Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

Dieser Irrthum ist kaum dann begreiflich wenn man die
Geschichte der Könige auch nur so ließt wie sie sich in den
Historikern findet, und die der folgenden anderthalb Jahr-
hunderte, so dürftig wie sie sich damals noch in den zuver-
lässigeren Annalen erzählt finden mochte, durchläuft, ohne
zu beachten wie lang der Zeitraum der Demüthigung war.
Neueren welche die Römische Geschichte beurtheilend er-
forschen wollten, ist die Theilnahme an diesem Irrthum
noch weniger zu verzeihen. Denn wenn auch Rom seine
Unabhängigkeit wieder gewann, der alte Glanz war erlo-
schen und geschwächt; verblutet, ohne Herrschaft, wie
Athen aus dem Joch der dreyßig Tyrannen, rettete es sich
wieder in die Freyheit.

Wie verwischt oder frevelhaft ergänzt auch die Ge-
schichte eben dieser Zwischenzeit bis zur Schlacht am Re-
gillus mehr als die irgend eines andern Zeitraums erzählt
ist, so erhellt doch das ganz klar, daß Rom während die-
ser Zeit auf sich allein beschränkt dastand. Eben diese
Einsamkeit zu verhehlen, und über eine Zeit vorüberge-
hender Niedrigkeit zu täuschen, welche der königlichen
Hegemonie über Latium allerdings auffallend entgegen-
steht, die aber der Ireis für Freyheit und künftige Größe
war; eben deswegen haben Familienerzählungen und
späte Annalistenfabler die leeren Fasten der alten Ta-
feln mit riesenmäßigen Schlachten gegen die Sabiner
angefüllt.

In dieser dunkeln Zeit finden sich nur sehr wenige
Vorfälle welche entweder glaublich oder wichtig genug wä-
ren um hier erwähnt zu werden. Die Widersprüche zwi-

Dieſer Irrthum iſt kaum dann begreiflich wenn man die
Geſchichte der Koͤnige auch nur ſo ließt wie ſie ſich in den
Hiſtorikern findet, und die der folgenden anderthalb Jahr-
hunderte, ſo duͤrftig wie ſie ſich damals noch in den zuver-
laͤſſigeren Annalen erzaͤhlt finden mochte, durchlaͤuft, ohne
zu beachten wie lang der Zeitraum der Demuͤthigung war.
Neueren welche die Roͤmiſche Geſchichte beurtheilend er-
forſchen wollten, iſt die Theilnahme an dieſem Irrthum
noch weniger zu verzeihen. Denn wenn auch Rom ſeine
Unabhaͤngigkeit wieder gewann, der alte Glanz war erlo-
ſchen und geſchwaͤcht; verblutet, ohne Herrſchaft, wie
Athen aus dem Joch der dreyßig Tyrannen, rettete es ſich
wieder in die Freyheit.

Wie verwiſcht oder frevelhaft ergaͤnzt auch die Ge-
ſchichte eben dieſer Zwiſchenzeit bis zur Schlacht am Re-
gillus mehr als die irgend eines andern Zeitraums erzaͤhlt
iſt, ſo erhellt doch das ganz klar, daß Rom waͤhrend die-
ſer Zeit auf ſich allein beſchraͤnkt daſtand. Eben dieſe
Einſamkeit zu verhehlen, und uͤber eine Zeit voruͤberge-
hender Niedrigkeit zu taͤuſchen, welche der koͤniglichen
Hegemonie uͤber Latium allerdings auffallend entgegen-
ſteht, die aber der Ireis fuͤr Freyheit und kuͤnftige Groͤße
war; eben deswegen haben Familienerzaͤhlungen und
ſpaͤte Annaliſtenfabler die leeren Faſten der alten Ta-
feln mit rieſenmaͤßigen Schlachten gegen die Sabiner
angefuͤllt.

