Privilegien, oder Gesetze gegen einen einzelnen Bürger, wurden untersagt 26). Sie müssen also frü- her, wie die englischen Aechtungsgesetze, üblich gewesen seyn: sie konnten, nach der damaligen Verfassung, un- möglich von den Tribunen vorgeschlagen werden, und Cicero hat sicher nicht unüberlegt geschrieben, aufrühre- rische Tribunen wären damals noch ganz unbekannt gewe- sen, man hätte sie nicht einmal möglich geglaubt. Also von einer ganz anderen Seite mußten diese gefährlichen Gesetze ausgehen, und wir scheinen befugt sie in den Curien aufzusuchen, da hier die Gesetzgebung über den einzelnen blieb; freylich in der schuldlosesten Art, bey den Testamenten, der Arrogation, und der Zurückberu- fung eines Bürgers aus der Verbannung 27). Wie hier das Bürgerrecht wiedergegeben ward, so mochte es in älteren Zeiten auf gleiche Weise genommen seyn, wenn man zugiebt daß eine dem Ostracismus ähnliche Einrichtung, welche nichts weniger als gerichtliche Schuld und Verdammung voraussetzt, wie sie Athen keineswegs eigenthümlich war, auch zu Rom geherrscht haben kann. Oder entsagten beyde Stände dem in der alten Tren- nung gegründeten Richteramt in Fehden mit Bürgern des entgegengesetzten?
Die Abschaffung des Volkstribunats durch die zwölf Tafeln scheint keinem Zweifel unterworfen zu seyn. Nur auf eine förmliche Abschaffung, nicht auf eine nur vor- übergehende Suspension dieses Volksministeriums, nach
26) Cicero de legibus a. a. O.
27) Camillus. Livius V. c. 46.
H 2
Privilegien, oder Geſetze gegen einen einzelnen Buͤrger, wurden unterſagt 26). Sie muͤſſen alſo fruͤ- her, wie die engliſchen Aechtungsgeſetze, uͤblich geweſen ſeyn: ſie konnten, nach der damaligen Verfaſſung, un- moͤglich von den Tribunen vorgeſchlagen werden, und Cicero hat ſicher nicht unuͤberlegt geſchrieben, aufruͤhre- riſche Tribunen waͤren damals noch ganz unbekannt gewe- ſen, man haͤtte ſie nicht einmal moͤglich geglaubt. Alſo von einer ganz anderen Seite mußten dieſe gefaͤhrlichen Geſetze ausgehen, und wir ſcheinen befugt ſie in den Curien aufzuſuchen, da hier die Geſetzgebung uͤber den einzelnen blieb; freylich in der ſchuldloſeſten Art, bey den Teſtamenten, der Arrogation, und der Zuruͤckberu- fung eines Buͤrgers aus der Verbannung 27). Wie hier das Buͤrgerrecht wiedergegeben ward, ſo mochte es in aͤlteren Zeiten auf gleiche Weiſe genommen ſeyn, wenn man zugiebt daß eine dem Oſtracismus aͤhnliche Einrichtung, welche nichts weniger als gerichtliche Schuld und Verdammung vorausſetzt, wie ſie Athen keineswegs eigenthuͤmlich war, auch zu Rom geherrſcht haben kann. Oder entſagten beyde Staͤnde dem in der alten Tren- nung gegruͤndeten Richteramt in Fehden mit Buͤrgern des entgegengeſetzten?
Die Abſchaffung des Volkstribunats durch die zwoͤlf Tafeln ſcheint keinem Zweifel unterworfen zu ſeyn. Nur auf eine foͤrmliche Abſchaffung, nicht auf eine nur vor- uͤbergehende Suſpenſion dieſes Volksminiſteriums, nach
26) Cicero de legibus a. a. O.
27) Camillus. Livius V. c. 46.
