Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



Woche vorbeygeht, ohne daß irgendwoher den Rei-
chen ein so stattliches Digestivmittel dargeboten wer-
de, welches für sie allemahl wohlthätig, und nur blos
den Armen zuweilen etwas zu drastisch ist.

Wenige Tage, nachdem Sebaldus in sein Amt
eines Zeitungslesers eingesetzt worden war, stand in
einer Zeitung, die Gewinnliste, ich weiß nicht wel-
cher Zahlenlotterie. Er mußte sie ganz vorlesen,
weil sie dem alten Säugling, wegen vieler, über die
Folge der Zahlen in dieser Lotterie, gemachten Spe-
kulationen, sehr interessant war. Sebaldus verstand
aber so wenig davon, als ob sie polnisch geschrieben
gewesen wäre. Der alte Säugling, der schon diese
Tage über, wenn er in den Zeitungen über man-
che Namen und Sachen zweifelte, Sebaldus histo-
rische und geographische Kenntnisse, nachgebend hatte
annehmen müssen, that sich jetzt was rechts darauf
zu gute, daß er nun demselben erklären konnte, was
Ambe und Terne, und andere zur Lotterie gehö-
rige Worte bedeuteten. Er gerieth dabey in sol-
chen Eifer, daß er dem Sebaldus anlag, sich fünf
Zahlen auszulesen und auf dieselben zu setzen. Se-
baldus
hatte keine Lust, und verirrte sich in die Lo-
gik der Wahrscheinlichkeit,
um zu beweisen, daß
keine Zahl vor der andern, mehr Wahrscheinlichkeit

heraus-
G 2



Woche vorbeygeht, ohne daß irgendwoher den Rei-
chen ein ſo ſtattliches Digeſtivmittel dargeboten wer-
de, welches fuͤr ſie allemahl wohlthaͤtig, und nur blos
den Armen zuweilen etwas zu draſtiſch iſt.

Wenige Tage, nachdem Sebaldus in ſein Amt
eines Zeitungsleſers eingeſetzt worden war, ſtand in
einer Zeitung, die Gewinnliſte, ich weiß nicht wel-
cher Zahlenlotterie. Er mußte ſie ganz vorleſen,
weil ſie dem alten Saͤugling, wegen vieler, uͤber die
Folge der Zahlen in dieſer Lotterie, gemachten Spe-
kulationen, ſehr intereſſant war. Sebaldus verſtand
aber ſo wenig davon, als ob ſie polniſch geſchrieben
geweſen waͤre. Der alte Saͤugling, der ſchon dieſe
Tage uͤber, wenn er in den Zeitungen uͤber man-
che Namen und Sachen zweifelte, Sebaldus hiſto-
riſche und geographiſche Kenntniſſe, nachgebend hatte
annehmen muͤſſen, that ſich jetzt was rechts darauf
zu gute, daß er nun demſelben erklaͤren konnte, was
Ambe und Terne, und andere zur Lotterie gehoͤ-
rige Worte bedeuteten. Er gerieth dabey in ſol-
chen Eifer, daß er dem Sebaldus anlag, ſich fuͤnf
Zahlen auszuleſen und auf dieſelben zu ſetzen. Se-
baldus
hatte keine Luſt, und verirrte ſich in die Lo-
gik der Wahrſcheinlichkeit,
um zu beweiſen, daß
keine Zahl vor der andern, mehr Wahrſcheinlichkeit

