und gieng ſtillſchweigend ab, doch nicht ohne auf Saͤuglingen einen Blick zu werfen, in welchem er ihr ganzes Herz las. Der Oberſte, ob er wohl, an ſich, Marianen gern dieſe Demuͤthigung erſpart haͤtte, war doch wohl damit M 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/187
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/187>, abgerufen am 21.11.2024.