Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Gericht gestellt zu werden, und verbannte sich selbst an-
statt zu erscheinen, obgleich seine Tribulen und Clienten
sich bereit erklärten die Mult welche von den Volkstri-
bunen gegen ihn angetragen war für ihn zu zahlen.
Wir sind weit entfernt diesen Stolz zu tadeln, da Ca-
millus den Muth hatte seine Folgen zu ertragen: aber
sein Charakter als Bürger war und blieb strafwürdig,
und mit der allgemeinen Freyheit unverträglich. Auf-
fallend ist es daß er angeklagt ward einen Theil der ve-
jentischen Beute sich zugeeignet zu haben, und daß, nicht
als ein loses Gerücht, hinzugefügt wird: man habe in
seinem Hause eherne Thüren aus dieser Beute bemerkt 98).
Eine Anklage die gegen Cincinnatus nie erhoben wor-
den wäre: und es erregt ein, bey dem Andenken an einen
großen Mann, wie groß auch seine politischen Sünden
waren, sehr unangenehmes Gefühl, daß die welche sich
bereit erklärten für ihn, nach der Pflicht ihres ange-
stammten Verhältnisses, die Strafe zu zahlen, ihm zu-
gleich bekannten: freysprechen könnten sie ihn nicht 99).
Nach Diodor 300) haben einige Annalen die Multation
des Camillus bey einem ganz andern Zeitpunkt, einige
gar nicht erwähnt. Angenommen daß sie historisch zu-
verlässig sey, so war das Gebet eines freywillig Aus-
wandernden, aus Stolz sich selbst verbannenden, gräß-
lich, daß die Götter ihn bald der Nation nothwendig

98) Plutarch Camill. p. 134. E.
99) Livius V. c. 32. Se collaturos quanti damnatus esset,
absolvere eum non posse.
300) Diodor XIV. c. ult.

Gericht geſtellt zu werden, und verbannte ſich ſelbſt an-
ſtatt zu erſcheinen, obgleich ſeine Tribulen und Clienten
ſich bereit erklaͤrten die Mult welche von den Volkstri-
bunen gegen ihn angetragen war fuͤr ihn zu zahlen.
Wir ſind weit entfernt dieſen Stolz zu tadeln, da Ca-
millus den Muth hatte ſeine Folgen zu ertragen: aber
ſein Charakter als Buͤrger war und blieb ſtrafwuͤrdig,
und mit der allgemeinen Freyheit unvertraͤglich. Auf-
fallend iſt es daß er angeklagt ward einen Theil der ve-
jentiſchen Beute ſich zugeeignet zu haben, und daß, nicht
als ein loſes Geruͤcht, hinzugefuͤgt wird: man habe in
ſeinem Hauſe eherne Thuͤren aus dieſer Beute bemerkt 98).
Eine Anklage die gegen Cincinnatus nie erhoben wor-
den waͤre: und es erregt ein, bey dem Andenken an einen
großen Mann, wie groß auch ſeine politiſchen Suͤnden
waren, ſehr unangenehmes Gefuͤhl, daß die welche ſich
bereit erklaͤrten fuͤr ihn, nach der Pflicht ihres ange-
ſtammten Verhaͤltniſſes, die Strafe zu zahlen, ihm zu-
gleich bekannten: freyſprechen koͤnnten ſie ihn nicht 99).
Nach Diodor 300) haben einige Annalen die Multation
des Camillus bey einem ganz andern Zeitpunkt, einige
gar nicht erwaͤhnt. Angenommen daß ſie hiſtoriſch zu-
verlaͤſſig ſey, ſo war das Gebet eines freywillig Aus-
wandernden, aus Stolz ſich ſelbſt verbannenden, graͤß-
lich, daß die Goͤtter ihn bald der Nation nothwendig

