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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

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"der Landstraße gefunden zu haben vorgab. Kurz
"vorher hatte ich Nothankers Geschichte gelesen.
"Gleich fiel mirs aufs Herz, ob diese Sachen nicht
"von dem geplünderten Postwagen seyn möchten.'

Jst diese Erzälung richtig, so hätte auf den Titel
gesetzt werden sollen: Aus dem Makulatur eines
Dessauischen Juden abgedruckt,
nicht aber: Aus
Sebaldus Papieren gezogen,
denn dieß letztere
Vorgeben ist durch nichts erwiesen. Der Heraus-
geber hat bey seiner Muthmaßung, die er bloß auf
seine Erzählung bauet, in der That sehr wenig hi-
storische Kritik
gezeigt Hätte er doch mehr auf
die Chronologie, welche die Fackel der Geschichte
ist, geachtet. Jsts wohl warscheinlich, daß Klei-
dungsstücke, welche 1763 auf einem Postwagen ver-
loren gegangen sind, noch 1773, unverkauft, mit
dem Papier worinn sie anfänglich gewickelt gewesen,
in den Händen eines Juden seyn sollten? Und war-
um that er an den Juden die unnöthige Frage,
,wie er zu Christlichen Halskrausen komme?'
da es ja bekannt ist, daß die Juden abgetragene
Christliche Kleider mit eben so wenigem Bedenken in
ihre Laden aufnehmen, als die Christen manche abgetra-
gene Jüdische Lehre in ihre Dogmatik aufgenommen

haben.



”der Landſtraße gefunden zu haben vorgab. Kurz
”vorher hatte ich Nothankers Geſchichte geleſen.
”Gleich fiel mirs aufs Herz, ob dieſe Sachen nicht
”von dem gepluͤnderten Poſtwagen ſeyn moͤchten.‛

Jſt dieſe Erzaͤlung richtig, ſo haͤtte auf den Titel
geſetzt werden ſollen: Aus dem Makulatur eines
Deſſauiſchen Juden abgedruckt,
nicht aber: Aus
Sebaldus Papieren gezogen,
denn dieß letztere
Vorgeben iſt durch nichts erwieſen. Der Heraus-
geber hat bey ſeiner Muthmaßung, die er bloß auf
ſeine Erzaͤhlung bauet, in der That ſehr wenig hi-
ſtoriſche Kritik
gezeigt Haͤtte er doch mehr auf
die Chronologie, welche die Fackel der Geſchichte
iſt, geachtet. Jſts wohl warſcheinlich, daß Klei-
dungsſtuͤcke, welche 1763 auf einem Poſtwagen ver-
loren gegangen ſind, noch 1773, unverkauft, mit
dem Papier worinn ſie anfaͤnglich gewickelt geweſen,
in den Haͤnden eines Juden ſeyn ſollten? Und war-
um that er an den Juden die unnoͤthige Frage,
‚wie er zu Chriſtlichen Halskrauſen komme?‛
da es ja bekannt iſt, daß die Juden abgetragene
Chriſtliche Kleider mit eben ſo wenigem Bedenken in
ihre Laden aufnehmen, als die Chriſten manche abgetra-
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[267/0281] ”der Landſtraße gefunden zu haben vorgab. Kurz ”vorher hatte ich Nothankers Geſchichte geleſen. ”Gleich fiel mirs aufs Herz, ob dieſe Sachen nicht ”von dem gepluͤnderten Poſtwagen ſeyn moͤchten.‛ Jſt dieſe Erzaͤlung richtig, ſo haͤtte auf den Titel geſetzt werden ſollen: Aus dem Makulatur eines Deſſauiſchen Juden abgedruckt, nicht aber: Aus Sebaldus Papieren gezogen, denn dieß letztere Vorgeben iſt durch nichts erwieſen. Der Heraus- geber hat bey ſeiner Muthmaßung, die er bloß auf ſeine Erzaͤhlung bauet, in der That ſehr wenig hi- ſtoriſche Kritik gezeigt Haͤtte er doch mehr auf die Chronologie, welche die Fackel der Geſchichte iſt, geachtet. Jſts wohl warſcheinlich, daß Klei- dungsſtuͤcke, welche 1763 auf einem Poſtwagen ver- loren gegangen ſind, noch 1773, unverkauft, mit dem Papier worinn ſie anfaͤnglich gewickelt geweſen, in den Haͤnden eines Juden ſeyn ſollten? Und war- um that er an den Juden die unnoͤthige Frage, ‚wie er zu Chriſtlichen Halskrauſen komme?‛ da es ja bekannt iſt, daß die Juden abgetragene Chriſtliche Kleider mit eben ſo wenigem Bedenken in ihre Laden aufnehmen, als die Chriſten manche abgetra- gene Juͤdiſche Lehre in ihre Dogmatik aufgenommen haben.

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/281>, abgerufen am 25.11.2024.