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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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waren eine große Zahl 68); so daß ein eigentlicher Bür-
gerkrieg gar nicht undenkbar gewesen wäre. Lange schien
man gegenseitig mit unermüdlicher Hartnäckigkeit auf
diese äußerste Entscheidung gefaßt, welche Rom wahr-
scheinlich vernichtet haben würde. Keine Gewaltthätig-
keit des Volks entzündete den Ausbruch: diese Schaar,
empört gegen ihre Regierung, ohne Anführer, ohne Le-
bensmittel, begnügte sich vom Lande so viel zu nehmen
als sie gegen den Hunger bedurfte. Aber ihre Macht
wuchs täglich, ihre Stimmung ward gefährlicher: wahr-
scheinlich drohten auch Gefahren von den erwachenden
Nachbarvölkern, und der stolze Senat, der vor wenigen
Monaten jede Empörung hindern gekonnt hätte, mußte
sich entschließen Abgeordnete an das Volk zu senden und
um Versöhnung zu bitten. Diese gewährte das Volk gern
und freudig: unter den Consuln des Jahrs 261, welche
ihr Amt im Sommer angetreten hatten, ward zwischen
beyden Ständen, Patriciern und Plebejern, -- denn der
mehrdeutige Nahme Patres muß hier auf den Stand,

68) Dionysius Demagorieen sind nicht bestimmt zu täuschen;
wie sehr aber auch ihre Ausbildung griechisch ist, er scheint
ihren Inhalt sogar aus römischen Annalen genommen zu
haben. Für diese waren sie ersonnen, aber nicht ohne
Kenntniß der alten Zeit, und daher ist folgende Stelle in
seiner Rede des Appius gegen Nachgiebigkeit merkwürdig;
welche Plebs und Clienten so stark als möglich unterschei-
det. VI. c. 63. Pros tous exothen polemious autoi te khoro-
men apase prothumia, kai tous pelatas apantas epa-
gometha· kai toun demotiks to perion. -- aphesin kuto khari-
sometha ton khreon, me koinen, alla kat andra.

waren eine große Zahl 68); ſo daß ein eigentlicher Buͤr-
gerkrieg gar nicht undenkbar geweſen waͤre. Lange ſchien
man gegenſeitig mit unermuͤdlicher Hartnaͤckigkeit auf
dieſe aͤußerſte Entſcheidung gefaßt, welche Rom wahr-
ſcheinlich vernichtet haben wuͤrde. Keine Gewaltthaͤtig-
keit des Volks entzuͤndete den Ausbruch: dieſe Schaar,
empoͤrt gegen ihre Regierung, ohne Anfuͤhrer, ohne Le-
bensmittel, begnuͤgte ſich vom Lande ſo viel zu nehmen
als ſie gegen den Hunger bedurfte. Aber ihre Macht
wuchs taͤglich, ihre Stimmung ward gefaͤhrlicher: wahr-
ſcheinlich drohten auch Gefahren von den erwachenden
Nachbarvoͤlkern, und der ſtolze Senat, der vor wenigen
Monaten jede Empoͤrung hindern gekonnt haͤtte, mußte
ſich entſchließen Abgeordnete an das Volk zu ſenden und
um Verſoͤhnung zu bitten. Dieſe gewaͤhrte das Volk gern
und freudig: unter den Conſuln des Jahrs 261, welche
ihr Amt im Sommer angetreten hatten, ward zwiſchen
beyden Staͤnden, Patriciern und Plebejern, — denn der
mehrdeutige Nahme Patres muß hier auf den Stand,

68) Dionyſius Demagorieen ſind nicht beſtimmt zu taͤuſchen;
wie ſehr aber auch ihre Ausbildung griechiſch iſt, er ſcheint
ihren Inhalt ſogar aus roͤmiſchen Annalen genommen zu
haben. Fuͤr dieſe waren ſie erſonnen, aber nicht ohne
Kenntniß der alten Zeit, und daher iſt folgende Stelle in
ſeiner Rede des Appius gegen Nachgiebigkeit merkwuͤrdig;
welche Plebs und Clienten ſo ſtark als moͤglich unterſchei-
det. VI. c. 63. Πϱὸς τȣ̀ς ἔξωϑεν πολεμίȣς αὐτοί τε χωϱῶ-
μεν ἀπάσῃ πϱοϑυμίᾳ, καὶ τȣ̀ς πελάτας ἅπαντας ἐπα-
γώμεϑα· καὶ τȣ̃ δημοτικς τὸ πεϱιόν. — ἄφεσιν κὐτῷ χαϱι-
σώμεϑα τῶν χϱεῶν, μὴ κοινὴν, ἀλλὰ κατ̕ ἄνδϱα.
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[413/0435] waren eine große Zahl 68); ſo daß ein eigentlicher Buͤr- gerkrieg gar nicht undenkbar geweſen waͤre. Lange ſchien man gegenſeitig mit unermuͤdlicher Hartnaͤckigkeit auf dieſe aͤußerſte Entſcheidung gefaßt, welche Rom wahr- ſcheinlich vernichtet haben wuͤrde. Keine Gewaltthaͤtig- keit des Volks entzuͤndete den Ausbruch: dieſe Schaar, empoͤrt gegen ihre Regierung, ohne Anfuͤhrer, ohne Le- bensmittel, begnuͤgte ſich vom Lande ſo viel zu nehmen als ſie gegen den Hunger bedurfte. Aber ihre Macht wuchs taͤglich, ihre Stimmung ward gefaͤhrlicher: wahr- ſcheinlich drohten auch Gefahren von den erwachenden Nachbarvoͤlkern, und der ſtolze Senat, der vor wenigen Monaten jede Empoͤrung hindern gekonnt haͤtte, mußte ſich entſchließen Abgeordnete an das Volk zu ſenden und um Verſoͤhnung zu bitten. Dieſe gewaͤhrte das Volk gern und freudig: unter den Conſuln des Jahrs 261, welche ihr Amt im Sommer angetreten hatten, ward zwiſchen beyden Staͤnden, Patriciern und Plebejern, — denn der mehrdeutige Nahme Patres muß hier auf den Stand, 68) Dionyſius Demagorieen ſind nicht beſtimmt zu taͤuſchen; wie ſehr aber auch ihre Ausbildung griechiſch iſt, er ſcheint ihren Inhalt ſogar aus roͤmiſchen Annalen genommen zu haben. Fuͤr dieſe waren ſie erſonnen, aber nicht ohne Kenntniß der alten Zeit, und daher iſt folgende Stelle in ſeiner Rede des Appius gegen Nachgiebigkeit merkwuͤrdig; welche Plebs und Clienten ſo ſtark als moͤglich unterſchei- det. VI. c. 63. Πϱὸς τȣ̀ς ἔξωϑεν πολεμίȣς αὐτοί τε χωϱῶ- μεν ἀπάσῃ πϱοϑυμίᾳ, καὶ τȣ̀ς πελάτας ἅπαντας ἐπα- γώμεϑα· καὶ τȣ̃ δημοτικς τὸ πεϱιόν. — ἄφεσιν κὐτῷ χαϱι- σώμεϑα τῶν χϱεῶν, μὴ κοινὴν, ἀλλὰ κατ̕ ἄνδϱα.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/435>, abgerufen am 16.06.2024.