H 2
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0131"n="115"/><p>Privilegien, oder Geſetze gegen einen einzelnen<lb/>
Buͤrger, wurden unterſagt <noteplace="foot"n="26)">Cicero <hirendition="#aq">de legibus</hi> a. a. O.</note>. Sie muͤſſen alſo fruͤ-<lb/>
her, wie die engliſchen Aechtungsgeſetze, uͤblich geweſen<lb/>ſeyn: ſie konnten, nach der damaligen Verfaſſung, un-<lb/>
moͤglich von den Tribunen vorgeſchlagen werden, und<lb/>
Cicero hat ſicher nicht unuͤberlegt geſchrieben, aufruͤhre-<lb/>
riſche Tribunen waͤren damals noch ganz unbekannt gewe-<lb/>ſen, man haͤtte ſie nicht einmal moͤglich geglaubt. Alſo<lb/>
von einer ganz anderen Seite mußten dieſe gefaͤhrlichen<lb/>
Geſetze ausgehen, und wir ſcheinen befugt ſie in den<lb/>
Curien aufzuſuchen, da hier die Geſetzgebung uͤber den<lb/>
einzelnen blieb; freylich in der ſchuldloſeſten Art, bey<lb/>
den Teſtamenten, der Arrogation, und der Zuruͤckberu-<lb/>
fung eines Buͤrgers aus der Verbannung <noteplace="foot"n="27)">Camillus. Livius <hirendition="#aq">V. c.</hi> 46.</note>. Wie<lb/>
hier das Buͤrgerrecht wiedergegeben ward, ſo mochte es<lb/>
in aͤlteren Zeiten auf gleiche Weiſe genommen ſeyn,<lb/>
wenn man zugiebt daß eine dem Oſtracismus aͤhnliche<lb/>
Einrichtung, welche nichts weniger als gerichtliche Schuld<lb/>
und Verdammung vorausſetzt, wie ſie Athen keineswegs<lb/>
eigenthuͤmlich war, auch zu Rom geherrſcht haben kann.<lb/>
Oder entſagten beyde Staͤnde dem in der alten Tren-<lb/>
nung gegruͤndeten Richteramt in Fehden mit Buͤrgern<lb/>
des entgegengeſetzten?</p><lb/><p>Die Abſchaffung des Volkstribunats durch die zwoͤlf<lb/>
Tafeln ſcheint keinem Zweifel unterworfen zu ſeyn. Nur<lb/>
auf eine foͤrmliche Abſchaffung, nicht auf eine nur vor-<lb/>
uͤbergehende Suſpenſion dieſes Volksminiſteriums, nach<lb/><fwplace="bottom"type="sig">H 2</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[115/0131]
Privilegien, oder Geſetze gegen einen einzelnen
Buͤrger, wurden unterſagt 26). Sie muͤſſen alſo fruͤ-
her, wie die engliſchen Aechtungsgeſetze, uͤblich geweſen
ſeyn: ſie konnten, nach der damaligen Verfaſſung, un-
moͤglich von den Tribunen vorgeſchlagen werden, und
Cicero hat ſicher nicht unuͤberlegt geſchrieben, aufruͤhre-
riſche Tribunen waͤren damals noch ganz unbekannt gewe-
ſen, man haͤtte ſie nicht einmal moͤglich geglaubt. Alſo
von einer ganz anderen Seite mußten dieſe gefaͤhrlichen
Geſetze ausgehen, und wir ſcheinen befugt ſie in den
Curien aufzuſuchen, da hier die Geſetzgebung uͤber den
einzelnen blieb; freylich in der ſchuldloſeſten Art, bey
den Teſtamenten, der Arrogation, und der Zuruͤckberu-
fung eines Buͤrgers aus der Verbannung 27). Wie
hier das Buͤrgerrecht wiedergegeben ward, ſo mochte es
in aͤlteren Zeiten auf gleiche Weiſe genommen ſeyn,
wenn man zugiebt daß eine dem Oſtracismus aͤhnliche
Einrichtung, welche nichts weniger als gerichtliche Schuld
und Verdammung vorausſetzt, wie ſie Athen keineswegs
eigenthuͤmlich war, auch zu Rom geherrſcht haben kann.
Oder entſagten beyde Staͤnde dem in der alten Tren-
nung gegruͤndeten Richteramt in Fehden mit Buͤrgern
des entgegengeſetzten?
Die Abſchaffung des Volkstribunats durch die zwoͤlf
Tafeln ſcheint keinem Zweifel unterworfen zu ſeyn. Nur
auf eine foͤrmliche Abſchaffung, nicht auf eine nur vor-
uͤbergehende Suſpenſion dieſes Volksminiſteriums, nach
26) Cicero de legibus a. a. O.
27) Camillus. Livius V. c. 46.
H 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/131>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.