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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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schuldige Gleichgültigkeit des Senats nicht. Aber die
benachbarten Völker, entweder bis dahin ruhig, oder
in ihren Fehden mit den Bundesgenossen von den nur
auf innre Herrschaft sinnenden Decemvirn unbeachtet,
schreckten ihn aus dem Schlummer den er willig genoß.
Die Sabiner hatten die Landschaft über dem Anio ver-
wüstet: die Aequer waren auf dem Algidus gelagert,
und das treue Tusculum flehte um Beystand. Es schien
selbst den Decemvirn zu kühn Truppen auszuheben ohne
einen Schein von Ermächtigung durch die Republik.
Sie beriefen den Senat: sehr wenige erschienen: es hatte
das Ansehen als weigerten sich die erkohrnen Väter
einer Zusammenberufung zu gehorchen welche von de-
nen an sie erging, die der Senat, als Unerwählte, nur
für Privatpersonen und unbefugt ihn zu versammeln er-
kennen konnte. Livius sagt, dies sey nicht der Fall ge-
wesen, sondern, entwöhnt sich zu versammeln, hätten
sich die Senatoren auf ihre Landgüter zerstreut gehabt;
am folgenden Tage wären sie gehorsam erschienen. Es ist
äußerst unwahrscheinlich daß diese auf dem Lande ge-
blieben seyn sollten, wenn die Feinde über die Gränzen
gegangen waren, und kein Heer ihnen entgegenstand:
entweder also kamen sie, weil eine erste Bewegung des
Unmuths, und des Andenkens an die Freyheit der vor-
sichtigen Ueberlegung wich; oder auch diesesmal wäre
der Feind nicht gefährlich gewesen, und die Decemvirn
suchten nur unter einem Vorwand ein Heer aufzustel-
len. So erlosch bald die leichtsinnige Hoffnung des
Volks, welches ohne Haupt, ohne ein Mittel der Ver-

ſchuldige Gleichguͤltigkeit des Senats nicht. Aber die
benachbarten Voͤlker, entweder bis dahin ruhig, oder
in ihren Fehden mit den Bundesgenoſſen von den nur
auf innre Herrſchaft ſinnenden Decemvirn unbeachtet,
ſchreckten ihn aus dem Schlummer den er willig genoß.
Die Sabiner hatten die Landſchaft uͤber dem Anio ver-
wuͤſtet: die Aequer waren auf dem Algidus gelagert,
und das treue Tusculum flehte um Beyſtand. Es ſchien
ſelbſt den Decemvirn zu kuͤhn Truppen auszuheben ohne
einen Schein von Ermaͤchtigung durch die Republik.
Sie beriefen den Senat: ſehr wenige erſchienen: es hatte
das Anſehen als weigerten ſich die erkohrnen Vaͤter
einer Zuſammenberufung zu gehorchen welche von de-
nen an ſie erging, die der Senat, als Unerwaͤhlte, nur
fuͤr Privatperſonen und unbefugt ihn zu verſammeln er-
kennen konnte. Livius ſagt, dies ſey nicht der Fall ge-
weſen, ſondern, entwoͤhnt ſich zu verſammeln, haͤtten
ſich die Senatoren auf ihre Landguͤter zerſtreut gehabt;
am folgenden Tage waͤren ſie gehorſam erſchienen. Es iſt
aͤußerſt unwahrſcheinlich daß dieſe auf dem Lande ge-
blieben ſeyn ſollten, wenn die Feinde uͤber die Graͤnzen
gegangen waren, und kein Heer ihnen entgegenſtand:
entweder alſo kamen ſie, weil eine erſte Bewegung des
Unmuths, und des Andenkens an die Freyheit der vor-
ſichtigen Ueberlegung wich; oder auch dieſesmal waͤre
der Feind nicht gefaͤhrlich geweſen, und die Decemvirn
ſuchten nur unter einem Vorwand ein Heer aufzuſtel-
len. So erloſch bald die leichtſinnige Hoffnung des
Volks, welches ohne Haupt, ohne ein Mittel der Ver-

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[125/0141] ſchuldige Gleichguͤltigkeit des Senats nicht. Aber die benachbarten Voͤlker, entweder bis dahin ruhig, oder in ihren Fehden mit den Bundesgenoſſen von den nur auf innre Herrſchaft ſinnenden Decemvirn unbeachtet, ſchreckten ihn aus dem Schlummer den er willig genoß. Die Sabiner hatten die Landſchaft uͤber dem Anio ver- wuͤſtet: die Aequer waren auf dem Algidus gelagert, und das treue Tusculum flehte um Beyſtand. Es ſchien ſelbſt den Decemvirn zu kuͤhn Truppen auszuheben ohne einen Schein von Ermaͤchtigung durch die Republik. Sie beriefen den Senat: ſehr wenige erſchienen: es hatte das Anſehen als weigerten ſich die erkohrnen Vaͤter einer Zuſammenberufung zu gehorchen welche von de- nen an ſie erging, die der Senat, als Unerwaͤhlte, nur fuͤr Privatperſonen und unbefugt ihn zu verſammeln er- kennen konnte. Livius ſagt, dies ſey nicht der Fall ge- weſen, ſondern, entwoͤhnt ſich zu verſammeln, haͤtten ſich die Senatoren auf ihre Landguͤter zerſtreut gehabt; am folgenden Tage waͤren ſie gehorſam erſchienen. Es iſt aͤußerſt unwahrſcheinlich daß dieſe auf dem Lande ge- blieben ſeyn ſollten, wenn die Feinde uͤber die Graͤnzen gegangen waren, und kein Heer ihnen entgegenſtand: entweder alſo kamen ſie, weil eine erſte Bewegung des Unmuths, und des Andenkens an die Freyheit der vor- ſichtigen Ueberlegung wich; oder auch dieſesmal waͤre der Feind nicht gefaͤhrlich geweſen, und die Decemvirn ſuchten nur unter einem Vorwand ein Heer aufzuſtel- len. So erloſch bald die leichtſinnige Hoffnung des Volks, welches ohne Haupt, ohne ein Mittel der Ver-

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/141>, abgerufen am 21.11.2024.