Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



den müßte. Diese wichtige Entdeckung machte ihn
unruhig, er gieng aus seiner Schreibstube in den La-
den, aus dem Laden in die Schreibstube, schnalzte
mit den Fingern, rückte die Perucke, zog die Bein-
kleider auf, rieb sich die Hände, eilte mit Sebaldus
Uebersetzung nach Hause, die er, ohne aus Abend-
essen zu denken, ganz durchlas, die nöthigen Stel-
len mit einem Kniffe bezeichnete, sein Projekt noch-
mals durchdachte, und sich darauf voller Zufrieden-
heit zu Bette legte.

Den folgenden Tag, bey früher Tageszeit, ver-
fügte er sich zu Domine de Hysel, dem er die ganze
Uebersetzung vorlegte, und ihm die Beschaffenheit
des Buchs erklärte. Er las ihm zugleich alle die an-
gezeichneten Stellen vor, in deren jeder er eine derbe
Ketzerey zu finden vermeinte. Er versicherte, ,er
"wisse daß Sebaldus gefährliche Absichten gegen die
"Landesreligion im Schilde führe, und daß er ein
"Socinlaner sey. Er suchte zugleich den Domine
"zu bewegen, dieses gefährliche Buch der Obrigkeit
"anzuzeigen. Oder wenn man, aus Menschenliebe,
"dieß noch unterlaßen wolle, so gab er zu verstehen,
"der Domine werde doch in seiner Gegenwart, dem
"Sebaldus, wegen seiner gottlosen Meinungen, die,
"wie er vernommen, auch schon hin und wieder in

"dem



den muͤßte. Dieſe wichtige Entdeckung machte ihn
unruhig, er gieng aus ſeiner Schreibſtube in den La-
den, aus dem Laden in die Schreibſtube, ſchnalzte
mit den Fingern, ruͤckte die Perucke, zog die Bein-
kleider auf, rieb ſich die Haͤnde, eilte mit Sebaldus
Ueberſetzung nach Hauſe, die er, ohne aus Abend-
eſſen zu denken, ganz durchlas, die noͤthigen Stel-
len mit einem Kniffe bezeichnete, ſein Projekt noch-
mals durchdachte, und ſich darauf voller Zufrieden-
heit zu Bette legte.

Den folgenden Tag, bey fruͤher Tageszeit, ver-
fuͤgte er ſich zu Domine de Hyſel, dem er die ganze
Ueberſetzung vorlegte, und ihm die Beſchaffenheit
des Buchs erklaͤrte. Er las ihm zugleich alle die an-
gezeichneten Stellen vor, in deren jeder er eine derbe
Ketzerey zu finden vermeinte. Er verſicherte, ‚er
„wiſſe daß Sebaldus gefaͤhrliche Abſichten gegen die
„Landesreligion im Schilde fuͤhre, und daß er ein
„Socinlaner ſey. Er ſuchte zugleich den Domine
„zu bewegen, dieſes gefaͤhrliche Buch der Obrigkeit
„anzuzeigen. Oder wenn man, aus Menſchenliebe,
„dieß noch unterlaßen wolle, ſo gab er zu verſtehen,
„der Domine werde doch in ſeiner Gegenwart, dem
Sebaldus, wegen ſeiner gottloſen Meinungen, die,
„wie er vernommen, auch ſchon hin und wieder in

