"er sich gegen mich deutlich erklärte, konnte ich wohl "merken, daß seine Zuneigung gegen mich abgenom- "men hatte.'
,Mein Unstern trieb mich endlich, ein Buch zu "schreiben, worinn ich mich über gewisse dogmatische "und moralische Materien, über die ich lange und "reiflich nachgedacht hatte, freymüthig erklärte. Dieß "machte im Städtchen Aufsehen. Weder der Su- "perintendent, noch meine übrigen Kollegen, nebst "ihren Vorfahren seit drey Generationen, hatten je- "mals ein Buch geschrieben. Man hielt mich also "für naseweise, daß ich, als der jüngste Diakon, "hierinn eine Neuerung machen wollte. Selbst der Su- "perintendent billigte diesen Schritt nicht, besonders "war ihm die dreiste und freymüthige Art, mit der ich "verjährte Vorurtheile angegriffen hatte, sehr mißfällig.'
,Vergebens erinnerte ich ihn, daß dieses eben "die Sätze wären, über deren Richtigkeit wir oft "in unsern Unterredungen übereingekommen wä- "ren, und die ich zum Theil oft aus seinem eigenen "Munde gehört hätte.'
"Das war ganz etwas anders, versetzte er, etwas er- "hitzt: dergleichen Sachen kann man wohl unter vier "Augen untersuchen, aber man muß sie nicht öffentlich "sagen. Und Sie am wenigsten, als ein Prediger, hät-
"ten
”er ſich gegen mich deutlich erklaͤrte, konnte ich wohl ”merken, daß ſeine Zuneigung gegen mich abgenom- ”men hatte.‛
‚Mein Unſtern trieb mich endlich, ein Buch zu ”ſchreiben, worinn ich mich uͤber gewiſſe dogmatiſche ”und moraliſche Materien, uͤber die ich lange und ”reiflich nachgedacht hatte, freymuͤthig erklaͤrte. Dieß ”machte im Staͤdtchen Aufſehen. Weder der Su- ”perintendent, noch meine uͤbrigen Kollegen, nebſt ”ihren Vorfahren ſeit drey Generationen, hatten je- ”mals ein Buch geſchrieben. Man hielt mich alſo ”fuͤr naſeweiſe, daß ich, als der juͤngſte Diakon, ”hierinn eine Neuerung machen wollte. Selbſt der Su- ”perintendent billigte dieſen Schritt nicht, beſonders ”war ihm die dreiſte und freymuͤthige Art, mit der ich ”verjaͤhrte Vorurtheile angegriffen hatte, ſehr mißfaͤllig.‛
‚Vergebens erinnerte ich ihn, daß dieſes eben ”die Saͤtze waͤren, uͤber deren Richtigkeit wir oft ”in unſern Unterredungen uͤbereingekommen waͤ- ”ren, und die ich zum Theil oft aus ſeinem eigenen ”Munde gehoͤrt haͤtte.‛
„Das war ganz etwas anders, verſetzte er, etwas er- ”hitzt: dergleichen Sachen kann man wohl unter vier ”Augen unterſuchen, aber man muß ſie nicht oͤffentlich ”ſagen. Und Sie am wenigſten, als ein Prediger, haͤt-
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”er ſich gegen mich deutlich erklaͤrte, konnte ich wohl
”merken, daß ſeine Zuneigung gegen mich abgenom-
”men hatte.‛
‚Mein Unſtern trieb mich endlich, ein Buch zu
”ſchreiben, worinn ich mich uͤber gewiſſe dogmatiſche
”und moraliſche Materien, uͤber die ich lange und
”reiflich nachgedacht hatte, freymuͤthig erklaͤrte. Dieß
”machte im Staͤdtchen Aufſehen. Weder der Su-
”perintendent, noch meine uͤbrigen Kollegen, nebſt
”ihren Vorfahren ſeit drey Generationen, hatten je-
”mals ein Buch geſchrieben. Man hielt mich alſo
”fuͤr naſeweiſe, daß ich, als der juͤngſte Diakon,
”hierinn eine Neuerung machen wollte. Selbſt der Su-
”perintendent billigte dieſen Schritt nicht, beſonders
”war ihm die dreiſte und freymuͤthige Art, mit der ich
”verjaͤhrte Vorurtheile angegriffen hatte, ſehr mißfaͤllig.‛
‚Vergebens erinnerte ich ihn, daß dieſes eben
”die Saͤtze waͤren, uͤber deren Richtigkeit wir oft
”in unſern Unterredungen uͤbereingekommen waͤ-
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”Munde gehoͤrt haͤtte.‛
„Das war ganz etwas anders, verſetzte er, etwas er-
”hitzt: dergleichen Sachen kann man wohl unter vier
”Augen unterſuchen, aber man muß ſie nicht oͤffentlich
”ſagen. Und Sie am wenigſten, als ein Prediger, haͤt-
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/62>, abgerufen am 16.02.2025.
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