Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

arabischen und persischen historischen Gedichten. Ein
Grieche, an Talente zu sechzig Pfunden gewöhnt, hätte
wohl nicht erfunden daß das übrige Gold und Silber,
3600 Talente, unter die Soldaten, jedem zu fünf Pfun-
den vertheilt worden sey; weil daraus eine wunderliche
Zahl, und wie man sie bey der Freyheit der Erdichtung
nicht erwählt, für die gesammte Armee entsteht, wenn
auch unglaublich groß genug. Aber der Urheber der Er-
zählung hatte italische Talente im Sinn, und dann wird
die Zahl des Heers des Tarquinius der angeblichen Beute
würdig ungeheuer, nämlich nicht weniger als 72000 Mann.
Es ist keineswegs überflüssig solche Ausartungen angebli-
cher historischer Nachrichten genauer vor den Blick zu
ziehen, damit man das Ganze würdige dem sie an-
gehören.

Gabii, damals eine große Latinische Stadt, war dem
allgemeinen Bunde nicht beygetreten, sondern hatte seine
Unabhängigkeit bewahrt. Es ist merkwürdig daß in der
fünffachen Eintheilung der Landschaften, in der Disciplin
der Augurien, Gabinisches Land neben dem Römischen,
Fremden, Feindlichen und Ungewissen besonders aufge-
führt wird 68), welches auf zwiefache Weise gedeutet wer-
den kann. Dahin nämlich, daß für die Augurien das
Land aller bey den Latinischen Ferien vereinigter Städte
wie Römischer Boden gegolten habe, aber das Gabinische
Gebiet nicht, obgleich es als latinisch auch nicht als fremd
angesehen ward: oder auch dahin, daß aus Gabii die
eigenthümlichen latinischen heiligen Gebräuche ent-

68) Varro de L. L. IV. c. 4.

arabiſchen und perſiſchen hiſtoriſchen Gedichten. Ein
Grieche, an Talente zu ſechzig Pfunden gewoͤhnt, haͤtte
wohl nicht erfunden daß das uͤbrige Gold und Silber,
3600 Talente, unter die Soldaten, jedem zu fuͤnf Pfun-
den vertheilt worden ſey; weil daraus eine wunderliche
Zahl, und wie man ſie bey der Freyheit der Erdichtung
nicht erwaͤhlt, fuͤr die geſammte Armee entſteht, wenn
auch unglaublich groß genug. Aber der Urheber der Er-
zaͤhlung hatte italiſche Talente im Sinn, und dann wird
die Zahl des Heers des Tarquinius der angeblichen Beute
wuͤrdig ungeheuer, naͤmlich nicht weniger als 72000 Mann.
Es iſt keineswegs uͤberfluͤſſig ſolche Ausartungen angebli-
cher hiſtoriſcher Nachrichten genauer vor den Blick zu
ziehen, damit man das Ganze wuͤrdige dem ſie an-
gehoͤren.

Gabii, damals eine große Latiniſche Stadt, war dem
allgemeinen Bunde nicht beygetreten, ſondern hatte ſeine
Unabhaͤngigkeit bewahrt. Es iſt merkwuͤrdig daß in der
fuͤnffachen Eintheilung der Landſchaften, in der Disciplin
der Augurien, Gabiniſches Land neben dem Roͤmiſchen,
Fremden, Feindlichen und Ungewiſſen beſonders aufge-
fuͤhrt wird 68), welches auf zwiefache Weiſe gedeutet wer-
den kann. Dahin naͤmlich, daß fuͤr die Augurien das
Land aller bey den Latiniſchen Ferien vereinigter Staͤdte
wie Roͤmiſcher Boden gegolten habe, aber das Gabiniſche
Gebiet nicht, obgleich es als latiniſch auch nicht als fremd
angeſehen ward: oder auch dahin, daß aus Gabii die
eigenthuͤmlichen latiniſchen heiligen Gebraͤuche ent-

