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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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Die Zahl von zwölf Phratrien und dreyhundert sech-
zig Geschlechtern erinnert unverkennlich an die Monate
und Tage des Sonnenjahrs, mit Vernachläßigung der
fünf Epagomenen, welche nicht ohne eine unzulässige Un-
gleichheit hervorzubringen angewandt werden konnten.

Jedes Geschlecht trug einen eigenthümlichen Nahmen
patronymischer Form, die Kodriden, Eumolpiden, Bu-
taden: welches den Schein einer Familienverwandtschaft
giebt, aber täuschend. Vielleicht wurden diese Nahmen
von der angesehensten Familie unter den Verbundenen auf
die übrigen Genossen übertragen. Ein solches. Geschlecht
waren die Homeriden von Chios, deren Abstammung von
dem Dichter nur aus ihrem Nahmen gefolgert ward: an-
dre aber urtheilten, sie wären ihm gar nicht ver-
wandt 96). Oft ist wohl in der griechischen Geschichte,
was Familie scheint, ein solches Geschlecht, und nicht auf
die Jonischen Völker allein ist das System dieser Einthei-
lung zu beschränken.

Die Bestimmung der Geschlechter auf eine geschlossene
Zahl galt auch in Rom, und es war keine leere Anmaa-
ßung der Patricier, daß nur sie Geschlechter hätten, näm-
lich daß die Juragentium oder gentilitia nur für sie gültig
wären 97). Nur die patricischen Claudier, nicht die Mar-
celler konnten dieses Recht geltend machen 98); begriffen

nimmt, jede der zehn Phylen hätte neunzig Geschlechter ent-
halten. Voyage du jeune Anarcharsis, ch. 26.
96) Harpokration, s. v. Omeridai.
97) Livius X. c. 8.
98) Cicero de orat. I. c. 39.

Die Zahl von zwoͤlf Phratrien und dreyhundert ſech-
zig Geſchlechtern erinnert unverkennlich an die Monate
und Tage des Sonnenjahrs, mit Vernachlaͤßigung der
fuͤnf Epagomenen, welche nicht ohne eine unzulaͤſſige Un-
gleichheit hervorzubringen angewandt werden konnten.

Jedes Geſchlecht trug einen eigenthuͤmlichen Nahmen
patronymiſcher Form, die Kodriden, Eumolpiden, Bu-
taden: welches den Schein einer Familienverwandtſchaft
giebt, aber taͤuſchend. Vielleicht wurden dieſe Nahmen
von der angeſehenſten Familie unter den Verbundenen auf
die uͤbrigen Genoſſen uͤbertragen. Ein ſolches. Geſchlecht
waren die Homeriden von Chios, deren Abſtammung von
dem Dichter nur aus ihrem Nahmen gefolgert ward: an-
dre aber urtheilten, ſie waͤren ihm gar nicht ver-
wandt 96). Oft iſt wohl in der griechiſchen Geſchichte,
was Familie ſcheint, ein ſolches Geſchlecht, und nicht auf
die Joniſchen Voͤlker allein iſt das Syſtem dieſer Einthei-
lung zu beſchraͤnken.

Die Beſtimmung der Geſchlechter auf eine geſchloſſene
Zahl galt auch in Rom, und es war keine leere Anmaa-
ßung der Patricier, daß nur ſie Geſchlechter haͤtten, naͤm-
lich daß die Juragentium oder gentilitia nur fuͤr ſie guͤltig
waͤren 97). Nur die patriciſchen Claudier, nicht die Mar-
celler konnten dieſes Recht geltend machen 98); begriffen

nimmt, jede der zehn Phylen haͤtte neunzig Geſchlechter ent-
halten. Voyage du jeune Anarcharsis, ch. 26.
96) Harpokration, s. v. Ὁμηϱίδαι.
97) Livius X. c. 8.
98) Cicero de orat. I. c. 39.
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[231/0253] Die Zahl von zwoͤlf Phratrien und dreyhundert ſech- zig Geſchlechtern erinnert unverkennlich an die Monate und Tage des Sonnenjahrs, mit Vernachlaͤßigung der fuͤnf Epagomenen, welche nicht ohne eine unzulaͤſſige Un- gleichheit hervorzubringen angewandt werden konnten. Jedes Geſchlecht trug einen eigenthuͤmlichen Nahmen patronymiſcher Form, die Kodriden, Eumolpiden, Bu- taden: welches den Schein einer Familienverwandtſchaft giebt, aber taͤuſchend. Vielleicht wurden dieſe Nahmen von der angeſehenſten Familie unter den Verbundenen auf die uͤbrigen Genoſſen uͤbertragen. Ein ſolches. Geſchlecht waren die Homeriden von Chios, deren Abſtammung von dem Dichter nur aus ihrem Nahmen gefolgert ward: an- dre aber urtheilten, ſie waͤren ihm gar nicht ver- wandt 96). Oft iſt wohl in der griechiſchen Geſchichte, was Familie ſcheint, ein ſolches Geſchlecht, und nicht auf die Joniſchen Voͤlker allein iſt das Syſtem dieſer Einthei- lung zu beſchraͤnken. Die Beſtimmung der Geſchlechter auf eine geſchloſſene Zahl galt auch in Rom, und es war keine leere Anmaa- ßung der Patricier, daß nur ſie Geſchlechter haͤtten, naͤm- lich daß die Juragentium oder gentilitia nur fuͤr ſie guͤltig waͤren 97). Nur die patriciſchen Claudier, nicht die Mar- celler konnten dieſes Recht geltend machen 98); begriffen 95) 96) Harpokration, s. v. Ὁμηϱίδαι. 97) Livius X. c. 8. 98) Cicero de orat. I. c. 39. 95) nimmt, jede der zehn Phylen haͤtte neunzig Geſchlechter ent- halten. Voyage du jeune Anarcharsis, ch. 26.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/253>, abgerufen am 22.11.2024.