In dieſer dunkeln Zeit finden ſich nur ſehr wenige
Vorfaͤlle welche entweder glaublich oder wichtig genug waͤ-
ren um hier erwaͤhnt zu werden. Die Widerſpruͤche zwi-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0381" n="359"/>
Die&#x017F;er Irrthum i&#x017F;t kaum dann begreiflich wenn man die<lb/>
Ge&#x017F;chichte der Ko&#x0364;nige auch nur &#x017F;o ließt wie &#x017F;ie &#x017F;ich in den<lb/>
Hi&#x017F;torikern findet, und die der folgenden anderthalb Jahr-<lb/>
hunderte, &#x017F;o du&#x0364;rftig wie &#x017F;ie &#x017F;ich damals noch in den zuver-<lb/>
la&#x0364;&#x017F;&#x017F;igeren Annalen erza&#x0364;hlt finden mochte, durchla&#x0364;uft, ohne<lb/>
zu beachten wie lang der Zeitraum der Demu&#x0364;thigung war.<lb/>
Neueren welche die Ro&#x0364;mi&#x017F;che Ge&#x017F;chichte beurtheilend er-<lb/>
for&#x017F;chen wollten, i&#x017F;t die Theilnahme an die&#x017F;em Irrthum<lb/>
noch weniger zu verzeihen. Denn wenn auch Rom &#x017F;eine<lb/>
Unabha&#x0364;ngigkeit wieder gewann, der alte Glanz war erlo-<lb/>
&#x017F;chen und ge&#x017F;chwa&#x0364;cht; verblutet, ohne Herr&#x017F;chaft, wie<lb/>
Athen aus dem Joch der dreyßig Tyrannen, rettete es &#x017F;ich<lb/>
wieder in die Freyheit.</p><lb/>
          <p>Wie verwi&#x017F;cht oder frevelhaft erga&#x0364;nzt auch die Ge-<lb/>
&#x017F;chichte eben die&#x017F;er Zwi&#x017F;chenzeit bis zur Schlacht am Re-<lb/>
gillus mehr als die irgend eines andern Zeitraums erza&#x0364;hlt<lb/>
i&#x017F;t, &#x017F;o erhellt doch das ganz klar, daß Rom wa&#x0364;hrend die-<lb/>
&#x017F;er Zeit auf &#x017F;ich allein be&#x017F;chra&#x0364;nkt da&#x017F;tand. Eben die&#x017F;e<lb/>
Ein&#x017F;amkeit zu verhehlen, und u&#x0364;ber eine Zeit voru&#x0364;berge-<lb/>
hender Niedrigkeit zu ta&#x0364;u&#x017F;chen, welche der ko&#x0364;niglichen<lb/>
Hegemonie u&#x0364;ber Latium allerdings auffallend entgegen-<lb/>
&#x017F;teht, die aber der Ireis fu&#x0364;r Freyheit und ku&#x0364;nftige Gro&#x0364;ße<lb/>
war; eben deswegen haben Familienerza&#x0364;hlungen und<lb/>
&#x017F;pa&#x0364;te Annali&#x017F;tenfabler die leeren Fa&#x017F;ten der alten Ta-<lb/>
feln mit rie&#x017F;enma&#x0364;ßigen Schlachten gegen die Sabiner<lb/>
angefu&#x0364;llt.</p><lb/>
          <p>In die&#x017F;er dunkeln Zeit finden &#x017F;ich nur &#x017F;ehr wenige<lb/>
Vorfa&#x0364;lle welche entweder glaublich oder wichtig genug wa&#x0364;-<lb/>
ren um hier erwa&#x0364;hnt zu werden. Die Wider&#x017F;pru&#x0364;che zwi-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[359/0381] Dieſer Irrthum iſt kaum dann begreiflich wenn man die Geſchichte der Koͤnige auch nur ſo ließt wie ſie ſich in den Hiſtorikern findet, und die der folgenden anderthalb Jahr- hunderte, ſo duͤrftig wie ſie ſich damals noch in den zuver- laͤſſigeren Annalen erzaͤhlt finden mochte, durchlaͤuft, ohne zu beachten wie lang der Zeitraum der Demuͤthigung war. Neueren welche die Roͤmiſche Geſchichte beurtheilend er- forſchen wollten, iſt die Theilnahme an dieſem Irrthum noch weniger zu verzeihen. Denn wenn auch Rom ſeine Unabhaͤngigkeit wieder gewann, der alte Glanz war erlo- ſchen und geſchwaͤcht; verblutet, ohne Herrſchaft, wie Athen aus dem Joch der dreyßig Tyrannen, rettete es ſich wieder in die Freyheit. Wie verwiſcht oder frevelhaft ergaͤnzt auch die Ge- ſchichte eben dieſer Zwiſchenzeit bis zur Schlacht am Re- gillus mehr als die irgend eines andern Zeitraums erzaͤhlt iſt, ſo erhellt doch das ganz klar, daß Rom waͤhrend die- ſer Zeit auf ſich allein beſchraͤnkt daſtand. Eben dieſe Einſamkeit zu verhehlen, und uͤber eine Zeit voruͤberge- hender Niedrigkeit zu taͤuſchen, welche der koͤniglichen Hegemonie uͤber Latium allerdings auffallend entgegen- ſteht, die aber der Ireis fuͤr Freyheit und kuͤnftige Groͤße war; eben deswegen haben Familienerzaͤhlungen und ſpaͤte Annaliſtenfabler die leeren Faſten der alten Ta- feln mit rieſenmaͤßigen Schlachten gegen die Sabiner angefuͤllt. In dieſer dunkeln Zeit finden ſich nur ſehr wenige Vorfaͤlle welche entweder glaublich oder wichtig genug waͤ- ren um hier erwaͤhnt zu werden. Die Widerſpruͤche zwi-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/381
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/381>, abgerufen am 16.06.2024.