ben: ich glaube auch mit demselben Recht Anspruch auf ihre Duldung machen zu können, mit dem alte Geschicht- schreiber episodische Erzählungen einwebten. Auch der glücklichste Erfolg ämsiger Forschung giebt sehr oft nur annähernde Wahrscheinlichkeit, nicht historische Gewiß- heit: wollte man sie aus der Geschichte absondern, und für diese nur zusammenhängende Erzählung fordern, so würde die neue Ansicht sie nicht bestimmen dürfen, die Un- tersuchung ohne Frucht bleiben; oder der Schriftsteller, ge- nöthigt sich bey jeder Veranlassung auf sie zu berufen, den- noch einem allgemeinen Tadel nicht entgehen, daß er seine Hypothesen für historische Wahrheit ausgebe. Die Ge- schichte des ältesten Roms kann nur eine Verbindung von Erzählung und Untersuchung seyn.
Ueber den Säcularcyclus.
Das römische Jahr war bekanntlich vor der Juliani- schen Reformation des Kalenders ein Mondenjahr, wel- ches durch Einschaltung eines Intercalarmonats mit dem Sonnenjahr in Uebereinstimmung gebracht ward, oder vielmehr gebracht werden sollte. Der große Joseph Sca- liger hat mit dem hellen Blick, der Zeugnisse welche nicht wissen wovon sie reden in Quellen der Wahrheit verwan- delt, das ursprüngliche System dieser Zeitrechnung mit un- widersprechlicher Gewißheit entdeckt. Er hat gezeigt, daß es eine trieterische Intercalation in zwey und zwanzigjäh- rigen Perioden war, in deren jeder zehnmal ein Schalt- monat, abwechselnd von 22 und 23 Tagen, hinzugethan ward: die letzte Trieteris ward übergangen. Wie fünf
Jahre
ben: ich glaube auch mit demſelben Recht Anſpruch auf ihre Duldung machen zu koͤnnen, mit dem alte Geſchicht- ſchreiber epiſodiſche Erzaͤhlungen einwebten. Auch der gluͤcklichſte Erfolg aͤmſiger Forſchung giebt ſehr oft nur annaͤhernde Wahrſcheinlichkeit, nicht hiſtoriſche Gewiß- heit: wollte man ſie aus der Geſchichte abſondern, und fuͤr dieſe nur zuſammenhaͤngende Erzaͤhlung fordern, ſo wuͤrde die neue Anſicht ſie nicht beſtimmen duͤrfen, die Un- terſuchung ohne Frucht bleiben; oder der Schriftſteller, ge- noͤthigt ſich bey jeder Veranlaſſung auf ſie zu berufen, den- noch einem allgemeinen Tadel nicht entgehen, daß er ſeine Hypotheſen fuͤr hiſtoriſche Wahrheit ausgebe. Die Ge- ſchichte des aͤlteſten Roms kann nur eine Verbindung von Erzaͤhlung und Unterſuchung ſeyn.
Ueber den Saͤcularcyclus.
Das roͤmiſche Jahr war bekanntlich vor der Juliani- ſchen Reformation des Kalenders ein Mondenjahr, wel- ches durch Einſchaltung eines Intercalarmonats mit dem Sonnenjahr in Uebereinſtimmung gebracht ward, oder vielmehr gebracht werden ſollte. Der große Joſeph Sca- liger hat mit dem hellen Blick, der Zeugniſſe welche nicht wiſſen wovon ſie reden in Quellen der Wahrheit verwan- delt, das urſpruͤngliche Syſtem dieſer Zeitrechnung mit un- widerſprechlicher Gewißheit entdeckt. Er hat gezeigt, daß es eine trieteriſche Intercalation in zwey und zwanzigjaͤh- rigen Perioden war, in deren jeder zehnmal ein Schalt- monat, abwechſelnd von 22 und 23 Tagen, hinzugethan ward: die letzte Trieteris ward uͤbergangen. Wie fuͤnf
Jahre
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0214"n="192"/>
ben: ich glaube auch mit demſelben Recht Anſpruch auf<lb/>
ihre Duldung machen zu koͤnnen, mit dem alte Geſchicht-<lb/>ſchreiber epiſodiſche Erzaͤhlungen einwebten. Auch der<lb/>
