wäre der Versuch verlohrne Mühe, die Genealogie des Pherekydes mit der widersprechenden bey Apollodor zu vereinigen, worin Oenotrus fehlt 38). Nehmen wir sie aber als Völkertafeln, wie die Mosaische, so erhalten sie auch dasselbe Interesse wie diese, indem sie die alte Meinung über die Verwandtschaft der Völkerstämme dar- stellen: und so mögen sie wohl keineswegs von den verhältnißmäßig jungen Genealogen ersonnen, sondern, sofern diese nicht Gedichten von der Art der Theogonie folgten, aus geheiligten Sagen oder Verzeichnungen, wenn auch ohne Zweifel ohne Prüfung, entnommen seyn. Daß sie zum Theil auf sehr falschen Voraussetzungen be- ruhen ist an der mosaischen nicht zu verkennen, welche Völker die unläugbar zu ganz verschiedenen Familien ge- hören als verwandt betrachtet. Mit noch größerem Mißtrauen müssen wir die griechischen Genealogieen ge- brauchen. Doch ist es auffallend und merkwürdig, daß die Oenotrer und Peuketier, nebst den Thesprotern (bey Apollodor, der uns statt Pherekydes oder Akusilaus gelten muß), so wie die Mänalier und andre Arkadische Stäm- me vom Pelasgus abgeleitet werden. Die Meinung der Griechen von einem gemeinschaftlichen oder verwandten Ursprung dieser Völker verdient sicher nicht unbeachtet als ein leichtsinniges mythologisches Mährchen verwor- fen zu werden.
Wir müssen uns bey der Unmöglichkeit beruhigen, mit Zuverläßigkeit bestimmen zu können, welches Volk die Pelasger waren? wie von den Griechen unterschie-
38)Biblioth. III. c. 8. 1.
C 2
waͤre der Verſuch verlohrne Muͤhe, die Genealogie des Pherekydes mit der widerſprechenden bey Apollodor zu vereinigen, worin Oenotrus fehlt 38). Nehmen wir ſie aber als Voͤlkertafeln, wie die Moſaiſche, ſo erhalten ſie auch daſſelbe Intereſſe wie dieſe, indem ſie die alte Meinung uͤber die Verwandtſchaft der Voͤlkerſtaͤmme dar- ſtellen: und ſo moͤgen ſie wohl keineswegs von den verhaͤltnißmaͤßig jungen Genealogen erſonnen, ſondern, ſofern dieſe nicht Gedichten von der Art der Theogonie folgten, aus geheiligten Sagen oder Verzeichnungen, wenn auch ohne Zweifel ohne Pruͤfung, entnommen ſeyn. Daß ſie zum Theil auf ſehr falſchen Vorausſetzungen be- ruhen iſt an der moſaiſchen nicht zu verkennen, welche Voͤlker die unlaͤugbar zu ganz verſchiedenen Familien ge- hoͤren als verwandt betrachtet. Mit noch groͤßerem Mißtrauen muͤſſen wir die griechiſchen Genealogieen ge- brauchen. Doch iſt es auffallend und merkwuͤrdig, daß die Oenotrer und Peuketier, nebſt den Theſprotern (bey Apollodor, der uns ſtatt Pherekydes oder Akuſilaus gelten muß), ſo wie die Maͤnalier und andre Arkadiſche Staͤm- me vom Pelasgus abgeleitet werden. Die Meinung der Griechen von einem gemeinſchaftlichen oder verwandten Urſprung dieſer Voͤlker verdient ſicher nicht unbeachtet als ein leichtſinniges mythologiſches Maͤhrchen verwor- fen zu werden.
Wir muͤſſen uns bey der Unmoͤglichkeit beruhigen, mit Zuverlaͤßigkeit beſtimmen zu koͤnnen, welches Volk die Pelasger waren? wie von den Griechen unterſchie-
38)Biblioth. III. c. 8. 1.
