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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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Brenner machte die Nordgränze der Rhätier, also des
etruskischen Stammes 42). Aber waren die Rhätier,
wie die gewöhnliche 43) Meinung es will, Etrusker der
Ebne, die sich bey dem Andrang der einwandernden
Gallier auf die Alpen gezogen hatten: ist diese Nation
aus dem Lande gekommen, welches ihren mächtigen Brü-
dern am längsten blieb, vom untern Meer aus Toscana,
wie Livius 44) als gewiß annimmt? Mir scheint das
Gegentheil mehr als wahrscheinlich, wenn man sich auch
nicht erlaubt den tuskischen Ursprung der Euganeer für
ausgemacht zu halten. Man muß annehmen daß die
Alpen ganz unbewohnt waren, um es nur denkbar zu
finden daß die vertriebenen Einwohner des nördlichen
Etruriens sie, nicht als mitleidig aufgenommene Flücht-
linge, hätten besetzen können; denn wenn sie den Gal-
liern weder im Felde noch hinter den Mauern widerste-
hen konnten, so werden sie, geschlagen und flüchtig,
noch weit weniger den Bergbewohnern ihr Land zu ent-
reißen vermocht haben. Aber das Daseyn so vieler eu-
ganeischer Stämme verbietet die schon an sich wider-
sinnige Hypothese völliger Oede in diesen Alpen. Auch
redet Polybius von den Einfällen der Alpenvölker in das

scher und wälscher Jargons mittheilt, zu deren Kenntniß
einige Regeln über die Analogie, und ein Verzeichniß der,
immer nur wenigen, eigenthümlich scheinenden Worte, hin-
gereicht hätten.
42) Auch dieses verkennt der eben erwähnte Geschichtschreiber.
43) Von Plinius (H. N. III. c. 24.) angegeben.
44) V. c. 33.

Brenner machte die Nordgraͤnze der Rhaͤtier, alſo des
etruskiſchen Stammes 42). Aber waren die Rhaͤtier,
wie die gewoͤhnliche 43) Meinung es will, Etrusker der
Ebne, die ſich bey dem Andrang der einwandernden
Gallier auf die Alpen gezogen hatten: iſt dieſe Nation
aus dem Lande gekommen, welches ihren maͤchtigen Bruͤ-
dern am laͤngſten blieb, vom untern Meer aus Toscana,
wie Livius 44) als gewiß annimmt? Mir ſcheint das
Gegentheil mehr als wahrſcheinlich, wenn man ſich auch
nicht erlaubt den tuskiſchen Urſprung der Euganeer fuͤr
ausgemacht zu halten. Man muß annehmen daß die
Alpen ganz unbewohnt waren, um es nur denkbar zu
finden daß die vertriebenen Einwohner des noͤrdlichen
Etruriens ſie, nicht als mitleidig aufgenommene Fluͤcht-
linge, haͤtten beſetzen koͤnnen; denn wenn ſie den Gal-
liern weder im Felde noch hinter den Mauern widerſte-
hen konnten, ſo werden ſie, geſchlagen und fluͤchtig,
noch weit weniger den Bergbewohnern ihr Land zu ent-
reißen vermocht haben. Aber das Daſeyn ſo vieler eu-
ganeiſcher Staͤmme verbietet die ſchon an ſich wider-
ſinnige Hypotheſe voͤlliger Oede in dieſen Alpen. Auch
redet Polybius von den Einfaͤllen der Alpenvoͤlker in das

ſcher und waͤlſcher Jargons mittheilt, zu deren Kenntniß
einige Regeln uͤber die Analogie, und ein Verzeichniß der,
immer nur wenigen, eigenthuͤmlich ſcheinenden Worte, hin-
gereicht haͤtten.
42) Auch dieſes verkennt der eben erwaͤhnte Geſchichtſchreiber.
43) Von Plinius (H. N. III. c. 24.) angegeben.
44) V. c. 33.
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[71/0093] Brenner machte die Nordgraͤnze der Rhaͤtier, alſo des etruskiſchen Stammes 42). Aber waren die Rhaͤtier, wie die gewoͤhnliche 43) Meinung es will, Etrusker der Ebne, die ſich bey dem Andrang der einwandernden Gallier auf die Alpen gezogen hatten: iſt dieſe Nation aus dem Lande gekommen, welches ihren maͤchtigen Bruͤ- dern am laͤngſten blieb, vom untern Meer aus Toscana, wie Livius 44) als gewiß annimmt? Mir ſcheint das Gegentheil mehr als wahrſcheinlich, wenn man ſich auch nicht erlaubt den tuskiſchen Urſprung der Euganeer fuͤr ausgemacht zu halten. Man muß annehmen daß die Alpen ganz unbewohnt waren, um es nur denkbar zu finden daß die vertriebenen Einwohner des noͤrdlichen Etruriens ſie, nicht als mitleidig aufgenommene Fluͤcht- linge, haͤtten beſetzen koͤnnen; denn wenn ſie den Gal- liern weder im Felde noch hinter den Mauern widerſte- hen konnten, ſo werden ſie, geſchlagen und fluͤchtig, noch weit weniger den Bergbewohnern ihr Land zu ent- reißen vermocht haben. Aber das Daſeyn ſo vieler eu- ganeiſcher Staͤmme verbietet die ſchon an ſich wider- ſinnige Hypotheſe voͤlliger Oede in dieſen Alpen. Auch redet Polybius von den Einfaͤllen der Alpenvoͤlker in das 41) 42) Auch dieſes verkennt der eben erwaͤhnte Geſchichtſchreiber. 43) Von Plinius (H. N. III. c. 24.) angegeben. 44) V. c. 33. 41) ſcher und waͤlſcher Jargons mittheilt, zu deren Kenntniß einige Regeln uͤber die Analogie, und ein Verzeichniß der, immer nur wenigen, eigenthuͤmlich ſcheinenden Worte, hin- gereicht haͤtten.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/93>, abgerufen am 21.11.2024.