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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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sein Daseyn nur durch Unterwerfung. Selbst nach der
herrschenden Erzählung erließ Porsenas romantischer
Edelmuth den Besiegten anfangs wenig von den härtesten
Bedingungen welche ein stolzer Sieger vorschreiben konnte.
Rom mußte seine Treue durch Geisseln verbürgen, Jüng-
linge und Jungfrauen, unter denen sich des Consuls Toch-
ter Valeria befand. Die Römer selbst bekennen daß ihre
Vorfahren damals die alten Eroberungen am vejentischen
Ufer der Tiber verlohren: und es ist gezeigt worden daß
ihnen wahrscheinlich zehn ganze Regionen genommen wur-
den. Auch das ältere Rom, als der Gewinn einzelner
bey den Eroberungen nicht gleichgültiger war als die Ver-
größerung der Herrschaft des Staats, verfolgte seine
Siege oft nicht weiter: nicht bis zur Vertilgung: ohne
daß Edelmuth oder Bewunderung des Feindes ihm Grän-
zen gesetzt hätte. Was den Besiegten blieb, ward zins-
pflichtig: und wenn Porsena den Krieg unter dem Vor-
wand der Herstellung der Tarquinier unternommen hatte,
so ist es doch nicht auffallend daß er ihn nur für sich be-
nutzte, und ihre Sache aufgab.

Alles was von diesem Krieg erzählt wird, der wahr-
scheinlich von dem Vejentischen worin Brutus den Tod
fand nicht verschieden war, selbst die Vorfälle welche
Wahrheit in dichterischer Gestalt, oder in dichterische Er-
zählung verwebt scheinen könnten, ist höchst wahrschein-
lich nichts als eine freye dichterische Bildung welche an die
Stelle der gänzlich vertilgten historischen Nachrichten ge-
treten ist. In der Kriegsgeschichte selbst ist der vejenti-
sche des Jahrs 277 abgespiegelt, welcher nach dem Un-

Erster Theil. Z

ſein Daſeyn nur durch Unterwerfung. Selbſt nach der
herrſchenden Erzaͤhlung erließ Porſenas romantiſcher
Edelmuth den Beſiegten anfangs wenig von den haͤrteſten
Bedingungen welche ein ſtolzer Sieger vorſchreiben konnte.
Rom mußte ſeine Treue durch Geiſſeln verbuͤrgen, Juͤng-
linge und Jungfrauen, unter denen ſich des Conſuls Toch-
ter Valeria befand. Die Roͤmer ſelbſt bekennen daß ihre
Vorfahren damals die alten Eroberungen am vejentiſchen
Ufer der Tiber verlohren: und es iſt gezeigt worden daß
ihnen wahrſcheinlich zehn ganze Regionen genommen wur-
den. Auch das aͤltere Rom, als der Gewinn einzelner
bey den Eroberungen nicht gleichguͤltiger war als die Ver-
groͤßerung der Herrſchaft des Staats, verfolgte ſeine
Siege oft nicht weiter: nicht bis zur Vertilgung: ohne
daß Edelmuth oder Bewunderung des Feindes ihm Graͤn-
zen geſetzt haͤtte. Was den Beſiegten blieb, ward zins-
pflichtig: und wenn Porſena den Krieg unter dem Vor-
wand der Herſtellung der Tarquinier unternommen hatte,
ſo iſt es doch nicht auffallend daß er ihn nur fuͤr ſich be-
nutzte, und ihre Sache aufgab.

Alles was von dieſem Krieg erzaͤhlt wird, der wahr-
ſcheinlich von dem Vejentiſchen worin Brutus den Tod
fand nicht verſchieden war, ſelbſt die Vorfaͤlle welche
Wahrheit in dichteriſcher Geſtalt, oder in dichteriſche Er-
zaͤhlung verwebt ſcheinen koͤnnten, iſt hoͤchſt wahrſchein-
lich nichts als eine freye dichteriſche Bildung welche an die
Stelle der gaͤnzlich vertilgten hiſtoriſchen Nachrichten ge-
treten iſt. In der Kriegsgeſchichte ſelbſt iſt der vejenti-
ſche des Jahrs 277 abgeſpiegelt, welcher nach dem Un-

Erſter Theil. Z
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[353/0375] ſein Daſeyn nur durch Unterwerfung. Selbſt nach der herrſchenden Erzaͤhlung erließ Porſenas romantiſcher Edelmuth den Beſiegten anfangs wenig von den haͤrteſten Bedingungen welche ein ſtolzer Sieger vorſchreiben konnte. Rom mußte ſeine Treue durch Geiſſeln verbuͤrgen, Juͤng- linge und Jungfrauen, unter denen ſich des Conſuls Toch- ter Valeria befand. Die Roͤmer ſelbſt bekennen daß ihre Vorfahren damals die alten Eroberungen am vejentiſchen Ufer der Tiber verlohren: und es iſt gezeigt worden daß ihnen wahrſcheinlich zehn ganze Regionen genommen wur- den. Auch das aͤltere Rom, als der Gewinn einzelner bey den Eroberungen nicht gleichguͤltiger war als die Ver- groͤßerung der Herrſchaft des Staats, verfolgte ſeine Siege oft nicht weiter: nicht bis zur Vertilgung: ohne daß Edelmuth oder Bewunderung des Feindes ihm Graͤn- zen geſetzt haͤtte. Was den Beſiegten blieb, ward zins- pflichtig: und wenn Porſena den Krieg unter dem Vor- wand der Herſtellung der Tarquinier unternommen hatte, ſo iſt es doch nicht auffallend daß er ihn nur fuͤr ſich be- nutzte, und ihre Sache aufgab. Alles was von dieſem Krieg erzaͤhlt wird, der wahr- ſcheinlich von dem Vejentiſchen worin Brutus den Tod fand nicht verſchieden war, ſelbſt die Vorfaͤlle welche Wahrheit in dichteriſcher Geſtalt, oder in dichteriſche Er- zaͤhlung verwebt ſcheinen koͤnnten, iſt hoͤchſt wahrſchein- lich nichts als eine freye dichteriſche Bildung welche an die Stelle der gaͤnzlich vertilgten hiſtoriſchen Nachrichten ge- treten iſt. In der Kriegsgeſchichte ſelbſt iſt der vejenti- ſche des Jahrs 277 abgeſpiegelt, welcher nach dem Un- Erſter Theil. Z

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/375>, abgerufen am 25.11.2024.