heraus-
G 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0107" n="97[96]"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Woche vorbeygeht, ohne daß irgendwoher den Rei-<lb/>
chen ein &#x017F;o &#x017F;tattliches Dige&#x017F;tivmittel dargeboten wer-<lb/>
de, welches fu&#x0364;r &#x017F;ie allemahl wohltha&#x0364;tig, und nur blos<lb/>
den Armen zuweilen etwas zu <hi rendition="#fr">dra&#x017F;ti&#x017F;ch</hi> i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Wenige Tage, nachdem <hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> in &#x017F;ein Amt<lb/>
eines Zeitungsle&#x017F;ers einge&#x017F;etzt worden war, &#x017F;tand in<lb/>
einer Zeitung, die Gewinnli&#x017F;te, ich weiß nicht wel-<lb/>
cher Zahlenlotterie. Er mußte &#x017F;ie ganz vorle&#x017F;en,<lb/>
weil &#x017F;ie dem alten <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ugling,</hi> wegen vieler, u&#x0364;ber die<lb/>
Folge der Zahlen in die&#x017F;er Lotterie, gemachten Spe-<lb/>
kulationen, &#x017F;ehr intere&#x017F;&#x017F;ant war. <hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> ver&#x017F;tand<lb/>
aber &#x017F;o wenig davon, als ob &#x017F;ie polni&#x017F;ch ge&#x017F;chrieben<lb/>
gewe&#x017F;en wa&#x0364;re. Der alte <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ugling,</hi> der &#x017F;chon die&#x017F;e<lb/>
Tage u&#x0364;ber, wenn er in den Zeitungen u&#x0364;ber man-<lb/>
che Namen und Sachen zweifelte, <hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> hi&#x017F;to-<lb/>
ri&#x017F;che und geographi&#x017F;che Kenntni&#x017F;&#x017F;e, nachgebend hatte<lb/>
annehmen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, that &#x017F;ich jetzt was rechts darauf<lb/>
zu gute, daß er nun dem&#x017F;elben erkla&#x0364;ren konnte, was<lb/><hi rendition="#fr">Ambe</hi> und <hi rendition="#fr">Terne,</hi> und andere zur Lotterie geho&#x0364;-<lb/>
rige Worte bedeuteten. Er gerieth dabey in &#x017F;ol-<lb/>
chen Eifer, daß er dem <hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> anlag, &#x017F;ich fu&#x0364;nf<lb/>
Zahlen auszule&#x017F;en und auf die&#x017F;elben zu &#x017F;etzen. <hi rendition="#fr">Se-<lb/>
baldus</hi> hatte keine Lu&#x017F;t, und verirrte &#x017F;ich in die <hi rendition="#fr">Lo-<lb/>
gik der Wahr&#x017F;cheinlichkeit,</hi> um zu bewei&#x017F;en, daß<lb/>
keine Zahl vor der andern, mehr Wahr&#x017F;cheinlichkeit<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 2</fw><fw place="bottom" type="catch">heraus-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[97[96]/0107] Woche vorbeygeht, ohne daß irgendwoher den Rei- chen ein ſo ſtattliches Digeſtivmittel dargeboten wer- de, welches fuͤr ſie allemahl wohlthaͤtig, und nur blos den Armen zuweilen etwas zu draſtiſch iſt. Wenige Tage, nachdem Sebaldus in ſein Amt eines Zeitungsleſers eingeſetzt worden war, ſtand in einer Zeitung, die Gewinnliſte, ich weiß nicht wel- cher Zahlenlotterie. Er mußte ſie ganz vorleſen, weil ſie dem alten Saͤugling, wegen vieler, uͤber die Folge der Zahlen in dieſer Lotterie, gemachten Spe- kulationen, ſehr intereſſant war. Sebaldus verſtand aber ſo wenig davon, als ob ſie polniſch geſchrieben geweſen waͤre. Der alte Saͤugling, der ſchon dieſe Tage uͤber, wenn er in den Zeitungen uͤber man- che Namen und Sachen zweifelte, Sebaldus hiſto- riſche und geographiſche Kenntniſſe, nachgebend hatte annehmen muͤſſen, that ſich jetzt was rechts darauf zu gute, daß er nun demſelben erklaͤren konnte, was Ambe und Terne, und andere zur Lotterie gehoͤ- rige Worte bedeuteten. Er gerieth dabey in ſol- chen Eifer, daß er dem Sebaldus anlag, ſich fuͤnf Zahlen auszuleſen und auf dieſelben zu ſetzen. Se- baldus hatte keine Luſt, und verirrte ſich in die Lo- gik der Wahrſcheinlichkeit, um zu beweiſen, daß keine Zahl vor der andern, mehr Wahrſcheinlichkeit heraus- G 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/107
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776, S. 97[96]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/107>, abgerufen am 18.12.2024.