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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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Volks zu stillen, und diese wären, um eine unordentliche
Plünderung zu verhüten, verkauft geworden. Warf die
Stadt das Joch ab, so mußte vieles Eigenthum des frem-
den Fürsten in die Gewalt des Volks gerathen, und hier
war regelmäßiger Verkauf an den Meistbietenden ange-
messen, welcher bey Vorräthen in einer Hungersnoth ab-
scheulich gewesen wäre. Wahrscheinlich fällt auch in diese
Zeit die Flucht der Clölia und ihrer Jungfrauen, denn so
lange Rom alles an der Erhaltung des Friedens lag wäre
diese Flucht keine That gewesen die vom Staat öffentlich
geehrt und belohnt werden konnte, oder belohnt worden
wäre. Die Entflohenen hätten ihr Vaterland in die un-
vermeidliche Nothwendigkeit gesetzt sie auszuliefern, eine
Thorheit an der Römische Besonnenheit nie etwas lo-
benswerthes hätte finden können, wenn gleich, nach der
Dichtung, bey einem so edeln Feinde das Unglück dadurch
nicht vermehrt ward. Sehr denkbar hingegen ist es daß
die Flucht der Geisseln den Römern nach dem unglückli-
chen Ausgang des etruskischen Feldzugs in Latium freye-
ren Muth gab ihre Unterwürfigkeit abzuschütteln. Doch
ist es sehr zweifelhaft ob Rom damals und noch lange
nachher, außer dem Vaticanischen Felde, Gebiet auf dem
etruskischen Ufer der Tiber besaß, welcher vielmehr noch
in den zwölf Tafeln als die Gränze des Römischen Gebiets
genannt zu werden scheint.

Schon Cicero wähnte die Herrschaft der Könige habe
die Nation in einer langen Kindheit zurückgehalten, und
sie hätte sich von ihrer Befreyung an unglaublich schnell
zu einer ihr bis dahin fremden Macht und Größe erhoben.

Volks zu ſtillen, und dieſe waͤren, um eine unordentliche
Pluͤnderung zu verhuͤten, verkauft geworden. Warf die
Stadt das Joch ab, ſo mußte vieles Eigenthum des frem-
den Fuͤrſten in die Gewalt des Volks gerathen, und hier
war regelmaͤßiger Verkauf an den Meiſtbietenden ange-
meſſen, welcher bey Vorraͤthen in einer Hungersnoth ab-
ſcheulich geweſen waͤre. Wahrſcheinlich faͤllt auch in dieſe
Zeit die Flucht der Cloͤlia und ihrer Jungfrauen, denn ſo
lange Rom alles an der Erhaltung des Friedens lag waͤre
dieſe Flucht keine That geweſen die vom Staat oͤffentlich
geehrt und belohnt werden konnte, oder belohnt worden
waͤre. Die Entflohenen haͤtten ihr Vaterland in die un-
vermeidliche Nothwendigkeit geſetzt ſie auszuliefern, eine
Thorheit an der Roͤmiſche Beſonnenheit nie etwas lo-
benswerthes haͤtte finden koͤnnen, wenn gleich, nach der
Dichtung, bey einem ſo edeln Feinde das Ungluͤck dadurch
nicht vermehrt ward. Sehr denkbar hingegen iſt es daß
die Flucht der Geiſſeln den Roͤmern nach dem ungluͤckli-
chen Ausgang des etruskiſchen Feldzugs in Latium freye-
ren Muth gab ihre Unterwuͤrfigkeit abzuſchuͤtteln. Doch
iſt es ſehr zweifelhaft ob Rom damals und noch lange
nachher, außer dem Vaticaniſchen Felde, Gebiet auf dem
etruskiſchen Ufer der Tiber beſaß, welcher vielmehr noch
in den zwoͤlf Tafeln als die Graͤnze des Roͤmiſchen Gebiets
genannt zu werden ſcheint.

Schon Cicero waͤhnte die Herrſchaft der Koͤnige habe
die Nation in einer langen Kindheit zuruͤckgehalten, und
ſie haͤtte ſich von ihrer Befreyung an unglaublich ſchnell
zu einer ihr bis dahin fremden Macht und Groͤße erhoben.

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[358/0380] Volks zu ſtillen, und dieſe waͤren, um eine unordentliche Pluͤnderung zu verhuͤten, verkauft geworden. Warf die Stadt das Joch ab, ſo mußte vieles Eigenthum des frem- den Fuͤrſten in die Gewalt des Volks gerathen, und hier war regelmaͤßiger Verkauf an den Meiſtbietenden ange- meſſen, welcher bey Vorraͤthen in einer Hungersnoth ab- ſcheulich geweſen waͤre. Wahrſcheinlich faͤllt auch in dieſe Zeit die Flucht der Cloͤlia und ihrer Jungfrauen, denn ſo lange Rom alles an der Erhaltung des Friedens lag waͤre dieſe Flucht keine That geweſen die vom Staat oͤffentlich geehrt und belohnt werden konnte, oder belohnt worden waͤre. Die Entflohenen haͤtten ihr Vaterland in die un- vermeidliche Nothwendigkeit geſetzt ſie auszuliefern, eine Thorheit an der Roͤmiſche Beſonnenheit nie etwas lo- benswerthes haͤtte finden koͤnnen, wenn gleich, nach der Dichtung, bey einem ſo edeln Feinde das Ungluͤck dadurch nicht vermehrt ward. Sehr denkbar hingegen iſt es daß die Flucht der Geiſſeln den Roͤmern nach dem ungluͤckli- chen Ausgang des etruskiſchen Feldzugs in Latium freye- ren Muth gab ihre Unterwuͤrfigkeit abzuſchuͤtteln. Doch iſt es ſehr zweifelhaft ob Rom damals und noch lange nachher, außer dem Vaticaniſchen Felde, Gebiet auf dem etruskiſchen Ufer der Tiber beſaß, welcher vielmehr noch in den zwoͤlf Tafeln als die Graͤnze des Roͤmiſchen Gebiets genannt zu werden ſcheint. Schon Cicero waͤhnte die Herrſchaft der Koͤnige habe die Nation in einer langen Kindheit zuruͤckgehalten, und ſie haͤtte ſich von ihrer Befreyung an unglaublich ſchnell zu einer ihr bis dahin fremden Macht und Groͤße erhoben.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/380>, abgerufen am 25.11.2024.