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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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Vaterland sich zu gründen oder anzunehmen, und die un-
natürliche Feindseligkeit der Mutterstadt vertilgend zu
vergelten: erst dann werde man sie hören. Alle Be-
waffneten brachen auf: ihnen folgte das ganze übrige
Volk mit Weibern und Kindern: sie lagerten sich auf
dem heiligen Berge, auch diesesmal ohne das Eigen-
thum ihrer Feinde zu verletzen.

Im Senat sank nun der Trotz. Valerius und Ho-
ratius gingen in das Lager, abgeordnet um die Forde-
rungen des Volks zu vernehmen und bevollmächtigt sie
zu bewilligen. Sie wurden mit begeisterter Herzlichkeit
empfangen: man dankte ihnen für ihre Treue und daß
sie ihr unverbrüchliches Wort dem Volk brächten. Im
Nahmen der Gemeinde führte Icilius die Rede. Man
begehrte nur Herstellung der tribunicischen Macht und
der Provocation; und daß es keinem zum Verbrechen
gerechnet werde, Volk oder Armee zum Aufstand bewo-
gen zu haben. Auch bitte das Volk, die Decemvirn
möchten ihm ausgeliefert werden, um sie lebendig zu
verbrennen. Die Gesandten erwiederten auf jene For-
derungen; sie wären so bescheiden daß es vielmehr Pflicht
gewesen wäre sie anzubieten. Unbillig sey auch das Ver-
langen nicht die Verbrechen der Decemvirn an ihren
schuldigen Häuptern zu ahnden. Aber die Republik be-
dürfe Verzeihung und Aussöhnung, und eine solche un-
vergeßliche Rache würde nicht gut thun. Es werde die
Unterdrücker genug demüthigen wenn sie unter gleichen
Rechten mit ihnen leben müßten: und Stillschweigen in
diesem Augenblick vergebe dem Volk das Recht nicht,

Vaterland ſich zu gruͤnden oder anzunehmen, und die un-
natuͤrliche Feindſeligkeit der Mutterſtadt vertilgend zu
vergelten: erſt dann werde man ſie hoͤren. Alle Be-
waffneten brachen auf: ihnen folgte das ganze uͤbrige
Volk mit Weibern und Kindern: ſie lagerten ſich auf
dem heiligen Berge, auch dieſesmal ohne das Eigen-
thum ihrer Feinde zu verletzen.

Im Senat ſank nun der Trotz. Valerius und Ho-
ratius gingen in das Lager, abgeordnet um die Forde-
rungen des Volks zu vernehmen und bevollmaͤchtigt ſie
zu bewilligen. Sie wurden mit begeiſterter Herzlichkeit
empfangen: man dankte ihnen fuͤr ihre Treue und daß
ſie ihr unverbruͤchliches Wort dem Volk braͤchten. Im
Nahmen der Gemeinde fuͤhrte Icilius die Rede. Man
begehrte nur Herſtellung der tribuniciſchen Macht und
der Provocation; und daß es keinem zum Verbrechen
gerechnet werde, Volk oder Armee zum Aufſtand bewo-
gen zu haben. Auch bitte das Volk, die Decemvirn
moͤchten ihm ausgeliefert werden, um ſie lebendig zu
verbrennen. Die Geſandten erwiederten auf jene For-
derungen; ſie waͤren ſo beſcheiden daß es vielmehr Pflicht
geweſen waͤre ſie anzubieten. Unbillig ſey auch das Ver-
langen nicht die Verbrechen der Decemvirn an ihren
ſchuldigen Haͤuptern zu ahnden. Aber die Republik be-
duͤrfe Verzeihung und Ausſoͤhnung, und eine ſolche un-
vergeßliche Rache wuͤrde nicht gut thun. Es werde die
Unterdruͤcker genug demuͤthigen wenn ſie unter gleichen
Rechten mit ihnen leben muͤßten: und Stillſchweigen in
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[141/0157] Vaterland ſich zu gruͤnden oder anzunehmen, und die un- natuͤrliche Feindſeligkeit der Mutterſtadt vertilgend zu vergelten: erſt dann werde man ſie hoͤren. Alle Be- waffneten brachen auf: ihnen folgte das ganze uͤbrige Volk mit Weibern und Kindern: ſie lagerten ſich auf dem heiligen Berge, auch dieſesmal ohne das Eigen- thum ihrer Feinde zu verletzen. Im Senat ſank nun der Trotz. Valerius und Ho- ratius gingen in das Lager, abgeordnet um die Forde- rungen des Volks zu vernehmen und bevollmaͤchtigt ſie zu bewilligen. Sie wurden mit begeiſterter Herzlichkeit empfangen: man dankte ihnen fuͤr ihre Treue und daß ſie ihr unverbruͤchliches Wort dem Volk braͤchten. Im Nahmen der Gemeinde fuͤhrte Icilius die Rede. Man begehrte nur Herſtellung der tribuniciſchen Macht und der Provocation; und daß es keinem zum Verbrechen gerechnet werde, Volk oder Armee zum Aufſtand bewo- gen zu haben. Auch bitte das Volk, die Decemvirn moͤchten ihm ausgeliefert werden, um ſie lebendig zu verbrennen. Die Geſandten erwiederten auf jene For- derungen; ſie waͤren ſo beſcheiden daß es vielmehr Pflicht geweſen waͤre ſie anzubieten. Unbillig ſey auch das Ver- langen nicht die Verbrechen der Decemvirn an ihren ſchuldigen Haͤuptern zu ahnden. Aber die Republik be- duͤrfe Verzeihung und Ausſoͤhnung, und eine ſolche un- vergeßliche Rache wuͤrde nicht gut thun. Es werde die Unterdruͤcker genug demuͤthigen wenn ſie unter gleichen Rechten mit ihnen leben muͤßten: und Stillſchweigen in dieſem Augenblick vergebe dem Volk das Recht nicht,

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/157>, abgerufen am 25.11.2024.