den folgenden Morgen bekam sie unvermuthet den Obersten zu sehen.
Der Oberste war ein Männchen, das, wie wir schon bemerkt haben, von seiner Person eine nicht ge- ringe Meinung hegte. Er hatte zwey Jahr auf Uni- versitäten reiten lernen, und Billard gespielt, hatte sich, etwan ein halbes Jahr vor erfolgtem Frieden ein Re- giment gekauft, mit dem er verschiedenen Fouragi- rungen beygewohnt, es bey einigen Rückmärschen in der Avantgarde kommandirt, und es darauf wohlbe- halten in die Winterquartiere geführt hatte. Die folgende Zeit hatte er meist am Hofe zugebracht. Aus diesem glorreichen Lebenslaufe glaubte er, müsse er- hellen, daß er ein Mann sey, gelehrt, tapfer und voll Weltkenntniß. Er suchte alle Dinge zu affekti- ren, die ihm die Natur versagt zu haben schien. Unerachtet er in seinem ganzen Betragen flüchtig und läppisch war, so pflegte er doch gemeiniglich eine weise Miene anzunehmen, und den Zeigefinger an die Nase zu legen, wenn er gleich gar nichts tiefsinni- ges sagte. Unerachtet er unbeständig und verän- derlich war, und dabey die Bequemlichkeit liebte, so redete er doch beständig von der Standhaftigkeit, von der Anstrengung und Anspannung der Kräfte, und von festen Vorsätzen, die man unverrückt ausführen
müßte.
den folgenden Morgen bekam ſie unvermuthet den Oberſten zu ſehen.
Der Oberſte war ein Maͤnnchen, das, wie wir ſchon bemerkt haben, von ſeiner Perſon eine nicht ge- ringe Meinung hegte. Er hatte zwey Jahr auf Uni- verſitaͤten reiten lernen, und Billard geſpielt, hatte ſich, etwan ein halbes Jahr vor erfolgtem Frieden ein Re- giment gekauft, mit dem er verſchiedenen Fouragi- rungen beygewohnt, es bey einigen Ruͤckmaͤrſchen in der Avantgarde kommandirt, und es darauf wohlbe- halten in die Winterquartiere gefuͤhrt hatte. Die folgende Zeit hatte er meiſt am Hofe zugebracht. Aus dieſem glorreichen Lebenslaufe glaubte er, muͤſſe er- hellen, daß er ein Mann ſey, gelehrt, tapfer und voll Weltkenntniß. Er ſuchte alle Dinge zu affekti- ren, die ihm die Natur verſagt zu haben ſchien. Unerachtet er in ſeinem ganzen Betragen fluͤchtig und laͤppiſch war, ſo pflegte er doch gemeiniglich eine weiſe Miene anzunehmen, und den Zeigefinger an die Naſe zu legen, wenn er gleich gar nichts tiefſinni- ges ſagte. Unerachtet er unbeſtaͤndig und veraͤn- derlich war, und dabey die Bequemlichkeit liebte, ſo redete er doch beſtaͤndig von der Standhaftigkeit, von der Anſtrengung und Anſpannung der Kraͤfte, und von feſten Vorſaͤtzen, die man unverruͤckt ausfuͤhren
muͤßte.
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den folgenden Morgen bekam ſie unvermuthet den
Oberſten zu ſehen.
Der Oberſte war ein Maͤnnchen, das, wie wir
ſchon bemerkt haben, von ſeiner Perſon eine nicht ge-
ringe Meinung hegte. Er hatte zwey Jahr auf Uni-
verſitaͤten reiten lernen, und Billard geſpielt, hatte ſich,
etwan ein halbes Jahr vor erfolgtem Frieden ein Re-
giment gekauft, mit dem er verſchiedenen Fouragi-
rungen beygewohnt, es bey einigen Ruͤckmaͤrſchen in
der Avantgarde kommandirt, und es darauf wohlbe-
halten in die Winterquartiere gefuͤhrt hatte. Die
folgende Zeit hatte er meiſt am Hofe zugebracht. Aus
dieſem glorreichen Lebenslaufe glaubte er, muͤſſe er-
hellen, daß er ein Mann ſey, gelehrt, tapfer und
voll Weltkenntniß. Er ſuchte alle Dinge zu affekti-
ren, die ihm die Natur verſagt zu haben ſchien.
Unerachtet er in ſeinem ganzen Betragen fluͤchtig
und laͤppiſch war, ſo pflegte er doch gemeiniglich eine
weiſe Miene anzunehmen, und den Zeigefinger an
die Naſe zu legen, wenn er gleich gar nichts tiefſinni-
ges ſagte. Unerachtet er unbeſtaͤndig und veraͤn-
derlich war, und dabey die Bequemlichkeit liebte, ſo
redete er doch beſtaͤndig von der Standhaftigkeit, von
der Anſtrengung und Anſpannung der Kraͤfte, und
von feſten Vorſaͤtzen, die man unverruͤckt ausfuͤhren
muͤßte.
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/211>, abgerufen am 16.02.2025.
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