gluͤcklichſte Erfolg aͤmſiger Forſchung giebt ſehr oft nur<lb/>
annaͤhernde Wahrſcheinlichkeit, nicht hiſtoriſche Gewiß-<lb/>
heit: wollte man ſie aus der Geſchichte abſondern, und<lb/>
fuͤr dieſe nur zuſammenhaͤngende Erzaͤhlung fordern, ſo<lb/>
wuͤrde die neue Anſicht ſie nicht beſtimmen duͤrfen, die Un-<lb/>
terſuchung ohne Frucht bleiben; oder der Schriftſteller, ge-<lb/>
noͤthigt ſich bey jeder Veranlaſſung auf ſie zu berufen, den-<lb/>
noch einem allgemeinen Tadel nicht entgehen, daß er ſeine<lb/>
Hypotheſen fuͤr hiſtoriſche Wahrheit ausgebe. Die Ge-<lb/>ſchichte des aͤlteſten Roms kann nur eine Verbindung von<lb/>
Erzaͤhlung und Unterſuchung ſeyn.</p></div><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Ueber den Saͤcularcyclus.</hi></hi></head><lb/><p>Das roͤmiſche Jahr war bekanntlich vor der Juliani-<lb/>ſchen Reformation des Kalenders ein Mondenjahr, wel-<lb/>
ches durch Einſchaltung eines Intercalarmonats mit dem<lb/>
Sonnenjahr in Uebereinſtimmung gebracht ward, oder<lb/>
vielmehr gebracht werden ſollte. Der große Joſeph Sca-<lb/>
liger hat mit dem hellen Blick, der Zeugniſſe welche nicht<lb/>
wiſſen wovon ſie reden in Quellen der Wahrheit verwan-<lb/>
delt, das urſpruͤngliche Syſtem dieſer Zeitrechnung mit un-<lb/>
widerſprechlicher Gewißheit entdeckt. Er hat gezeigt, daß<lb/>
es eine trieteriſche Intercalation in zwey und zwanzigjaͤh-<lb/>
rigen Perioden war, in deren jeder zehnmal ein Schalt-<lb/>
monat, abwechſelnd von 22 und 23 Tagen, hinzugethan<lb/>
ward: die letzte Trieteris ward uͤbergangen. Wie fuͤnf<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Jahre</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[192/0214]
ben: ich glaube auch mit demſelben Recht Anſpruch auf
ihre Duldung machen zu koͤnnen, mit dem alte Geſchicht-
ſchreiber epiſodiſche Erzaͤhlungen einwebten. Auch der
gluͤcklichſte Erfolg aͤmſiger Forſchung giebt ſehr oft nur
annaͤhernde Wahrſcheinlichkeit, nicht hiſtoriſche Gewiß-
heit: wollte man ſie aus der Geſchichte abſondern, und
fuͤr dieſe nur zuſammenhaͤngende Erzaͤhlung fordern, ſo
wuͤrde die neue Anſicht ſie nicht beſtimmen duͤrfen, die Un-
terſuchung ohne Frucht bleiben; oder der Schriftſteller, ge-
noͤthigt ſich bey jeder Veranlaſſung auf ſie zu berufen, den-
noch einem allgemeinen Tadel nicht entgehen, daß er ſeine
Hypotheſen fuͤr hiſtoriſche Wahrheit ausgebe. Die Ge-
ſchichte des aͤlteſten Roms kann nur eine Verbindung von
Erzaͤhlung und Unterſuchung ſeyn.
Ueber den Saͤcularcyclus.
Das roͤmiſche Jahr war bekanntlich vor der Juliani-
ſchen Reformation des Kalenders ein Mondenjahr, wel-
ches durch Einſchaltung eines Intercalarmonats mit dem
Sonnenjahr in Uebereinſtimmung gebracht ward, oder
vielmehr gebracht werden ſollte. Der große Joſeph Sca-
liger hat mit dem hellen Blick, der Zeugniſſe welche nicht
wiſſen wovon ſie reden in Quellen der Wahrheit verwan-
delt, das urſpruͤngliche Syſtem dieſer Zeitrechnung mit un-
widerſprechlicher Gewißheit entdeckt. Er hat gezeigt, daß
es eine trieteriſche Intercalation in zwey und zwanzigjaͤh-
rigen Perioden war, in deren jeder zehnmal ein Schalt-
monat, abwechſelnd von 22 und 23 Tagen, hinzugethan
ward: die letzte Trieteris ward uͤbergangen. Wie fuͤnf
Jahre
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/214>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.