nehmer Inconsequenz. Daß auf jeden Fall, ehe die Fol- gereihe albanischer Könige erdichtet ward, Romulus und Remus der einheimischen Sage weit näher an Aeneas und Latinus standen, als seitdem die Römer erfahren hatten wie hoch die griechischen Chronologen die troische Zeit hinaufrückten, ist gar nicht zu bezweifeln. Eben so mag wohl neben der gewöhnlichen Sage auch eine andere unpoetische gefunden worden seyn, welche Romulus (das römische Volk) unmittelbar Sohn des Latinus (des la- tinischen) nannte. Welche Annalisten aber es waren in denen Dionysius diese von der schönen Dichtung abwei- chende Angaben fand, läßt sich nicht errathen. Jene ein- zelne Stelle Sallusts kann er nicht im Sinn gehabt ha- ben; und von mehreren unter den römischen Schriftstel- lern die er benutzte wissen wir, wie von Fabius, bestimmt, daß sie die gewöhnliche Mythe annahmen.
Allerdings gehört diese Römische Sage nichts weni- ger als der Geschichte an: ihr Wesentliches ist Wun- der; man kann diesem seine Eigenthümlichkeit rauben, und so lange weglassen und ändern bis es zu einem ge- wöhnlichen möglichen Vorfall wird, aber man muß auch fest überzeugt seyn, daß das übrig bleibende Caput mor- tuum nichts weniger als ein historisches Factum seyn wird. Mythologische Erzählungen dieser Art sind Ne- belgestalten, oder oft gar eine Fata Morgana, deren Urbild uns unsichtbar, das Gesetz ihrer Refraktion un- bekannt ist; und wäre es das auch nicht, so würde doch keine Reflexion so scharffinnig und gelehrt verfahren können, daß es ihr gelänge aus diesen wunderbar ver-
nehmer Inconſequenz. Daß auf jeden Fall, ehe die Fol- gereihe albaniſcher Koͤnige erdichtet ward, Romulus und Remus der einheimiſchen Sage weit naͤher an Aeneas und Latinus ſtanden, als ſeitdem die Roͤmer erfahren hatten wie hoch die griechiſchen Chronologen die troiſche Zeit hinaufruͤckten, iſt gar nicht zu bezweifeln. Eben ſo mag wohl neben der gewoͤhnlichen Sage auch eine andere unpoetiſche gefunden worden ſeyn, welche Romulus (das roͤmiſche Volk) unmittelbar Sohn des Latinus (des la- tiniſchen) nannte. Welche Annaliſten aber es waren in denen Dionyſius dieſe von der ſchoͤnen Dichtung abwei- chende Angaben fand, laͤßt ſich nicht errathen. Jene ein- zelne Stelle Salluſts kann er nicht im Sinn gehabt ha- ben; und von mehreren unter den roͤmiſchen Schriftſtel- lern die er benutzte wiſſen wir, wie von Fabius, beſtimmt, daß ſie die gewoͤhnliche Mythe annahmen.
Allerdings gehoͤrt dieſe Roͤmiſche Sage nichts weni- ger als der Geſchichte an: ihr Weſentliches iſt Wun- der; man kann dieſem ſeine Eigenthuͤmlichkeit rauben, und ſo lange weglaſſen und aͤndern bis es zu einem ge- woͤhnlichen moͤglichen Vorfall wird, aber man muß auch feſt uͤberzeugt ſeyn, daß das uͤbrig bleibende Caput mor- tuum nichts weniger als ein hiſtoriſches Factum ſeyn wird. Mythologiſche Erzaͤhlungen dieſer Art ſind Ne- belgeſtalten, oder oft gar eine Fata Morgana, deren Urbild uns unſichtbar, das Geſetz ihrer Refraktion un- bekannt iſt; und waͤre es das auch nicht, ſo wuͤrde doch keine Reflexion ſo ſcharffinnig und gelehrt verfahren koͤnnen, daß es ihr gelaͤnge aus dieſen wunderbar ver-
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nehmer Inconſequenz. Daß auf jeden Fall, ehe die Fol-
gereihe albaniſcher Koͤnige erdichtet ward, Romulus und
Remus der einheimiſchen Sage weit naͤher an Aeneas
und Latinus ſtanden, als ſeitdem die Roͤmer erfahren
hatten wie hoch die griechiſchen Chronologen die troiſche
Zeit hinaufruͤckten, iſt gar nicht zu bezweifeln. Eben ſo
mag wohl neben der gewoͤhnlichen Sage auch eine andere
unpoetiſche gefunden worden ſeyn, welche Romulus (das
roͤmiſche Volk) unmittelbar Sohn des Latinus (des la-
tiniſchen) nannte. Welche Annaliſten aber es waren in
denen Dionyſius dieſe von der ſchoͤnen Dichtung abwei-
chende Angaben fand, laͤßt ſich nicht errathen. Jene ein-
zelne Stelle Salluſts kann er nicht im Sinn gehabt ha-
ben; und von mehreren unter den roͤmiſchen Schriftſtel-
lern die er benutzte wiſſen wir, wie von Fabius, beſtimmt,
daß ſie die gewoͤhnliche Mythe annahmen.
Allerdings gehoͤrt dieſe Roͤmiſche Sage nichts weni-
ger als der Geſchichte an: ihr Weſentliches iſt Wun-
der; man kann dieſem ſeine Eigenthuͤmlichkeit rauben,
und ſo lange weglaſſen und aͤndern bis es zu einem ge-
woͤhnlichen moͤglichen Vorfall wird, aber man muß auch
feſt uͤberzeugt ſeyn, daß das uͤbrig bleibende Caput mor-
tuum nichts weniger als ein hiſtoriſches Factum ſeyn
wird. Mythologiſche Erzaͤhlungen dieſer Art ſind Ne-
belgeſtalten, oder oft gar eine Fata Morgana, deren
Urbild uns unſichtbar, das Geſetz ihrer Refraktion un-
bekannt iſt; und waͤre es das auch nicht, ſo wuͤrde
doch keine Reflexion ſo ſcharffinnig und gelehrt verfahren
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/170>, abgerufen am 24.11.2024.
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