ihrem Hause als Freundin nicht als Sklavin behandelt, eines Knaben genesen sey; dieser war Servius Tullius.
Als Kind schlummerte Servius einst in der Halle des königlichen Hauses, da sah man mit Entsetzen sein Haupt von Flammen umgeben 16). Die Königin Tanaquil ward herbeygerufen, sie verbot jeden Versuch die Flamme zu löschen, als der Knabe erwachte war die Erscheinung verschwunden: denn die etruskische Seherin erkannte dar- in den Geist seines Erzeugers, und den Beruf des Knaben zu hohen Dingen. Von der Zeit an ward er wie ein kö- nigliches Kind und für die höchsten Würden erzogen. Auch in seinem fernern Leben verlohr er sein näheres Verhält- niß zu den höheren Mächten nicht. Die Göttin Fortuna liebte ihn: die in seinem Leben das äußerste ihrer Sphäre zusammenfaßte, Geburt in Knechtsgestalt, und den Be- sitz der höchsten Macht mit Würdigkeit sie zu besitzen, end- lich unverdienten herben Tod; und sie besuchte ihn heim- lich als seine Vermählte 17), doch unter dem Gesetz daß er sein Haupt verhülle und sie nie sehe. Eine uralte höl- zerne vergoldete Statue des Königs, deren Haupt so ver- hüllt gehalten ward, war in dem Tempel aufgestellt den er seiner Göttinn erbaut hatte. Einst verzehrte diesen Feuersbrunst, nur die Statue blieb unversehrt, weil Ser- vius aus den Flammen erzeugt war.
Seitdem Tarquinius den Knaben erzog, ward seine
16) Nach Valerius Antias als Mann, da er nach langem Gram über den Tod seines Weibes Gegania eingeschlummert war. Plutarch, de fortuna Romanor. p. 323.
17) Ovidius Fast. VI. v. 577.
ihrem Hauſe als Freundin nicht als Sklavin behandelt, eines Knaben geneſen ſey; dieſer war Servius Tullius.
Als Kind ſchlummerte Servius einſt in der Halle des koͤniglichen Hauſes, da ſah man mit Entſetzen ſein Haupt von Flammen umgeben 16). Die Koͤnigin Tanaquil ward herbeygerufen, ſie verbot jeden Verſuch die Flamme zu loͤſchen, als der Knabe erwachte war die Erſcheinung verſchwunden: denn die etruskiſche Seherin erkannte dar- in den Geiſt ſeines Erzeugers, und den Beruf des Knaben zu hohen Dingen. Von der Zeit an ward er wie ein koͤ- nigliches Kind und fuͤr die hoͤchſten Wuͤrden erzogen. Auch in ſeinem fernern Leben verlohr er ſein naͤheres Verhaͤlt- niß zu den hoͤheren Maͤchten nicht. Die Goͤttin Fortuna liebte ihn: die in ſeinem Leben das aͤußerſte ihrer Sphaͤre zuſammenfaßte, Geburt in Knechtsgeſtalt, und den Be- ſitz der hoͤchſten Macht mit Wuͤrdigkeit ſie zu beſitzen, end- lich unverdienten herben Tod; und ſie beſuchte ihn heim- lich als ſeine Vermaͤhlte 17), doch unter dem Geſetz daß er ſein Haupt verhuͤlle und ſie nie ſehe. Eine uralte hoͤl- zerne vergoldete Statue des Koͤnigs, deren Haupt ſo ver- huͤllt gehalten ward, war in dem Tempel aufgeſtellt den er ſeiner Goͤttinn erbaut hatte. Einſt verzehrte dieſen Feuersbrunſt, nur die Statue blieb unverſehrt, weil Ser- vius aus den Flammen erzeugt war.
Seitdem Tarquinius den Knaben erzog, ward ſeine
16) Nach Valerius Antias als Mann, da er nach langem Gram uͤber den Tod ſeines Weibes Gegania eingeſchlummert war. Plutarch, de fortuna Romanor. p. 323.
