Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775."oder Leander denken und schreiben kann. Dieses ro- "mantische Wesen aber, (wozu Sie, meine liebe Ma- "riane, einige Anlage haben,) ist zwar in Büchern "und in Gedichten schön und gut; wenn es aber ins ge- "meine Leben gebracht wird, so verursacht es, daß nie- "mand sich in die Lage schickt, in die er vom Schicksale ge- "setzt ist, sondern eine eigne Welt für sich allein haben "will. Jch wenigstens bin keine Liebhaberinn davon, und "ich verlange eine Gesellschafterinn, die davon ganz "frey ist. Die unbekannte Person, die sich für Sie "so stark interessirt, wird nicht sogleich ablassen; und "dieß könnte sich in eine neue Entführung oder in eine "andere unvermuthete romanhafte Scene endigen. "Wir können also nicht auf dem vorigen Fuße zusam- "menbleiben. Jndessen sollen Sie nicht verstoßen "seyn; bleiben Sie in meinem Hause, bis Sie auf "eine anständige Art versorgt werden; und wenn Sie "sich über den letztern unerklärlichen Vorfall rechtfer- "tigen können, will ich selbst für Jhr ferneres Glück "Sorge tragen.' Mariane weinte bitterlich, daß sie erst ihren Va- Sie N 3
”oder Leander denken und ſchreiben kann. Dieſes ro- ”mantiſche Weſen aber, (wozu Sie, meine liebe Ma- ”riane, einige Anlage haben,) iſt zwar in Buͤchern ”und in Gedichten ſchoͤn und gut; wenn es aber ins ge- ”meine Leben gebracht wird, ſo verurſacht es, daß nie- ”mand ſich in die Lage ſchickt, in die er vom Schickſale ge- ”ſetzt iſt, ſondern eine eigne Welt fuͤr ſich allein haben ”will. Jch wenigſtens bin keine Liebhaberinn davon, und ”ich verlange eine Geſellſchafterinn, die davon ganz ”frey iſt. Die unbekannte Perſon, die ſich fuͤr Sie ”ſo ſtark intereſſirt, wird nicht ſogleich ablaſſen; und ”dieß koͤnnte ſich in eine neue Entfuͤhrung oder in eine ”andere unvermuthete romanhafte Scene endigen. ”Wir koͤnnen alſo nicht auf dem vorigen Fuße zuſam- ”menbleiben. Jndeſſen ſollen Sie nicht verſtoßen ”ſeyn; bleiben Sie in meinem Hauſe, bis Sie auf ”eine anſtaͤndige Art verſorgt werden; und wenn Sie ”ſich uͤber den letztern unerklaͤrlichen Vorfall rechtfer- ”tigen koͤnnen, will ich ſelbſt fuͤr Jhr ferneres Gluͤck ”Sorge tragen.‛ Mariane weinte bitterlich, daß ſie erſt ihren Va- Sie N 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0205" n="193"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> ”oder <hi rendition="#fr">Leander</hi> denken und ſchreiben kann. Dieſes ro-<lb/> ”mantiſche Weſen aber, (wozu Sie, meine liebe <hi rendition="#fr">Ma-<lb/> ”riane,</hi> einige Anlage haben,) iſt zwar in Buͤchern<lb/> ”und in Gedichten ſchoͤn und gut; wenn es aber ins ge-<lb/> ”meine Leben gebracht wird, ſo verurſacht es, daß nie-<lb/> ”mand ſich in die Lage ſchickt, in die er vom Schickſale ge-<lb/> ”ſetzt iſt, ſondern eine eigne Welt fuͤr ſich allein haben<lb/> ”will. Jch wenigſtens bin keine Liebhaberinn davon, und<lb/> ”ich verlange eine Geſellſchafterinn, die davon ganz<lb/> ”frey iſt. Die unbekannte Perſon, die ſich fuͤr Sie<lb/> ”ſo ſtark intereſſirt, wird nicht ſogleich ablaſſen; und<lb/> ”dieß koͤnnte ſich in eine neue Entfuͤhrung oder in eine<lb/> ”andere unvermuthete romanhafte Scene endigen.<lb/> ”Wir koͤnnen alſo nicht auf dem vorigen Fuße zuſam-<lb/> ”menbleiben. Jndeſſen ſollen Sie nicht verſtoßen<lb/> ”ſeyn; bleiben Sie in meinem Hauſe, bis Sie auf<lb/> ”eine anſtaͤndige Art verſorgt werden; und wenn Sie<lb/> ”ſich uͤber den letztern unerklaͤrlichen Vorfall rechtfer-<lb/> ”tigen koͤnnen, will ich ſelbſt fuͤr Jhr ferneres Gluͤck<lb/> ”Sorge tragen.‛</p><lb/> <p><hi rendition="#fr">Mariane</hi> weinte bitterlich, daß ſie erſt ihren Va-<lb/> ter und nun auch ihre Goͤnnerinn verlor, und daß<lb/> ihr Schickſal ſie, ohne ihr Verſchulden, in einen Ver-<lb/> dacht brachte, den ſie nicht widerlegen konnte, und<lb/> der noch dazu, ungluͤcklicherweiſe, wahrſcheinlich war.<lb/> <fw place="bottom" type="sig">N 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Sie</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [193/0205]
”oder Leander denken und ſchreiben kann. Dieſes ro-
”mantiſche Weſen aber, (wozu Sie, meine liebe Ma-
”riane, einige Anlage haben,) iſt zwar in Buͤchern
”und in Gedichten ſchoͤn und gut; wenn es aber ins ge-
”meine Leben gebracht wird, ſo verurſacht es, daß nie-
”mand ſich in die Lage ſchickt, in die er vom Schickſale ge-
”ſetzt iſt, ſondern eine eigne Welt fuͤr ſich allein haben
”will. Jch wenigſtens bin keine Liebhaberinn davon, und
”ich verlange eine Geſellſchafterinn, die davon ganz
”frey iſt. Die unbekannte Perſon, die ſich fuͤr Sie
”ſo ſtark intereſſirt, wird nicht ſogleich ablaſſen; und
”dieß koͤnnte ſich in eine neue Entfuͤhrung oder in eine
”andere unvermuthete romanhafte Scene endigen.
”Wir koͤnnen alſo nicht auf dem vorigen Fuße zuſam-
”menbleiben. Jndeſſen ſollen Sie nicht verſtoßen
”ſeyn; bleiben Sie in meinem Hauſe, bis Sie auf
”eine anſtaͤndige Art verſorgt werden; und wenn Sie
”ſich uͤber den letztern unerklaͤrlichen Vorfall rechtfer-
”tigen koͤnnen, will ich ſelbſt fuͤr Jhr ferneres Gluͤck
”Sorge tragen.‛
Mariane weinte bitterlich, daß ſie erſt ihren Va-
ter und nun auch ihre Goͤnnerinn verlor, und daß
ihr Schickſal ſie, ohne ihr Verſchulden, in einen Ver-
dacht brachte, den ſie nicht widerlegen konnte, und
der noch dazu, ungluͤcklicherweiſe, wahrſcheinlich war.
Sie
N 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |