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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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deren Versorgung von Fremden abhängt, so ist ein solches
Volk am Wohlstand gesunken, wenn auch der Reich-
thum ungeheuer stieg, wenn auch die Mittel zu vielfache-
rem Genuß bey allen Klassen die nicht verarmt sind zunah-
men. Entwickelt sich diese Krankheit so tritt zuletzt ein
Zustand ein in dem jede mittlere Wohlhabenheit verschwin-
det, und wo denn zuletzt der Abgrund allgemeines Elends
auch die Reichen verschlingt welche sich lange sorgenlos
und gefühllos über ihm sonnten.

Aus dieser Erwägung, und in der täuschenden Hoff-
nung gegen die sich auch verständige Leute oft nicht fest
machen können, ein verlohrner glücklicher Zustand lasse
sich gewaltsam zurückführen, fand die Tilgung der Schul-
den, wodurch jeder in dem Besitz seines Erbes hergestellt
ward, selbst unter den Wohlwollendsten des Alterthums
manche uneigennützige Freunde. Aus diesem Gesichts-
punkte war die Veräußerung des ursprünglichen Erbes in
vielen alten Staaten verboten, und das mosaische Recht
stellte eine Verpfändung auf wodurch dieser Zweck erreicht,
und zu bestimmten Perioden eine verjüngte Nation von
Eigenthümern hergestellt ward. Dieses war, in seinem
rechten Sinn gefaßt, wahrlich eine der herrlichsten Eigen-
thümlichkeiten dieser tiefsinnigen Gesetzgebung: aber die
Willkührlichkeit womit die Machthaber des alten Abend-
lands verfuhren, verdient, als eine unverantwortliche
Beraubung, den ganzen Unwillen worin Cicero gegen sie
ausbricht. Auch war sie gewöhnlich das Mittel wodurch
Tyrannen ihre Herrschaft gründeten. Ihr ähnlich in den
Folgen, und in der Bösartigkeit seines Wesens ist ein

deren Verſorgung von Fremden abhaͤngt, ſo iſt ein ſolches
Volk am Wohlſtand geſunken, wenn auch der Reich-
thum ungeheuer ſtieg, wenn auch die Mittel zu vielfache-
rem Genuß bey allen Klaſſen die nicht verarmt ſind zunah-
men. Entwickelt ſich dieſe Krankheit ſo tritt zuletzt ein
Zuſtand ein in dem jede mittlere Wohlhabenheit verſchwin-
det, und wo denn zuletzt der Abgrund allgemeines Elends
auch die Reichen verſchlingt welche ſich lange ſorgenlos
und gefuͤhllos uͤber ihm ſonnten.

Aus dieſer Erwaͤgung, und in der taͤuſchenden Hoff-
nung gegen die ſich auch verſtaͤndige Leute oft nicht feſt
machen koͤnnen, ein verlohrner gluͤcklicher Zuſtand laſſe
ſich gewaltſam zuruͤckfuͤhren, fand die Tilgung der Schul-
den, wodurch jeder in dem Beſitz ſeines Erbes hergeſtellt
ward, ſelbſt unter den Wohlwollendſten des Alterthums
manche uneigennuͤtzige Freunde. Aus dieſem Geſichts-
punkte war die Veraͤußerung des urſpruͤnglichen Erbes in
vielen alten Staaten verboten, und das moſaiſche Recht
ſtellte eine Verpfaͤndung auf wodurch dieſer Zweck erreicht,
und zu beſtimmten Perioden eine verjuͤngte Nation von
Eigenthuͤmern hergeſtellt ward. Dieſes war, in ſeinem
rechten Sinn gefaßt, wahrlich eine der herrlichſten Eigen-
thuͤmlichkeiten dieſer tiefſinnigen Geſetzgebung: aber die
Willkuͤhrlichkeit womit die Machthaber des alten Abend-
lands verfuhren, verdient, als eine unverantwortliche
Beraubung, den ganzen Unwillen worin Cicero gegen ſie
ausbricht. Auch war ſie gewoͤhnlich das Mittel wodurch
Tyrannen ihre Herrſchaft gruͤndeten. Ihr aͤhnlich in den
Folgen, und in der Boͤsartigkeit ſeines Weſens iſt ein

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[396/0418] deren Verſorgung von Fremden abhaͤngt, ſo iſt ein ſolches Volk am Wohlſtand geſunken, wenn auch der Reich- thum ungeheuer ſtieg, wenn auch die Mittel zu vielfache- rem Genuß bey allen Klaſſen die nicht verarmt ſind zunah- men. Entwickelt ſich dieſe Krankheit ſo tritt zuletzt ein Zuſtand ein in dem jede mittlere Wohlhabenheit verſchwin- det, und wo denn zuletzt der Abgrund allgemeines Elends auch die Reichen verſchlingt welche ſich lange ſorgenlos und gefuͤhllos uͤber ihm ſonnten. Aus dieſer Erwaͤgung, und in der taͤuſchenden Hoff- nung gegen die ſich auch verſtaͤndige Leute oft nicht feſt machen koͤnnen, ein verlohrner gluͤcklicher Zuſtand laſſe ſich gewaltſam zuruͤckfuͤhren, fand die Tilgung der Schul- den, wodurch jeder in dem Beſitz ſeines Erbes hergeſtellt ward, ſelbſt unter den Wohlwollendſten des Alterthums manche uneigennuͤtzige Freunde. Aus dieſem Geſichts- punkte war die Veraͤußerung des urſpruͤnglichen Erbes in vielen alten Staaten verboten, und das moſaiſche Recht ſtellte eine Verpfaͤndung auf wodurch dieſer Zweck erreicht, und zu beſtimmten Perioden eine verjuͤngte Nation von Eigenthuͤmern hergeſtellt ward. Dieſes war, in ſeinem rechten Sinn gefaßt, wahrlich eine der herrlichſten Eigen- thuͤmlichkeiten dieſer tiefſinnigen Geſetzgebung: aber die Willkuͤhrlichkeit womit die Machthaber des alten Abend- lands verfuhren, verdient, als eine unverantwortliche Beraubung, den ganzen Unwillen worin Cicero gegen ſie ausbricht. Auch war ſie gewoͤhnlich das Mittel wodurch Tyrannen ihre Herrſchaft gruͤndeten. Ihr aͤhnlich in den Folgen, und in der Boͤsartigkeit ſeines Weſens iſt ein

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/418>, abgerufen am 16.06.2024.