17) Ovidius Fast. VI. v. 577.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0268"n="246"/>
ihrem Hauſe als Freundin nicht als Sklavin behandelt,<lb/>
eines Knaben geneſen ſey; dieſer war Servius Tullius.</p><lb/><p>Als Kind ſchlummerte Servius einſt in der Halle des<lb/>
koͤniglichen Hauſes, da ſah man mit Entſetzen ſein Haupt<lb/>
von Flammen umgeben <noteplace="foot"n="16)">Nach Valerius Antias als Mann, da er nach langem Gram<lb/>
uͤber den Tod ſeines Weibes Gegania eingeſchlummert war.<lb/>
Plutarch, <hirendition="#aq">de fortuna Romanor. p. 323.</hi></note>. Die Koͤnigin Tanaquil<lb/>
ward herbeygerufen, ſie verbot jeden Verſuch die Flamme<lb/>
zu loͤſchen, als der Knabe erwachte war die Erſcheinung<lb/>
verſchwunden: denn die etruskiſche Seherin erkannte dar-<lb/>
in den Geiſt ſeines Erzeugers, und den Beruf des Knaben<lb/>
zu hohen Dingen. Von der Zeit an ward er wie ein koͤ-<lb/>
nigliches Kind und fuͤr die hoͤchſten Wuͤrden erzogen. Auch<lb/>
in ſeinem fernern Leben verlohr er ſein naͤheres Verhaͤlt-<lb/>
niß zu den hoͤheren Maͤchten nicht. Die Goͤttin Fortuna<lb/>
liebte ihn: die in ſeinem Leben das aͤußerſte ihrer Sphaͤre<lb/>
zuſammenfaßte, Geburt in Knechtsgeſtalt, und den Be-<lb/>ſitz der hoͤchſten Macht mit Wuͤrdigkeit ſie zu beſitzen, end-<lb/>
lich unverdienten herben Tod; und ſie beſuchte ihn heim-<lb/>
lich als ſeine Vermaͤhlte <noteplace="foot"n="17)">Ovidius <hirendition="#aq">Fast. VI. v. 577.</hi></note>, doch unter dem Geſetz daß<lb/>
er ſein Haupt verhuͤlle und ſie nie ſehe. Eine uralte hoͤl-<lb/>
zerne vergoldete Statue des Koͤnigs, deren Haupt ſo ver-<lb/>
huͤllt gehalten ward, war in dem Tempel aufgeſtellt den<lb/>
er ſeiner Goͤttinn erbaut hatte. Einſt verzehrte dieſen<lb/>
Feuersbrunſt, nur die Statue blieb unverſehrt, weil Ser-<lb/>
vius aus den Flammen erzeugt war.</p><lb/><p>Seitdem Tarquinius den Knaben erzog, ward ſeine<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[246/0268]
ihrem Hauſe als Freundin nicht als Sklavin behandelt,
eines Knaben geneſen ſey; dieſer war Servius Tullius.
Als Kind ſchlummerte Servius einſt in der Halle des
koͤniglichen Hauſes, da ſah man mit Entſetzen ſein Haupt
von Flammen umgeben 16). Die Koͤnigin Tanaquil
ward herbeygerufen, ſie verbot jeden Verſuch die Flamme
zu loͤſchen, als der Knabe erwachte war die Erſcheinung
verſchwunden: denn die etruskiſche Seherin erkannte dar-
in den Geiſt ſeines Erzeugers, und den Beruf des Knaben
zu hohen Dingen. Von der Zeit an ward er wie ein koͤ-
nigliches Kind und fuͤr die hoͤchſten Wuͤrden erzogen. Auch
in ſeinem fernern Leben verlohr er ſein naͤheres Verhaͤlt-
niß zu den hoͤheren Maͤchten nicht. Die Goͤttin Fortuna
liebte ihn: die in ſeinem Leben das aͤußerſte ihrer Sphaͤre
zuſammenfaßte, Geburt in Knechtsgeſtalt, und den Be-
ſitz der hoͤchſten Macht mit Wuͤrdigkeit ſie zu beſitzen, end-
lich unverdienten herben Tod; und ſie beſuchte ihn heim-
lich als ſeine Vermaͤhlte 17), doch unter dem Geſetz daß
er ſein Haupt verhuͤlle und ſie nie ſehe. Eine uralte hoͤl-
zerne vergoldete Statue des Koͤnigs, deren Haupt ſo ver-
huͤllt gehalten ward, war in dem Tempel aufgeſtellt den
er ſeiner Goͤttinn erbaut hatte. Einſt verzehrte dieſen
Feuersbrunſt, nur die Statue blieb unverſehrt, weil Ser-
vius aus den Flammen erzeugt war.
Seitdem Tarquinius den Knaben erzog, ward ſeine
16) Nach Valerius Antias als Mann, da er nach langem Gram
uͤber den Tod ſeines Weibes Gegania eingeſchlummert war.
Plutarch, de fortuna Romanor. p. 323.
17) Ovidius Fast. VI. v. 577.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/268>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.