„dem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0083" n="75[74]"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
den mu&#x0364;ßte. Die&#x017F;e wichtige Entdeckung machte ihn<lb/>
unruhig, er gieng aus &#x017F;einer Schreib&#x017F;tube in den La-<lb/>
den, aus dem Laden in die Schreib&#x017F;tube, &#x017F;chnalzte<lb/>
mit den Fingern, ru&#x0364;ckte die Perucke, zog die Bein-<lb/>
kleider auf, rieb &#x017F;ich die Ha&#x0364;nde, eilte mit <hi rendition="#fr">Sebaldus</hi><lb/>
Ueber&#x017F;etzung nach Hau&#x017F;e, die er, ohne aus Abend-<lb/>
e&#x017F;&#x017F;en zu denken, ganz durchlas, die no&#x0364;thigen Stel-<lb/>
len mit einem Kniffe bezeichnete, &#x017F;ein Projekt noch-<lb/>
mals durchdachte, und &#x017F;ich darauf voller Zufrieden-<lb/>
heit zu Bette legte.</p><lb/>
          <p>Den folgenden Tag, bey fru&#x0364;her Tageszeit, ver-<lb/>
fu&#x0364;gte er &#x017F;ich zu Domine <hi rendition="#fr">de Hy&#x017F;el,</hi> dem er die ganze<lb/>
Ueber&#x017F;etzung vorlegte, und ihm die Be&#x017F;chaffenheit<lb/>
des Buchs erkla&#x0364;rte. Er las ihm zugleich alle die an-<lb/>
gezeichneten Stellen vor, in deren jeder er eine derbe<lb/>
Ketzerey zu finden vermeinte. Er ver&#x017F;icherte, &#x201A;er<lb/>
&#x201E;wi&#x017F;&#x017F;e daß <hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> gefa&#x0364;hrliche Ab&#x017F;ichten gegen die<lb/>
&#x201E;Landesreligion im Schilde fu&#x0364;hre, und daß er ein<lb/>
&#x201E;Socinlaner &#x017F;ey. Er &#x017F;uchte zugleich den Domine<lb/>
&#x201E;zu bewegen, die&#x017F;es gefa&#x0364;hrliche Buch der Obrigkeit<lb/>
&#x201E;anzuzeigen. Oder wenn man, aus Men&#x017F;chenliebe,<lb/>
&#x201E;dieß noch unterlaßen wolle, &#x017F;o gab er zu ver&#x017F;tehen,<lb/>
&#x201E;der Domine werde doch in &#x017F;einer Gegenwart, dem<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#fr">Sebaldus,</hi> wegen &#x017F;einer gottlo&#x017F;en Meinungen, die,<lb/>
&#x201E;wie er vernommen, auch &#x017F;chon hin und wieder in<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;dem</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75[74]/0083] den muͤßte. Dieſe wichtige Entdeckung machte ihn unruhig, er gieng aus ſeiner Schreibſtube in den La- den, aus dem Laden in die Schreibſtube, ſchnalzte mit den Fingern, ruͤckte die Perucke, zog die Bein- kleider auf, rieb ſich die Haͤnde, eilte mit Sebaldus Ueberſetzung nach Hauſe, die er, ohne aus Abend- eſſen zu denken, ganz durchlas, die noͤthigen Stel- len mit einem Kniffe bezeichnete, ſein Projekt noch- mals durchdachte, und ſich darauf voller Zufrieden- heit zu Bette legte. Den folgenden Tag, bey fruͤher Tageszeit, ver- fuͤgte er ſich zu Domine de Hyſel, dem er die ganze Ueberſetzung vorlegte, und ihm die Beſchaffenheit des Buchs erklaͤrte. Er las ihm zugleich alle die an- gezeichneten Stellen vor, in deren jeder er eine derbe Ketzerey zu finden vermeinte. Er verſicherte, ‚er „wiſſe daß Sebaldus gefaͤhrliche Abſichten gegen die „Landesreligion im Schilde fuͤhre, und daß er ein „Socinlaner ſey. Er ſuchte zugleich den Domine „zu bewegen, dieſes gefaͤhrliche Buch der Obrigkeit „anzuzeigen. Oder wenn man, aus Menſchenliebe, „dieß noch unterlaßen wolle, ſo gab er zu verſtehen, „der Domine werde doch in ſeiner Gegenwart, dem „Sebaldus, wegen ſeiner gottloſen Meinungen, die, „wie er vernommen, auch ſchon hin und wieder in „dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/83
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776, S. 75[74]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/83>, abgerufen am 27.11.2024.