Ich sage nicht daß mit Tullus Hostilius historisches Licht aufgeht: wohl aber daß bis dahin schlechterdings nichts historisches vorhanden ist, und daß hier der Morgen zu grauen beginnt.
Roms Gründung, welchem Volk die ewige Stadt ur- sprünglich angehörte, ist gerade was wir nicht wissen. Auch ist es Roms Ewigkeit nicht weniger angemessen daß seine Wurzel sich in das Unendliche verliert: als der Stadt Majestät was die Dichter über Romulus Säugung und Vergötterung gesungen. Ein Gott oder Niemand mußte Rom gestiftet haben.
Aus der Sage von Tullus ist vieles auf Romulus übertragen, -- wie sonst aus wahrer Geschichte in diese mythische, -- so sein Tod, und der Fidenatische und Ve- jentische Krieg. Aber das kann man nicht sagen, er sey der Stifter Roms gewesen, und heiße in der Mythologie Romulus, denn unter ihm ist die Stadt schon alt und kräftig; die Vereinigung Albas ist zuverlässig kein Mähr- chen ohne Grund historischer Wahrheit.
Alles deutet bey Rom auf etruskischen Ursprung. Etruskisch war die ganze älteste Verfassung, durch die hei- ligen Bücher dieser Nation angeordnet 29); die Grund- zahlen ihrer Eintheilungsgesetze, drey, zehn und zwölf, sind in allen uralten römischen Einrichtungen unverkenn- lich: sogar in der Sage von der Zahl der alten Stadt- thore, drey 30), nach etruskischer Regel. Vom Gottes-
29) Festus s. v. rituales libri.
30) Plinius H. N. III. c. 9.
Muthmaaßungen uͤber Rom vor Tullus.
Ich ſage nicht daß mit Tullus Hoſtilius hiſtoriſches Licht aufgeht: wohl aber daß bis dahin ſchlechterdings nichts hiſtoriſches vorhanden iſt, und daß hier der Morgen zu grauen beginnt.
Roms Gruͤndung, welchem Volk die ewige Stadt ur- ſpruͤnglich angehoͤrte, iſt gerade was wir nicht wiſſen. Auch iſt es Roms Ewigkeit nicht weniger angemeſſen daß ſeine Wurzel ſich in das Unendliche verliert: als der Stadt Majeſtaͤt was die Dichter uͤber Romulus Saͤugung und Vergoͤtterung geſungen. Ein Gott oder Niemand mußte Rom geſtiftet haben.
Aus der Sage von Tullus iſt vieles auf Romulus uͤbertragen, — wie ſonſt aus wahrer Geſchichte in dieſe mythiſche, — ſo ſein Tod, und der Fidenatiſche und Ve- jentiſche Krieg. Aber das kann man nicht ſagen, er ſey der Stifter Roms geweſen, und heiße in der Mythologie Romulus, denn unter ihm iſt die Stadt ſchon alt und kraͤftig; die Vereinigung Albas iſt zuverlaͤſſig kein Maͤhr- chen ohne Grund hiſtoriſcher Wahrheit.
Alles deutet bey Rom auf etruskiſchen Urſprung. Etruskiſch war die ganze aͤlteſte Verfaſſung, durch die hei- ligen Buͤcher dieſer Nation angeordnet 29); die Grund- zahlen ihrer Eintheilungsgeſetze, drey, zehn und zwoͤlf, ſind in allen uralten roͤmiſchen Einrichtungen unverkenn- lich: ſogar in der Sage von der Zahl der alten Stadt- thore, drey 30), nach etruskiſcher Regel. Vom Gottes-
29) Feſtus s. v. rituales libri.
