"nicht wehrlos. Wenn Sie mir nicht Genugthuung "geben wollen, werde ich sie mir nehmen, oder Sie "müßten jede kahle Sticheley doppelt von mir zurück "bekommen, und es ruhig ertragen wollen.'
Der Oberste ward lauter, Säugling auch. Das Fräulein saß ruhig, und wiegte sich mit dem Gedan- ken, auszusprengen, daß um ihretwillen ein Zwey- kampf geschehen wäre. Die Gräfinn kam, nach- dem sie die Kranke bis in das für sie bereitete Zim- mer begleitet hatte, zurück, forschte nach der Ursach des Streits, gab dem Obersten Unrecht, und verei- nigte beide um so viel leichter, weil der Oberste eben kein Liebhaber vom Halsbrechen war, und sich wirk- lich eingebildet hatte, der fanfte Säugling sey ein bloßes Jungferngesicht, und werde alles, was es auch sey, ohne Antwort einstecken.
Unterdessen gieng Mariane im Garten herum, um sich zu fassen, weil sie die Gräfinn mit Erzählung des ihr unangenehmen Vorfalles nicht kränken wollte, zumal da sie glaubte, daß die Ehrenkolbische Fami- lie nächstens abreisen würde. Rambold begegnete ihr, der, voll von seinem Projekte, im Garten herum- irrte. Sie gab ihm den Arm, weil sie durch seine Unterhaltung ihre Gedanken am geschwindesten zu zerstrenen hoffte. Rambold schwatzte, wie schon ge-
dacht,
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”nicht wehrlos. Wenn Sie mir nicht Genugthuung ”geben wollen, werde ich ſie mir nehmen, oder Sie ”muͤßten jede kahle Sticheley doppelt von mir zuruͤck ”bekommen, und es ruhig ertragen wollen.‛
Der Oberſte ward lauter, Saͤugling auch. Das Fraͤulein ſaß ruhig, und wiegte ſich mit dem Gedan- ken, auszuſprengen, daß um ihretwillen ein Zwey- kampf geſchehen waͤre. Die Graͤfinn kam, nach- dem ſie die Kranke bis in das fuͤr ſie bereitete Zim- mer begleitet hatte, zuruͤck, forſchte nach der Urſach des Streits, gab dem Oberſten Unrecht, und verei- nigte beide um ſo viel leichter, weil der Oberſte eben kein Liebhaber vom Halsbrechen war, und ſich wirk- lich eingebildet hatte, der fanfte Saͤugling ſey ein bloßes Jungferngeſicht, und werde alles, was es auch ſey, ohne Antwort einſtecken.
Unterdeſſen gieng Mariane im Garten herum, um ſich zu faſſen, weil ſie die Graͤfinn mit Erzaͤhlung des ihr unangenehmen Vorfalles nicht kraͤnken wollte, zumal da ſie glaubte, daß die Ehrenkolbiſche Fami- lie naͤchſtens abreiſen wuͤrde. Rambold begegnete ihr, der, voll von ſeinem Projekte, im Garten herum- irrte. Sie gab ihm den Arm, weil ſie durch ſeine Unterhaltung ihre Gedanken am geſchwindeſten zu zerſtrenen hoffte. Rambold ſchwatzte, wie ſchon ge-
dacht,
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”nicht wehrlos. Wenn Sie mir nicht Genugthuung
”geben wollen, werde ich ſie mir nehmen, oder Sie
”muͤßten jede kahle Sticheley doppelt von mir zuruͤck
”bekommen, und es ruhig ertragen wollen.‛
Der Oberſte ward lauter, Saͤugling auch. Das
Fraͤulein ſaß ruhig, und wiegte ſich mit dem Gedan-
ken, auszuſprengen, daß um ihretwillen ein Zwey-
kampf geſchehen waͤre. Die Graͤfinn kam, nach-
dem ſie die Kranke bis in das fuͤr ſie bereitete Zim-
mer begleitet hatte, zuruͤck, forſchte nach der Urſach
des Streits, gab dem Oberſten Unrecht, und verei-
nigte beide um ſo viel leichter, weil der Oberſte eben
kein Liebhaber vom Halsbrechen war, und ſich wirk-
lich eingebildet hatte, der fanfte Saͤugling ſey ein
bloßes Jungferngeſicht, und werde alles, was es
auch ſey, ohne Antwort einſtecken.
Unterdeſſen gieng Mariane im Garten herum, um
ſich zu faſſen, weil ſie die Graͤfinn mit Erzaͤhlung
des ihr unangenehmen Vorfalles nicht kraͤnken wollte,
zumal da ſie glaubte, daß die Ehrenkolbiſche Fami-
lie naͤchſtens abreiſen wuͤrde. Rambold begegnete
ihr, der, voll von ſeinem Projekte, im Garten herum-
irrte. Sie gab ihm den Arm, weil ſie durch ſeine
Unterhaltung ihre Gedanken am geſchwindeſten zu
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/191>, abgerufen am 16.02.2025.
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