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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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Personen wechselnden Magistraturen, nebst einem großen
Antheil an der gesetzgebenden Macht fast alle Befugnisse
besaß die in einer beschränkten Monarchie zur Erhaltung
des Ganzen dem Fürsten gesichert sind. Denn ausgenom-
men den Moment der Gesetzgebung über den die Verfas-
sungen abweichen, muß jeder Staat aus einer höchsten
Gewalt und gehorchenden Unterthanen bestehen, er mag
nun in Hinsicht jener Monarchie oder Republik seyn.
Sind oder dünken die Bürger einer Republik sich außer
jenen Momenten unabhängig und nicht als Unterthanen
einer von der Natur und Nothwendigkeit nicht von ihrer
Willkühr eingesetzten Macht, so ist es nicht mehr ein
Staat. Darüber haben sich die Völker des Alterthums
nie geirrt, denn die Ausartung welche Leidenschaften und
Sittenverderbniß zu Athen und in andern griechischen De-
mokratieen hervorbrachten ging zur Tyranney noch mehr
als zur Anarchie: nur die revolutionnairen Politiker des
verflossenen Jahrhunderts konnten diesen Wahnsinn durch
Mißbrauch ewiger und in einem reinen Sinn ursprünglich
ausgesprochener Wahrheiten hervorbringen. Ganz stumpf-
sinnig für die Freyheit, deren Nahmen sie der Zerstörung
und Tyranney gaben, verachteten und vernichteten sie ihr
Wesen wie alle für sie empfängliche Völker aller Zeiten es
gekannt hatten, die schützende Macht welche dem Miß-
brauch der höchsten Gewalt entgegen stand, in tausend ver-
schiednen Gestalten gekleidet, wie sie sich aus ursprüngli-
chen Einrichtungen entwickelt oder an solche gebunden
hatte die ihr brauchbar waren; das was allein National-
repräsentation ist und seyn kann, und unendlicher Formen

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Perſonen wechſelnden Magiſtraturen, nebſt einem großen
Antheil an der geſetzgebenden Macht faſt alle Befugniſſe
beſaß die in einer beſchraͤnkten Monarchie zur Erhaltung
des Ganzen dem Fuͤrſten geſichert ſind. Denn ausgenom-
men den Moment der Geſetzgebung uͤber den die Verfaſ-
ſungen abweichen, muß jeder Staat aus einer hoͤchſten
Gewalt und gehorchenden Unterthanen beſtehen, er mag
nun in Hinſicht jener Monarchie oder Republik ſeyn.
Sind oder duͤnken die Buͤrger einer Republik ſich außer
jenen Momenten unabhaͤngig und nicht als Unterthanen
einer von der Natur und Nothwendigkeit nicht von ihrer
Willkuͤhr eingeſetzten Macht, ſo iſt es nicht mehr ein
Staat. Daruͤber haben ſich die Voͤlker des Alterthums
nie geirrt, denn die Ausartung welche Leidenſchaften und
Sittenverderbniß zu Athen und in andern griechiſchen De-
mokratieen hervorbrachten ging zur Tyranney noch mehr
als zur Anarchie: nur die revolutionnairen Politiker des
verfloſſenen Jahrhunderts konnten dieſen Wahnſinn durch
Mißbrauch ewiger und in einem reinen Sinn urſpruͤnglich
ausgeſprochener Wahrheiten hervorbringen. Ganz ſtumpf-
ſinnig fuͤr die Freyheit, deren Nahmen ſie der Zerſtoͤrung
und Tyranney gaben, verachteten und vernichteten ſie ihr
Weſen wie alle fuͤr ſie empfaͤngliche Voͤlker aller Zeiten es
gekannt hatten, die ſchuͤtzende Macht welche dem Miß-
brauch der hoͤchſten Gewalt entgegen ſtand, in tauſend ver-
ſchiednen Geſtalten gekleidet, wie ſie ſich aus urſpruͤngli-
chen Einrichtungen entwickelt oder an ſolche gebunden
hatte die ihr brauchbar waren; das was allein National-
repraͤſentation iſt und ſeyn kann, und unendlicher Formen

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[419/0441] Perſonen wechſelnden Magiſtraturen, nebſt einem großen Antheil an der geſetzgebenden Macht faſt alle Befugniſſe beſaß die in einer beſchraͤnkten Monarchie zur Erhaltung des Ganzen dem Fuͤrſten geſichert ſind. Denn ausgenom- men den Moment der Geſetzgebung uͤber den die Verfaſ- ſungen abweichen, muß jeder Staat aus einer hoͤchſten Gewalt und gehorchenden Unterthanen beſtehen, er mag nun in Hinſicht jener Monarchie oder Republik ſeyn. Sind oder duͤnken die Buͤrger einer Republik ſich außer jenen Momenten unabhaͤngig und nicht als Unterthanen einer von der Natur und Nothwendigkeit nicht von ihrer Willkuͤhr eingeſetzten Macht, ſo iſt es nicht mehr ein Staat. Daruͤber haben ſich die Voͤlker des Alterthums nie geirrt, denn die Ausartung welche Leidenſchaften und Sittenverderbniß zu Athen und in andern griechiſchen De- mokratieen hervorbrachten ging zur Tyranney noch mehr als zur Anarchie: nur die revolutionnairen Politiker des verfloſſenen Jahrhunderts konnten dieſen Wahnſinn durch Mißbrauch ewiger und in einem reinen Sinn urſpruͤnglich ausgeſprochener Wahrheiten hervorbringen. Ganz ſtumpf- ſinnig fuͤr die Freyheit, deren Nahmen ſie der Zerſtoͤrung und Tyranney gaben, verachteten und vernichteten ſie ihr Weſen wie alle fuͤr ſie empfaͤngliche Voͤlker aller Zeiten es gekannt hatten, die ſchuͤtzende Macht welche dem Miß- brauch der hoͤchſten Gewalt entgegen ſtand, in tauſend ver- ſchiednen Geſtalten gekleidet, wie ſie ſich aus urſpruͤngli- chen Einrichtungen entwickelt oder an ſolche gebunden hatte die ihr brauchbar waren; das was allein National- repraͤſentation iſt und ſeyn kann, und unendlicher Formen D d 2

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/441>, abgerufen am 24.11.2024.