Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

Frauen verdankt hatten, beschworen die trostlosen Rö-
merinnen diese Matronen ihren Geliebten um Frieden
anzuflehen, und eine Schaar verwandter und befreun-
deter Frauen begleitete sie in das volskische Lager.
Ihre Thränen und ihre Vorwürfe erweichten das harte
Herz des Landesfeinds. Sie kehrten mit Frieden in die
Stadt zurück, wo der Senat zum Andenken und zum
Dank einen Tempel der Fortuna der Frauen weihte.
Coriolanus brach an demselben Tage auf, führte das
Heer heim, und entließ es ohne Frieden. Erbittert daß
der, dessen Hand ihnen nie geträumte Triumphe gewon-
nen hatte, die Frucht des Siegs vernichtete, sollen ihn
die Volsker zum Tode verurtheilt haben. Es scheint
daß Livius dieses als herrschende Sage fand. In Ci-
ceros Tagen war auch eine andre bekannt: er habe sich
selbst das Leben genommen um seinen Krieg mit dem
Vaterlande zu endigen 97). Fabius, der älteste Römi-
sche Annalist 98) folgte einer ganz entgegengesetzten: er
habe bis zu einem hohen Alter in der Verbannung ge-
lebt, und als Greis oft seine Verlassenheit in der freund-
losen Fremde bejammert.

Dieser Gram des vergessenen Helden ist weit tragi-
scher als ein Tod in dessen Schmerzen er sich mit dem
Vaterlande ausgesöhnt gefühlt hätte. Aber es ist wohl

97) Cicero, im Brutus c. 10.
98) Bey Livius II. c. 40. Der alles verkümmert aus Dio Cassius
entlehnt hat, Zonaras erzählt Coriolanus Tod nicht an-
ders; und Dio hatte die ältere römische Geschichte mit Kri-
tik und Auswahl der Quellen bearbeitet.

Frauen verdankt hatten, beſchworen die troſtloſen Roͤ-
merinnen dieſe Matronen ihren Geliebten um Frieden
anzuflehen, und eine Schaar verwandter und befreun-
deter Frauen begleitete ſie in das volskiſche Lager.
Ihre Thraͤnen und ihre Vorwuͤrfe erweichten das harte
Herz des Landesfeinds. Sie kehrten mit Frieden in die
Stadt zuruͤck, wo der Senat zum Andenken und zum
Dank einen Tempel der Fortuna der Frauen weihte.
Coriolanus brach an demſelben Tage auf, fuͤhrte das
Heer heim, und entließ es ohne Frieden. Erbittert daß
der, deſſen Hand ihnen nie getraͤumte Triumphe gewon-
nen hatte, die Frucht des Siegs vernichtete, ſollen ihn
die Volsker zum Tode verurtheilt haben. Es ſcheint
daß Livius dieſes als herrſchende Sage fand. In Ci-
ceros Tagen war auch eine andre bekannt: er habe ſich
ſelbſt das Leben genommen um ſeinen Krieg mit dem
Vaterlande zu endigen 97). Fabius, der aͤlteſte Roͤmi-
ſche Annaliſt 98) folgte einer ganz entgegengeſetzten: er
habe bis zu einem hohen Alter in der Verbannung ge-
lebt, und als Greis oft ſeine Verlaſſenheit in der freund-
loſen Fremde bejammert.

Dieſer Gram des vergeſſenen Helden iſt weit tragi-
ſcher als ein Tod in deſſen Schmerzen er ſich mit dem
Vaterlande ausgeſoͤhnt gefuͤhlt haͤtte. Aber es iſt wohl

