Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



zum Muider Thore heraus, um auf dem Dyk nach
Seeburg reine Luft zu geniessen.

Sebaldus Geist, obgleich von tiefem Elende nie-
dergedrückt, erhob sich, bey Erblickung der Aussicht
die nirgend ihres gleichen hat: auf dem Y und auf
der Südersee, tausend Seegel, das ganze Gewühl
des arbeitsamen Fleißes, auf der Landseite, grünen-
de Wiesen und Görten, die ruhige Schönheit der
Natur.

Die Gesellschaft warf sich ins Graß, und ruhte
eine Stunde lang, erquickt von dem kühlen Wehen
der Luft, und dem frischen Geruche des federweichen
Lagers. Sebaldus insonderheit, an Geist und Kör-
per erfrischt, brach in der Fülle seines Herzens, end-
lich in ein lautes Lob des Allmächtigen aus, der, für
seine geplagtesten Kreaturen, in den einfältigsten Ge-
nuß seiner Schöpfung Trost und Stärkung gelegt hat.

Der Schall seines Dankgebets, erweckte die Auf-
merksamkeit zweener ehrwürdigen Geistlichen, die in
der Gegend gleichfalls spazieren giengen. Sie hatten
vorher die unglückliche Gesellschafft nur mit der allge-
meinen Theilnehmung betrachtet, welche die Men-
schenliebe keinem Elenden versagt. Jtzt traten sie nä-
her, durch Sebaldus Stimme und Geberden gerührt,
ob sie gleich seine Worte nicht verstehen konnten. Sie

betrach-



zum Muider Thore heraus, um auf dem Dyk nach
Seeburg reine Luft zu genieſſen.

Sebaldus Geiſt, obgleich von tiefem Elende nie-
dergedruͤckt, erhob ſich, bey Erblickung der Ausſicht
die nirgend ihres gleichen hat: auf dem Y und auf
der Suͤderſee, tauſend Seegel, das ganze Gewuͤhl
des arbeitſamen Fleißes, auf der Landſeite, gruͤnen-
de Wieſen und Goͤrten, die ruhige Schoͤnheit der
Natur.

Die Geſellſchaft warf ſich ins Graß, und ruhte
eine Stunde lang, erquickt von dem kuͤhlen Wehen
der Luft, und dem friſchen Geruche des federweichen
Lagers. Sebaldus inſonderheit, an Geiſt und Koͤr-
per erfriſcht, brach in der Fuͤlle ſeines Herzens, end-
lich in ein lautes Lob des Allmaͤchtigen aus, der, fuͤr
ſeine geplagteſten Kreaturen, in den einfaͤltigſten Ge-
nuß ſeiner Schoͤpfung Troſt und Staͤrkung gelegt hat.

Der Schall ſeines Dankgebets, erweckte die Auf-
merkſamkeit zweener ehrwuͤrdigen Geiſtlichen, die in
der Gegend gleichfalls ſpazieren giengen. Sie hatten
vorher die ungluͤckliche Geſellſchafft nur mit der allge-
meinen Theilnehmung betrachtet, welche die Men-
ſchenliebe keinem Elenden verſagt. Jtzt traten ſie naͤ-
her, durch Sebaldus Stimme und Geberden geruͤhrt,
ob ſie gleich ſeine Worte nicht verſtehen konnten. Sie