68) Varro de L. L. IV. c. 4.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0321" n="299"/>
arabi&#x017F;chen und per&#x017F;i&#x017F;chen hi&#x017F;tori&#x017F;chen Gedichten. Ein<lb/>
Grieche, an Talente zu &#x017F;echzig Pfunden gewo&#x0364;hnt, ha&#x0364;tte<lb/>
wohl nicht erfunden daß das u&#x0364;brige Gold und Silber,<lb/>
3600 Talente, unter die Soldaten, jedem zu fu&#x0364;nf Pfun-<lb/>
den vertheilt worden &#x017F;ey; weil daraus eine wunderliche<lb/>
Zahl, und wie man &#x017F;ie bey der Freyheit der Erdichtung<lb/>
nicht erwa&#x0364;hlt, fu&#x0364;r die ge&#x017F;ammte Armee ent&#x017F;teht, wenn<lb/>
auch unglaublich groß genug. Aber der Urheber der Er-<lb/>
za&#x0364;hlung hatte itali&#x017F;che Talente im Sinn, und dann wird<lb/>
die Zahl des Heers des Tarquinius der angeblichen Beute<lb/>
wu&#x0364;rdig ungeheuer, na&#x0364;mlich nicht weniger als 72000 Mann.<lb/>
Es i&#x017F;t keineswegs u&#x0364;berflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig &#x017F;olche Ausartungen angebli-<lb/>
cher hi&#x017F;tori&#x017F;cher Nachrichten genauer vor den Blick zu<lb/>
ziehen, damit man das Ganze wu&#x0364;rdige dem &#x017F;ie an-<lb/>
geho&#x0364;ren.</p><lb/>
          <p>Gabii, damals eine große Latini&#x017F;che Stadt, war dem<lb/>
allgemeinen Bunde nicht beygetreten, &#x017F;ondern hatte &#x017F;eine<lb/>
Unabha&#x0364;ngigkeit bewahrt. Es i&#x017F;t merkwu&#x0364;rdig daß in der<lb/>
fu&#x0364;nffachen Eintheilung der Land&#x017F;chaften, in der Disciplin<lb/>
der Augurien, Gabini&#x017F;ches Land neben dem Ro&#x0364;mi&#x017F;chen,<lb/>
Fremden, Feindlichen und Ungewi&#x017F;&#x017F;en be&#x017F;onders aufge-<lb/>
fu&#x0364;hrt wird <note place="foot" n="68)">Varro <hi rendition="#aq">de L. L. IV. c.</hi> 4.</note>, welches auf zwiefache Wei&#x017F;e gedeutet wer-<lb/>
den kann. Dahin na&#x0364;mlich, daß fu&#x0364;r die Augurien das<lb/>
Land aller bey den Latini&#x017F;chen Ferien vereinigter Sta&#x0364;dte<lb/>
wie Ro&#x0364;mi&#x017F;cher Boden gegolten habe, aber das Gabini&#x017F;che<lb/>
Gebiet nicht, obgleich es als latini&#x017F;ch auch nicht als fremd<lb/>
ange&#x017F;ehen ward: oder auch dahin, daß aus Gabii die<lb/>
eigenthu&#x0364;mlichen <hi rendition="#g">latini&#x017F;chen</hi> heiligen Gebra&#x0364;uche ent-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[299/0321] arabiſchen und perſiſchen hiſtoriſchen Gedichten. Ein Grieche, an Talente zu ſechzig Pfunden gewoͤhnt, haͤtte wohl nicht erfunden daß das uͤbrige Gold und Silber, 3600 Talente, unter die Soldaten, jedem zu fuͤnf Pfun- den vertheilt worden ſey; weil daraus eine wunderliche Zahl, und wie man ſie bey der Freyheit der Erdichtung nicht erwaͤhlt, fuͤr die geſammte Armee entſteht, wenn auch unglaublich groß genug. Aber der Urheber der Er- zaͤhlung hatte italiſche Talente im Sinn, und dann wird die Zahl des Heers des Tarquinius der angeblichen Beute wuͤrdig ungeheuer, naͤmlich nicht weniger als 72000 Mann. Es iſt keineswegs uͤberfluͤſſig ſolche Ausartungen angebli- cher hiſtoriſcher Nachrichten genauer vor den Blick zu ziehen, damit man das Ganze wuͤrdige dem ſie an- gehoͤren. Gabii, damals eine große Latiniſche Stadt, war dem allgemeinen Bunde nicht beygetreten, ſondern hatte ſeine Unabhaͤngigkeit bewahrt. Es iſt merkwuͤrdig daß in der fuͤnffachen Eintheilung der Landſchaften, in der Disciplin der Augurien, Gabiniſches Land neben dem Roͤmiſchen, Fremden, Feindlichen und Ungewiſſen beſonders aufge- fuͤhrt wird 68), welches auf zwiefache Weiſe gedeutet wer- den kann. Dahin naͤmlich, daß fuͤr die Augurien das Land aller bey den Latiniſchen Ferien vereinigter Staͤdte wie Roͤmiſcher Boden gegolten habe, aber das Gabiniſche Gebiet nicht, obgleich es als latiniſch auch nicht als fremd angeſehen ward: oder auch dahin, daß aus Gabii die eigenthuͤmlichen latiniſchen heiligen Gebraͤuche ent- 68) Varro de L. L. IV. c. 4.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/321
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/321>, abgerufen am 22.11.2024.