97) Cicero, im Brutus c. 10.
98) Bey Livius II. c. 40. Der alles verkuͤmmert aus Dio Caſſius
entlehnt hat, Zonaras erzaͤhlt Coriolanus Tod nicht an-
ders; und Dio hatte die aͤltere roͤmiſche Geſchichte mit Kri-
tik und Auswahl der Quellen bearbeitet.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0462" n="440"/>
Frauen verdankt hatten, be&#x017F;chworen die tro&#x017F;tlo&#x017F;en Ro&#x0364;-<lb/>
merinnen die&#x017F;e Matronen ihren Geliebten um Frieden<lb/>
anzuflehen, und eine Schaar verwandter und befreun-<lb/>
deter Frauen begleitete &#x017F;ie in das volski&#x017F;che Lager.<lb/>
Ihre Thra&#x0364;nen und ihre Vorwu&#x0364;rfe erweichten das harte<lb/>
Herz des Landesfeinds. Sie kehrten mit Frieden in die<lb/>
Stadt zuru&#x0364;ck, wo der Senat zum Andenken und zum<lb/>
Dank einen Tempel der Fortuna der Frauen weihte.<lb/>
Coriolanus brach an dem&#x017F;elben Tage auf, fu&#x0364;hrte das<lb/>
Heer heim, und entließ es ohne Frieden. Erbittert daß<lb/>
der, de&#x017F;&#x017F;en Hand ihnen nie getra&#x0364;umte Triumphe gewon-<lb/>
nen hatte, die Frucht des Siegs vernichtete, &#x017F;ollen ihn<lb/>
die Volsker zum Tode verurtheilt haben. Es &#x017F;cheint<lb/>
daß Livius die&#x017F;es als herr&#x017F;chende Sage fand. In Ci-<lb/>
ceros Tagen war auch eine andre bekannt: er habe &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t das Leben genommen um &#x017F;einen Krieg mit dem<lb/>
Vaterlande zu endigen <note place="foot" n="97)">Cicero, im Brutus <hi rendition="#aq">c.</hi> 10.</note>. Fabius, der a&#x0364;lte&#x017F;te Ro&#x0364;mi-<lb/>
&#x017F;che Annali&#x017F;t <note place="foot" n="98)">Bey Livius <hi rendition="#aq">II. c.</hi> 40. Der alles verku&#x0364;mmert aus Dio Ca&#x017F;&#x017F;ius<lb/>
entlehnt hat, Zonaras erza&#x0364;hlt Coriolanus Tod nicht an-<lb/>
ders; und Dio hatte die a&#x0364;ltere ro&#x0364;mi&#x017F;che Ge&#x017F;chichte mit Kri-<lb/>
tik und Auswahl der Quellen bearbeitet.</note> folgte einer ganz entgegenge&#x017F;etzten: er<lb/>
habe bis zu einem hohen Alter in der Verbannung ge-<lb/>
lebt, und als Greis oft &#x017F;eine Verla&#x017F;&#x017F;enheit in der freund-<lb/>
lo&#x017F;en Fremde bejammert.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;er Gram des verge&#x017F;&#x017F;enen Helden i&#x017F;t weit tragi-<lb/>
&#x017F;cher als ein Tod in de&#x017F;&#x017F;en Schmerzen er &#x017F;ich mit dem<lb/>
Vaterlande ausge&#x017F;o&#x0364;hnt gefu&#x0364;hlt ha&#x0364;tte. Aber es i&#x017F;t wohl<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[440/0462] Frauen verdankt hatten, beſchworen die troſtloſen Roͤ- merinnen dieſe Matronen ihren Geliebten um Frieden anzuflehen, und eine Schaar verwandter und befreun- deter Frauen begleitete ſie in das volskiſche Lager. Ihre Thraͤnen und ihre Vorwuͤrfe erweichten das harte Herz des Landesfeinds. Sie kehrten mit Frieden in die Stadt zuruͤck, wo der Senat zum Andenken und zum Dank einen Tempel der Fortuna der Frauen weihte. Coriolanus brach an demſelben Tage auf, fuͤhrte das Heer heim, und entließ es ohne Frieden. Erbittert daß der, deſſen Hand ihnen nie getraͤumte Triumphe gewon- nen hatte, die Frucht des Siegs vernichtete, ſollen ihn die Volsker zum Tode verurtheilt haben. Es ſcheint daß Livius dieſes als herrſchende Sage fand. In Ci- ceros Tagen war auch eine andre bekannt: er habe ſich ſelbſt das Leben genommen um ſeinen Krieg mit dem Vaterlande zu endigen 97). Fabius, der aͤlteſte Roͤmi- ſche Annaliſt 98) folgte einer ganz entgegengeſetzten: er habe bis zu einem hohen Alter in der Verbannung ge- lebt, und als Greis oft ſeine Verlaſſenheit in der freund- loſen Fremde bejammert. Dieſer Gram des vergeſſenen Helden iſt weit tragi- ſcher als ein Tod in deſſen Schmerzen er ſich mit dem Vaterlande ausgeſoͤhnt gefuͤhlt haͤtte. Aber es iſt wohl 97) Cicero, im Brutus c. 10. 98) Bey Livius II. c. 40. Der alles verkuͤmmert aus Dio Caſſius entlehnt hat, Zonaras erzaͤhlt Coriolanus Tod nicht an- ders; und Dio hatte die aͤltere roͤmiſche Geſchichte mit Kri- tik und Auswahl der Quellen bearbeitet.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/462
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/462>, abgerufen am 24.11.2024.