Die Entstehung der Latinischen Nation durch die Ver- schmelzung eines den Griechen verwandten Stamms mit einem barbarischen altitalischen Volk, bewährt die Spra- che, eben so wohl durch ihre Biegungen als durch die Worte. Diese italischen Stammväter nannten die Nach- kommen Aborigines; nicht anders als ob sie diesen Nah- men als Benennung geführt hätten: doch ist er sichtbar nur eine später beygelegte Bezeichnung von der Art des griechischen Worts Autochthones.
Im allgemeinen scheint man in diesem Nahmen auch die Andeutung eines von allen übrigen verschiednen Ur- stamms gesehen zu haben: obgleich einige in ihnen Ligurer sahen: andre eine, mit der Benennung streitende, Mi- schung verschiedenartiger umherirrender Völkerhaufen. Sehr kleine von allen umgebenden grundverschiedne Stämme zeigt der Caucasus noch in unsern Tagen: aber das entgegengesetzte muß bis zum Erweis, oder, wenn die- ser auf keiner Seite geführt werden kann, vernunftgemäß vorausgesetzt werden; und die uralte Ausdehnung des umbrischen Urvolks in die Gegenden der ältesten Wohnsitze der Aboriginer, die Spuren einer Sprachverwandtschaft, geben der sikeliotischen Sage Gewicht, daß es Umbrer waren, welche die Siculer aus Latium vertrieben, wel-
Die Latiner.
Die Entſtehung der Latiniſchen Nation durch die Ver- ſchmelzung eines den Griechen verwandten Stamms mit einem barbariſchen altitaliſchen Volk, bewaͤhrt die Spra- che, eben ſo wohl durch ihre Biegungen als durch die Worte. Dieſe italiſchen Stammvaͤter nannten die Nach- kommen Aborigines; nicht anders als ob ſie dieſen Nah- men als Benennung gefuͤhrt haͤtten: doch iſt er ſichtbar nur eine ſpaͤter beygelegte Bezeichnung von der Art des griechiſchen Worts Autochthones.
Im allgemeinen ſcheint man in dieſem Nahmen auch die Andeutung eines von allen uͤbrigen verſchiednen Ur- ſtamms geſehen zu haben: obgleich einige in ihnen Ligurer ſahen: andre eine, mit der Benennung ſtreitende, Mi- ſchung verſchiedenartiger umherirrender Voͤlkerhaufen. Sehr kleine von allen umgebenden grundverſchiedne Staͤmme zeigt der Caucaſus noch in unſern Tagen: aber das entgegengeſetzte muß bis zum Erweis, oder, wenn die- ſer auf keiner Seite gefuͤhrt werden kann, vernunftgemaͤß vorausgeſetzt werden; und die uralte Ausdehnung des umbriſchen Urvolks in die Gegenden der aͤlteſten Wohnſitze der Aboriginer, die Spuren einer Sprachverwandtſchaft, geben der ſikeliotiſchen Sage Gewicht, daß es Umbrer waren, welche die Siculer aus Latium vertrieben, wel-
<TEI><text><body><pbfacs="#f0139"n="[117]"/><divn="1"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Die Latiner</hi>.</hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#in">D</hi>ie Entſtehung der Latiniſchen Nation durch die Ver-<lb/>ſchmelzung eines den Griechen verwandten Stamms mit<lb/>
einem barbariſchen altitaliſchen Volk, bewaͤhrt die Spra-<lb/>
che, eben ſo wohl durch ihre Biegungen als durch die<lb/>
Worte. Dieſe italiſchen Stammvaͤter nannten die Nach-<lb/>
kommen Aborigines; nicht anders als ob ſie dieſen Nah-<lb/>
men als Benennung gefuͤhrt haͤtten: doch iſt er ſichtbar<lb/>
nur eine ſpaͤter beygelegte Bezeichnung von der Art des<lb/>
griechiſchen Worts Autochthones.</p><lb/><p>Im allgemeinen ſcheint man in dieſem Nahmen auch<lb/>
die Andeutung eines von allen uͤbrigen verſchiednen Ur-<lb/>ſtamms geſehen zu haben: obgleich einige in ihnen Ligurer<lb/>ſahen: andre eine, mit der Benennung ſtreitende, Mi-<lb/>ſchung verſchiedenartiger umherirrender Voͤlkerhaufen.<lb/>
Sehr kleine von allen umgebenden grundverſchiedne<lb/>
Staͤmme zeigt der Caucaſus noch in unſern Tagen: aber<lb/>
das entgegengeſetzte muß bis zum Erweis, oder, wenn die-<lb/>ſer auf keiner Seite gefuͤhrt werden kann, vernunftgemaͤß<lb/>
vorausgeſetzt werden; und die uralte Ausdehnung des<lb/>
umbriſchen Urvolks in die Gegenden der aͤlteſten Wohnſitze<lb/>
der Aboriginer, die Spuren einer Sprachverwandtſchaft,<lb/>
geben der ſikeliotiſchen Sage Gewicht, daß es Umbrer<lb/>
waren, welche die Siculer aus Latium vertrieben, wel-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[[117]/0139]
Die Latiner.
Die Entſtehung der Latiniſchen Nation durch die Ver-
ſchmelzung eines den Griechen verwandten Stamms mit
einem barbariſchen altitaliſchen Volk, bewaͤhrt die Spra-
che, eben ſo wohl durch ihre Biegungen als durch die
Worte. Dieſe italiſchen Stammvaͤter nannten die Nach-
kommen Aborigines; nicht anders als ob ſie dieſen Nah-
men als Benennung gefuͤhrt haͤtten: doch iſt er ſichtbar
nur eine ſpaͤter beygelegte Bezeichnung von der Art des
griechiſchen Worts Autochthones.
Im allgemeinen ſcheint man in dieſem Nahmen auch
die Andeutung eines von allen uͤbrigen verſchiednen Ur-
ſtamms geſehen zu haben: obgleich einige in ihnen Ligurer
ſahen: andre eine, mit der Benennung ſtreitende, Mi-
ſchung verſchiedenartiger umherirrender Voͤlkerhaufen.
Sehr kleine von allen umgebenden grundverſchiedne
Staͤmme zeigt der Caucaſus noch in unſern Tagen: aber
das entgegengeſetzte muß bis zum Erweis, oder, wenn die-
ſer auf keiner Seite gefuͤhrt werden kann, vernunftgemaͤß
vorausgeſetzt werden; und die uralte Ausdehnung des
umbriſchen Urvolks in die Gegenden der aͤlteſten Wohnſitze
der Aboriginer, die Spuren einer Sprachverwandtſchaft,
geben der ſikeliotiſchen Sage Gewicht, daß es Umbrer
waren, welche die Siculer aus Latium vertrieben, wel-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. [117]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/139>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.