30) Plinius H. N. III. c. 9.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0203"n="181"/><divn="2"><head><hirendition="#b">Muthmaaßungen uͤber Rom vor Tullus.</hi></head><lb/><p>Ich ſage nicht daß mit Tullus Hoſtilius hiſtoriſches<lb/>
Licht aufgeht: wohl aber daß bis dahin ſchlechterdings<lb/>
nichts hiſtoriſches vorhanden iſt, und daß hier der Morgen<lb/>
zu grauen beginnt.</p><lb/><p>Roms Gruͤndung, welchem Volk die ewige Stadt ur-<lb/>ſpruͤnglich angehoͤrte, iſt gerade was wir nicht wiſſen.<lb/>
Auch iſt es Roms Ewigkeit nicht weniger angemeſſen daß<lb/>ſeine Wurzel ſich in das Unendliche verliert: als der<lb/>
Stadt Majeſtaͤt was die Dichter uͤber Romulus Saͤugung<lb/>
und Vergoͤtterung geſungen. Ein Gott oder Niemand<lb/>
mußte Rom geſtiftet haben.</p><lb/><p>Aus der Sage von Tullus iſt vieles auf Romulus<lb/>
uͤbertragen, — wie ſonſt aus wahrer Geſchichte in dieſe<lb/>
mythiſche, —ſo ſein Tod, und der Fidenatiſche und Ve-<lb/>
jentiſche Krieg. Aber das kann man nicht ſagen, er ſey<lb/>
der Stifter Roms geweſen, und heiße in der Mythologie<lb/>
Romulus, denn unter ihm iſt die Stadt ſchon alt und<lb/>
kraͤftig; die Vereinigung Albas iſt zuverlaͤſſig kein Maͤhr-<lb/>
chen ohne Grund hiſtoriſcher Wahrheit.</p><lb/><p>Alles deutet bey Rom auf etruskiſchen Urſprung.<lb/>
Etruskiſch war die ganze aͤlteſte Verfaſſung, durch die hei-<lb/>
ligen Buͤcher dieſer Nation angeordnet <noteplace="foot"n="29)">Feſtus <hirendition="#aq">s. v. rituales libri.</hi></note>; die Grund-<lb/>
zahlen ihrer Eintheilungsgeſetze, drey, zehn und zwoͤlf,<lb/>ſind in allen uralten roͤmiſchen Einrichtungen unverkenn-<lb/>
lich: ſogar in der Sage von der Zahl der alten Stadt-<lb/>
thore, drey <noteplace="foot"n="30)">Plinius <hirendition="#aq">H. N. III. c.</hi> 9.</note>, nach etruskiſcher Regel. Vom Gottes-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[181/0203]
Muthmaaßungen uͤber Rom vor Tullus.
Ich ſage nicht daß mit Tullus Hoſtilius hiſtoriſches
Licht aufgeht: wohl aber daß bis dahin ſchlechterdings
nichts hiſtoriſches vorhanden iſt, und daß hier der Morgen
zu grauen beginnt.
Roms Gruͤndung, welchem Volk die ewige Stadt ur-
ſpruͤnglich angehoͤrte, iſt gerade was wir nicht wiſſen.
Auch iſt es Roms Ewigkeit nicht weniger angemeſſen daß
ſeine Wurzel ſich in das Unendliche verliert: als der
Stadt Majeſtaͤt was die Dichter uͤber Romulus Saͤugung
und Vergoͤtterung geſungen. Ein Gott oder Niemand
mußte Rom geſtiftet haben.
Aus der Sage von Tullus iſt vieles auf Romulus
uͤbertragen, — wie ſonſt aus wahrer Geſchichte in dieſe
mythiſche, — ſo ſein Tod, und der Fidenatiſche und Ve-
jentiſche Krieg. Aber das kann man nicht ſagen, er ſey
der Stifter Roms geweſen, und heiße in der Mythologie
Romulus, denn unter ihm iſt die Stadt ſchon alt und
kraͤftig; die Vereinigung Albas iſt zuverlaͤſſig kein Maͤhr-
chen ohne Grund hiſtoriſcher Wahrheit.
Alles deutet bey Rom auf etruskiſchen Urſprung.
Etruskiſch war die ganze aͤlteſte Verfaſſung, durch die hei-
ligen Buͤcher dieſer Nation angeordnet 29); die Grund-
zahlen ihrer Eintheilungsgeſetze, drey, zehn und zwoͤlf,
ſind in allen uralten roͤmiſchen Einrichtungen unverkenn-
lich: ſogar in der Sage von der Zahl der alten Stadt-
thore, drey 30), nach etruskiſcher Regel. Vom Gottes-
29) Feſtus s. v. rituales libri.
30) Plinius H. N. III. c. 9.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/203>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.