Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



der härteste Hunger den Widerwillen dagegen be-
zwingen konnte. Abends mußte er sich, unter den
übrigen, auf das elende Strohlager legen.

Den andern Morgen ward er wieder vor den See-
lenverkäufer gebracht. Dieser suchte ihn nunmehr
durch freundliches Zureden und durch starkes Getränk
zur Unterschrift zu verleiten. Da Sebaldus sich
aber standhaft weigerte, und aus seiner ungerechten
Gefangenschaft entlaßen zu werden verlangte, so
hieß es endlich, er möchte vierzehn Gulden für Woh-
nung und Kost des gestrigen Tages zahlen, so könne
er frey weggehen. Sebaldus, froh, griff in die Ta-
sche, aber ein angestellter Bube, hatte ihm in der
Nacht sein Geld gestohlen. Er ward nunmehr hart
angefahren, und ihm nur noch bis auf den Abend
Bedenkzeit gegeben, und da er alsdenn noch bey sei-
ner Weigerung blieb, ward er auf den Söller ge-
führt, daselbst an einen Pfosten gebunden, und so
lange unbarmherzig gegeisselt, bis die Schmerzen
ihn nöthigten, endlich die verlangte Einwilligung
zu geben.

Er ward wieder in den Keller zurückgebracht, und
konnte die ganze Nacht kein Auge schliessen, theils
wegen Schmerzen, theils wegen der Seufzer seines
kranken Nachbars, welcher mit dem Tode rang und

gegen



der haͤrteſte Hunger den Widerwillen dagegen be-
zwingen konnte. Abends mußte er ſich, unter den
uͤbrigen, auf das elende Strohlager legen.

Den andern Morgen ward er wieder vor den See-
lenverkaͤufer gebracht. Dieſer ſuchte ihn nunmehr
durch freundliches Zureden und durch ſtarkes Getraͤnk
zur Unterſchrift zu verleiten. Da Sebaldus ſich
aber ſtandhaft weigerte, und aus ſeiner ungerechten
Gefangenſchaft entlaßen zu werden verlangte, ſo
hieß es endlich, er moͤchte vierzehn Gulden fuͤr Woh-
nung und Koſt des geſtrigen Tages zahlen, ſo koͤnne
er frey weggehen. Sebaldus, froh, griff in die Ta-
ſche, aber ein angeſtellter Bube, hatte ihm in der
Nacht ſein Geld geſtohlen. Er ward nunmehr hart
angefahren, und ihm nur noch bis auf den Abend
Bedenkzeit gegeben, und da er alsdenn noch bey ſei-
ner Weigerung blieb, ward er auf den Soͤller ge-
fuͤhrt, daſelbſt an einen Pfoſten gebunden, und ſo
lange unbarmherzig gegeiſſelt, bis die Schmerzen
ihn noͤthigten, endlich die verlangte Einwilligung
zu geben.

Er ward wieder in den Keller zuruͤckgebracht, und
konnte die ganze Nacht kein Auge ſchlieſſen, theils
wegen Schmerzen, theils wegen der Seufzer ſeines
kranken Nachbars, welcher mit dem Tode rang und

gegen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0054" n="46[45]"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
der ha&#x0364;rte&#x017F;te Hunger den Widerwillen dagegen be-<lb/>
zwingen konnte. Abends mußte er &#x017F;ich, unter den<lb/>
u&#x0364;brigen, auf das elende Strohlager legen.</p><lb/>
          <p>Den andern Morgen ward er wieder vor den See-<lb/>
lenverka&#x0364;ufer gebracht. Die&#x017F;er &#x017F;uchte ihn nunmehr<lb/>
durch freundliches Zureden und durch &#x017F;tarkes Getra&#x0364;nk<lb/>
zur Unter&#x017F;chrift zu verleiten. Da <hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> &#x017F;ich<lb/>
aber &#x017F;tandhaft weigerte, und aus &#x017F;einer ungerechten<lb/>
Gefangen&#x017F;chaft entlaßen zu werden verlangte, &#x017F;o<lb/>
hieß es endlich, er mo&#x0364;chte vierzehn Gulden fu&#x0364;r Woh-<lb/>
nung und Ko&#x017F;t des ge&#x017F;trigen Tages zahlen, &#x017F;o ko&#x0364;nne<lb/>
er frey weggehen. <hi rendition="#fr">Sebaldus,</hi> froh, griff in die Ta-<lb/>
&#x017F;che, aber ein ange&#x017F;tellter Bube, hatte ihm in der<lb/>
Nacht &#x017F;ein Geld ge&#x017F;tohlen. Er ward nunmehr hart<lb/>
angefahren, und ihm nur noch bis auf den Abend<lb/>
Bedenkzeit gegeben, und da er alsdenn noch bey &#x017F;ei-<lb/>
ner <choice><sic>Weigernng</sic><corr>Weigerung</corr></choice> blieb, ward er auf den So&#x0364;ller ge-<lb/>
fu&#x0364;hrt, da&#x017F;elb&#x017F;t an einen Pfo&#x017F;ten gebunden, und &#x017F;o<lb/>
lange unbarmherzig gegei&#x017F;&#x017F;elt, bis die Schmerzen<lb/>
ihn no&#x0364;thigten, endlich die verlangte Einwilligung<lb/>
zu geben.</p><lb/>
          <p>Er ward wieder in den Keller zuru&#x0364;ckgebracht, und<lb/>
konnte die ganze Nacht kein Auge &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en, theils<lb/>
wegen Schmerzen, theils wegen der Seufzer &#x017F;eines<lb/>
kranken Nachbars, welcher mit dem Tode rang und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gegen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46[45]/0054] der haͤrteſte Hunger den Widerwillen dagegen be- zwingen konnte. Abends mußte er ſich, unter den uͤbrigen, auf das elende Strohlager legen. Den andern Morgen ward er wieder vor den See- lenverkaͤufer gebracht. Dieſer ſuchte ihn nunmehr durch freundliches Zureden und durch ſtarkes Getraͤnk zur Unterſchrift zu verleiten. Da Sebaldus ſich aber ſtandhaft weigerte, und aus ſeiner ungerechten Gefangenſchaft entlaßen zu werden verlangte, ſo hieß es endlich, er moͤchte vierzehn Gulden fuͤr Woh- nung und Koſt des geſtrigen Tages zahlen, ſo koͤnne er frey weggehen. Sebaldus, froh, griff in die Ta- ſche, aber ein angeſtellter Bube, hatte ihm in der Nacht ſein Geld geſtohlen. Er ward nunmehr hart angefahren, und ihm nur noch bis auf den Abend Bedenkzeit gegeben, und da er alsdenn noch bey ſei- ner Weigerung blieb, ward er auf den Soͤller ge- fuͤhrt, daſelbſt an einen Pfoſten gebunden, und ſo lange unbarmherzig gegeiſſelt, bis die Schmerzen ihn noͤthigten, endlich die verlangte Einwilligung zu geben. Er ward wieder in den Keller zuruͤckgebracht, und konnte die ganze Nacht kein Auge ſchlieſſen, theils wegen Schmerzen, theils wegen der Seufzer ſeines kranken Nachbars, welcher mit dem Tode rang und gegen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/54
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776, S. 46[45]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/54>, abgerufen am 09.11.2024.