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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

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merkte Umstände. Sie erzählte, mit welchem unge-
gewohnten Eifer sie Säugling gegen den Obersten
vertheidigt habe. Alles dieß zeugte wider Maria-
nens
Aussage. Sie konnte sich durch nichts verthei-
digen, als durch ihre Thränen, die oft die Waffen
der Unschuld, aber eben so oft auch der Deckmantel
der Verstellung sind; und Hieronymus Vorstellun-
gen, dem alle vorgefallenen Begebenheiten unbekannt
waren, konnten wenig Gewicht haben.

Die Gräfinn brach endlich kurz ab. Sie sagte zu
Marianen: ,Es ist in dieser Sache ein Geheimniß,
"das ich nicht aufzuklären vermag Jch liebe Sie, und
"wünsche daher, daß Sie unschuldig seyn mögen.
"Sind Sie es, so erinnern Sie sich doch aufs künf-
"tige, daß ein Frauenzimmer, das sich mit einer
"Mannsperson in ein Liebesverständniß, in einen ge-
"heimen Briefwechsel einläßt, und wenn es auch in
"der unschuldigsten Absicht wäre, derselben einen
"großen Vortheil über sich einräumet, und daß sie
"Verdacht erregen kann, wo sie es am wenigsten
"wünschet. Eine solche kleine Jntrigue kömmt
"einem jungen Frauenzimmer, ich weiß es wohl, so
"romantisch, so empfindsam vor, es dünkt sich so
"vom gemeinen Haufen unterschieden, einer Sappho
"oder Hero so ähnlich, wenn es an seinen Phaon

oder



merkte Umſtaͤnde. Sie erzaͤhlte, mit welchem unge-
gewohnten Eifer ſie Saͤugling gegen den Oberſten
vertheidigt habe. Alles dieß zeugte wider Maria-
nens
Ausſage. Sie konnte ſich durch nichts verthei-
digen, als durch ihre Thraͤnen, die oft die Waffen
der Unſchuld, aber eben ſo oft auch der Deckmantel
der Verſtellung ſind; und Hieronymus Vorſtellun-
gen, dem alle vorgefallenen Begebenheiten unbekannt
waren, konnten wenig Gewicht haben.

Die Graͤfinn brach endlich kurz ab. Sie ſagte zu
Marianen: ‚Es iſt in dieſer Sache ein Geheimniß,
”das ich nicht aufzuklaͤren vermag Jch liebe Sie, und
”wuͤnſche daher, daß Sie unſchuldig ſeyn moͤgen.
”Sind Sie es, ſo erinnern Sie ſich doch aufs kuͤnf-
”tige, daß ein Frauenzimmer, das ſich mit einer
”Mannsperſon in ein Liebesverſtaͤndniß, in einen ge-
”heimen Briefwechſel einlaͤßt, und wenn es auch in
”der unſchuldigſten Abſicht waͤre, derſelben einen
”großen Vortheil uͤber ſich einraͤumet, und daß ſie
”Verdacht erregen kann, wo ſie es am wenigſten
”wuͤnſchet. Eine ſolche kleine Jntrigue koͤmmt
”einem jungen Frauenzimmer, ich weiß es wohl, ſo
”romantiſch, ſo empfindſam vor, es duͤnkt ſich ſo
”vom gemeinen Haufen unterſchieden, einer Sappho
”oder Hero ſo aͤhnlich, wenn es an ſeinen Phaon

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[192/0204] merkte Umſtaͤnde. Sie erzaͤhlte, mit welchem unge- gewohnten Eifer ſie Saͤugling gegen den Oberſten vertheidigt habe. Alles dieß zeugte wider Maria- nens Ausſage. Sie konnte ſich durch nichts verthei- digen, als durch ihre Thraͤnen, die oft die Waffen der Unſchuld, aber eben ſo oft auch der Deckmantel der Verſtellung ſind; und Hieronymus Vorſtellun- gen, dem alle vorgefallenen Begebenheiten unbekannt waren, konnten wenig Gewicht haben. Die Graͤfinn brach endlich kurz ab. Sie ſagte zu Marianen: ‚Es iſt in dieſer Sache ein Geheimniß, ”das ich nicht aufzuklaͤren vermag Jch liebe Sie, und ”wuͤnſche daher, daß Sie unſchuldig ſeyn moͤgen. ”Sind Sie es, ſo erinnern Sie ſich doch aufs kuͤnf- ”tige, daß ein Frauenzimmer, das ſich mit einer ”Mannsperſon in ein Liebesverſtaͤndniß, in einen ge- ”heimen Briefwechſel einlaͤßt, und wenn es auch in ”der unſchuldigſten Abſicht waͤre, derſelben einen ”großen Vortheil uͤber ſich einraͤumet, und daß ſie ”Verdacht erregen kann, wo ſie es am wenigſten ”wuͤnſchet. Eine ſolche kleine Jntrigue koͤmmt ”einem jungen Frauenzimmer, ich weiß es wohl, ſo ”romantiſch, ſo empfindſam vor, es duͤnkt ſich ſo ”vom gemeinen Haufen unterſchieden, einer Sappho ”oder Hero ſo aͤhnlich, wenn es an ſeinen Phaon oder

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/204>, abgerufen am 21.11.2024.