betrach-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0056" n="48[47]"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
zum <hi rendition="#fr">Muider</hi> Thore heraus, um auf dem Dyk nach<lb/><hi rendition="#fr">Seeburg</hi> reine Luft zu genie&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> Gei&#x017F;t, obgleich von tiefem Elende nie-<lb/>
dergedru&#x0364;ckt, erhob &#x017F;ich, bey Erblickung der Aus&#x017F;icht<lb/>
die nirgend ihres gleichen hat: auf dem Y und auf<lb/>
der Su&#x0364;der&#x017F;ee, tau&#x017F;end Seegel, das ganze Gewu&#x0364;hl<lb/>
des arbeit&#x017F;amen Fleißes, auf der Land&#x017F;eite, gru&#x0364;nen-<lb/>
de Wie&#x017F;en und Go&#x0364;rten, die ruhige Scho&#x0364;nheit der<lb/>
Natur.</p><lb/>
          <p>Die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft warf &#x017F;ich ins Graß, und ruhte<lb/>
eine Stunde lang, erquickt von dem ku&#x0364;hlen Wehen<lb/>
der Luft, und dem fri&#x017F;chen Geruche des federweichen<lb/>
Lagers. <hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> in&#x017F;onderheit, an Gei&#x017F;t und Ko&#x0364;r-<lb/>
per erfri&#x017F;cht, brach in der Fu&#x0364;lle &#x017F;eines Herzens, end-<lb/>
lich in ein lautes Lob des Allma&#x0364;chtigen aus, der, fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;eine geplagte&#x017F;ten Kreaturen, in den einfa&#x0364;ltig&#x017F;ten Ge-<lb/>
nuß &#x017F;einer Scho&#x0364;pfung Tro&#x017F;t und Sta&#x0364;rkung gelegt hat.</p><lb/>
          <p>Der Schall &#x017F;eines Dankgebets, erweckte die Auf-<lb/>
merk&#x017F;amkeit zweener ehrwu&#x0364;rdigen Gei&#x017F;tlichen, die in<lb/>
der Gegend gleichfalls &#x017F;pazieren giengen. Sie hatten<lb/>
vorher die unglu&#x0364;ckliche Ge&#x017F;ell&#x017F;chafft nur mit der allge-<lb/>
meinen Theilnehmung betrachtet, welche die Men-<lb/>
&#x017F;chenliebe keinem Elenden ver&#x017F;agt. Jtzt traten &#x017F;ie na&#x0364;-<lb/>
her, durch <hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> Stimme und Geberden geru&#x0364;hrt,<lb/>
ob &#x017F;ie gleich &#x017F;eine Worte nicht ver&#x017F;tehen konnten. Sie<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">betrach-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48[47]/0056] zum Muider Thore heraus, um auf dem Dyk nach Seeburg reine Luft zu genieſſen. Sebaldus Geiſt, obgleich von tiefem Elende nie- dergedruͤckt, erhob ſich, bey Erblickung der Ausſicht die nirgend ihres gleichen hat: auf dem Y und auf der Suͤderſee, tauſend Seegel, das ganze Gewuͤhl des arbeitſamen Fleißes, auf der Landſeite, gruͤnen- de Wieſen und Goͤrten, die ruhige Schoͤnheit der Natur. Die Geſellſchaft warf ſich ins Graß, und ruhte eine Stunde lang, erquickt von dem kuͤhlen Wehen der Luft, und dem friſchen Geruche des federweichen Lagers. Sebaldus inſonderheit, an Geiſt und Koͤr- per erfriſcht, brach in der Fuͤlle ſeines Herzens, end- lich in ein lautes Lob des Allmaͤchtigen aus, der, fuͤr ſeine geplagteſten Kreaturen, in den einfaͤltigſten Ge- nuß ſeiner Schoͤpfung Troſt und Staͤrkung gelegt hat. Der Schall ſeines Dankgebets, erweckte die Auf- merkſamkeit zweener ehrwuͤrdigen Geiſtlichen, die in der Gegend gleichfalls ſpazieren giengen. Sie hatten vorher die ungluͤckliche Geſellſchafft nur mit der allge- meinen Theilnehmung betrachtet, welche die Men- ſchenliebe keinem Elenden verſagt. Jtzt traten ſie naͤ- her, durch Sebaldus Stimme und Geberden geruͤhrt, ob ſie gleich ſeine Worte nicht verſtehen konnten. Sie betrach-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/56
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776, S. 48[47]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/56>, abgerufen am 23.11.2024.