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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

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zens, die weisesten Lehren und Erinnerungen, und
beschenkte sie mit einer ansehnlichen Summe. Ma-
riane
empfand alles, was sie an dieser edlen Dame
verlor, küßte ihr weinend die Hände, umarmte
ihren Freund Hieronymus, und so stieg sie mit schwe-
rem Herzen in den Wagen, und kam, in kleinen Ta-
gereisen, in der Wohnung des Verwalters an.

Siebenter Abschnitt.

Der Verwalter gehörte zu den Leuten, von denen
man zu sagen pflegt, daß sie wissen, wie es
in der Welt zugeht.
Diese Leute glauben bemerkt
zu haben, daß diejenigen in der Welt am weitesten
kommen, die sich um den Nutzen anderer viel weni-
ger bekümmern, als um ihren eigenen, die niemand
gutes thun, als den sie zu brauchen gedenken,
und also den hülflosen Unglücklichen, der vor ihren
Füßen niederfällt, liegen lassen, ohne ihn anzusehen,
um sich zu dem zu drängen, der sie ein Paar Schritte
weiter fortziehen kann. Mit diesen brauchbaren
Grundsätzen war er in der Welt ziemlich fortgekom-
men; denn er war aus dem allerniedrigsten Stande
bis zu Stelle eines Verwalters ansehnlicher adelicher
Güter gestiegen, und verwaltete sie mit so gutem Er-

folge,



zens, die weiſeſten Lehren und Erinnerungen, und
beſchenkte ſie mit einer anſehnlichen Summe. Ma-
riane
empfand alles, was ſie an dieſer edlen Dame
verlor, kuͤßte ihr weinend die Haͤnde, umarmte
ihren Freund Hieronymus, und ſo ſtieg ſie mit ſchwe-
rem Herzen in den Wagen, und kam, in kleinen Ta-
gereiſen, in der Wohnung des Verwalters an.

Siebenter Abſchnitt.

Der Verwalter gehoͤrte zu den Leuten, von denen
man zu ſagen pflegt, daß ſie wiſſen, wie es
in der Welt zugeht.
Dieſe Leute glauben bemerkt
zu haben, daß diejenigen in der Welt am weiteſten
kommen, die ſich um den Nutzen anderer viel weni-
ger bekuͤmmern, als um ihren eigenen, die niemand
gutes thun, als den ſie zu brauchen gedenken,
und alſo den huͤlfloſen Ungluͤcklichen, der vor ihren
Fuͤßen niederfaͤllt, liegen laſſen, ohne ihn anzuſehen,
um ſich zu dem zu draͤngen, der ſie ein Paar Schritte
weiter fortziehen kann. Mit dieſen brauchbaren
Grundſaͤtzen war er in der Welt ziemlich fortgekom-
men; denn er war aus dem allerniedrigſten Stande
bis zu Stelle eines Verwalters anſehnlicher adelicher
Guͤter geſtiegen, und verwaltete ſie mit ſo gutem Er-

folge,
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[196/0208] zens, die weiſeſten Lehren und Erinnerungen, und beſchenkte ſie mit einer anſehnlichen Summe. Ma- riane empfand alles, was ſie an dieſer edlen Dame verlor, kuͤßte ihr weinend die Haͤnde, umarmte ihren Freund Hieronymus, und ſo ſtieg ſie mit ſchwe- rem Herzen in den Wagen, und kam, in kleinen Ta- gereiſen, in der Wohnung des Verwalters an. Siebenter Abſchnitt. Der Verwalter gehoͤrte zu den Leuten, von denen man zu ſagen pflegt, daß ſie wiſſen, wie es in der Welt zugeht. Dieſe Leute glauben bemerkt zu haben, daß diejenigen in der Welt am weiteſten kommen, die ſich um den Nutzen anderer viel weni- ger bekuͤmmern, als um ihren eigenen, die niemand gutes thun, als den ſie zu brauchen gedenken, und alſo den huͤlfloſen Ungluͤcklichen, der vor ihren Fuͤßen niederfaͤllt, liegen laſſen, ohne ihn anzuſehen, um ſich zu dem zu draͤngen, der ſie ein Paar Schritte weiter fortziehen kann. Mit dieſen brauchbaren Grundſaͤtzen war er in der Welt ziemlich fortgekom- men; denn er war aus dem allerniedrigſten Stande bis zu Stelle eines Verwalters anſehnlicher adelicher Guͤter geſtiegen, und verwaltete ſie mit ſo gutem Er- folge,

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/208>, abgerufen am 24.11.2024.