C 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0057"n="35"/>
waͤre der Verſuch verlohrne Muͤhe, die Genealogie des<lb/>
Pherekydes mit der widerſprechenden bey Apollodor zu<lb/>
vereinigen, worin Oenotrus fehlt <noteplace="foot"n="38)"><hirendition="#aq">Biblioth. III. c.</hi> 8. 1.</note>. Nehmen wir ſie<lb/>
aber als Voͤlkertafeln, wie die Moſaiſche, ſo erhalten<lb/>ſie auch daſſelbe Intereſſe wie dieſe, indem ſie die alte<lb/>
Meinung uͤber die Verwandtſchaft der Voͤlkerſtaͤmme dar-<lb/>ſtellen: und ſo moͤgen ſie wohl keineswegs von den<lb/>
verhaͤltnißmaͤßig jungen Genealogen erſonnen, ſondern,<lb/>ſofern dieſe nicht Gedichten von der Art der Theogonie<lb/>
folgten, aus geheiligten Sagen oder Verzeichnungen,<lb/>
wenn auch ohne Zweifel ohne Pruͤfung, entnommen ſeyn.<lb/>
Daß ſie zum Theil auf ſehr falſchen Vorausſetzungen be-<lb/>
ruhen iſt an der moſaiſchen nicht zu verkennen, welche<lb/>
Voͤlker die unlaͤugbar zu ganz verſchiedenen Familien ge-<lb/>
hoͤren als verwandt betrachtet. Mit noch groͤßerem<lb/>
Mißtrauen muͤſſen wir die griechiſchen Genealogieen ge-<lb/>
brauchen. Doch iſt es auffallend und merkwuͤrdig, daß<lb/>
die Oenotrer und Peuketier, nebſt den Theſprotern (bey<lb/>
Apollodor, der uns ſtatt Pherekydes oder Akuſilaus gelten<lb/>
muß), ſo wie die Maͤnalier und andre Arkadiſche Staͤm-<lb/>
me vom Pelasgus abgeleitet werden. Die Meinung der<lb/>
Griechen von einem gemeinſchaftlichen oder verwandten<lb/>
Urſprung dieſer Voͤlker verdient ſicher nicht unbeachtet<lb/>
als ein leichtſinniges mythologiſches Maͤhrchen verwor-<lb/>
fen zu werden.</p><lb/><p>Wir muͤſſen uns bey der Unmoͤglichkeit beruhigen,<lb/>
mit Zuverlaͤßigkeit beſtimmen zu koͤnnen, welches Volk<lb/>
die Pelasger waren? wie von den Griechen unterſchie-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">C 2</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[35/0057]
waͤre der Verſuch verlohrne Muͤhe, die Genealogie des
Pherekydes mit der widerſprechenden bey Apollodor zu
vereinigen, worin Oenotrus fehlt 38). Nehmen wir ſie
aber als Voͤlkertafeln, wie die Moſaiſche, ſo erhalten
ſie auch daſſelbe Intereſſe wie dieſe, indem ſie die alte
Meinung uͤber die Verwandtſchaft der Voͤlkerſtaͤmme dar-
ſtellen: und ſo moͤgen ſie wohl keineswegs von den
verhaͤltnißmaͤßig jungen Genealogen erſonnen, ſondern,
ſofern dieſe nicht Gedichten von der Art der Theogonie
folgten, aus geheiligten Sagen oder Verzeichnungen,
wenn auch ohne Zweifel ohne Pruͤfung, entnommen ſeyn.
Daß ſie zum Theil auf ſehr falſchen Vorausſetzungen be-
ruhen iſt an der moſaiſchen nicht zu verkennen, welche
Voͤlker die unlaͤugbar zu ganz verſchiedenen Familien ge-
hoͤren als verwandt betrachtet. Mit noch groͤßerem
Mißtrauen muͤſſen wir die griechiſchen Genealogieen ge-
brauchen. Doch iſt es auffallend und merkwuͤrdig, daß
die Oenotrer und Peuketier, nebſt den Theſprotern (bey
Apollodor, der uns ſtatt Pherekydes oder Akuſilaus gelten
muß), ſo wie die Maͤnalier und andre Arkadiſche Staͤm-
me vom Pelasgus abgeleitet werden. Die Meinung der
Griechen von einem gemeinſchaftlichen oder verwandten
Urſprung dieſer Voͤlker verdient ſicher nicht unbeachtet
als ein leichtſinniges mythologiſches Maͤhrchen verwor-
fen zu werden.
Wir muͤſſen uns bey der Unmoͤglichkeit beruhigen,
mit Zuverlaͤßigkeit beſtimmen zu koͤnnen, welches Volk
die Pelasger waren? wie von den Griechen unterſchie-
38) Biblioth. III. c. 8. 1.
C 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/57>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.