98) Plutarch Camill. p. 134. E.
99) Livius V. c. 32. Se collaturos quanti damnatus esset,
absolvere eum non posse.
300) Diodor XIV. c. ult.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0266" n="250"/>
Gericht ge&#x017F;tellt zu werden, und verbannte &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t an-<lb/>
&#x017F;tatt zu er&#x017F;cheinen, obgleich &#x017F;eine Tribulen und Clienten<lb/>
&#x017F;ich bereit erkla&#x0364;rten die Mult welche von den Volkstri-<lb/>
bunen gegen ihn angetragen war fu&#x0364;r ihn zu zahlen.<lb/>
Wir &#x017F;ind weit entfernt die&#x017F;en Stolz zu tadeln, da Ca-<lb/>
millus den Muth hatte &#x017F;eine Folgen zu ertragen: aber<lb/>
&#x017F;ein Charakter als Bu&#x0364;rger war und blieb &#x017F;trafwu&#x0364;rdig,<lb/>
und mit der allgemeinen Freyheit unvertra&#x0364;glich. Auf-<lb/>
fallend i&#x017F;t es daß er angeklagt ward einen Theil der ve-<lb/>
jenti&#x017F;chen Beute &#x017F;ich zugeeignet zu haben, und daß, nicht<lb/>
als ein lo&#x017F;es Geru&#x0364;cht, hinzugefu&#x0364;gt wird: man habe in<lb/>
&#x017F;einem Hau&#x017F;e eherne Thu&#x0364;ren aus die&#x017F;er Beute bemerkt <note place="foot" n="98)">Plutarch <hi rendition="#aq">Camill. p. 134. E.</hi></note>.<lb/>
Eine Anklage die gegen Cincinnatus nie erhoben wor-<lb/>
den wa&#x0364;re: und es erregt ein, bey dem Andenken an einen<lb/>
großen Mann, wie groß auch &#x017F;eine politi&#x017F;chen Su&#x0364;nden<lb/>
waren, &#x017F;ehr unangenehmes Gefu&#x0364;hl, daß die welche &#x017F;ich<lb/>
bereit erkla&#x0364;rten fu&#x0364;r ihn, nach der Pflicht ihres ange-<lb/>
&#x017F;tammten Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;es, die Strafe zu zahlen, ihm zu-<lb/>
gleich bekannten: frey&#x017F;prechen ko&#x0364;nnten &#x017F;ie ihn nicht <note place="foot" n="99)">Livius <hi rendition="#aq">V. c. 32. Se collaturos quanti damnatus esset,<lb/>
absolvere eum non posse.</hi></note>.<lb/>
Nach Diodor <note place="foot" n="300)">Diodor <hi rendition="#aq">XIV. c. ult.</hi></note> haben einige Annalen die Multation<lb/>
des Camillus bey einem ganz andern Zeitpunkt, einige<lb/>
gar nicht erwa&#x0364;hnt. Angenommen daß &#x017F;ie hi&#x017F;tori&#x017F;ch zu-<lb/>
verla&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig &#x017F;ey, &#x017F;o war das Gebet eines freywillig Aus-<lb/>
wandernden, aus Stolz &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t verbannenden, gra&#x0364;ß-<lb/>
lich, daß die Go&#x0364;tter ihn bald der Nation nothwendig<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[250/0266] Gericht geſtellt zu werden, und verbannte ſich ſelbſt an- ſtatt zu erſcheinen, obgleich ſeine Tribulen und Clienten ſich bereit erklaͤrten die Mult welche von den Volkstri- bunen gegen ihn angetragen war fuͤr ihn zu zahlen. Wir ſind weit entfernt dieſen Stolz zu tadeln, da Ca- millus den Muth hatte ſeine Folgen zu ertragen: aber ſein Charakter als Buͤrger war und blieb ſtrafwuͤrdig, und mit der allgemeinen Freyheit unvertraͤglich. Auf- fallend iſt es daß er angeklagt ward einen Theil der ve- jentiſchen Beute ſich zugeeignet zu haben, und daß, nicht als ein loſes Geruͤcht, hinzugefuͤgt wird: man habe in ſeinem Hauſe eherne Thuͤren aus dieſer Beute bemerkt 98). Eine Anklage die gegen Cincinnatus nie erhoben wor- den waͤre: und es erregt ein, bey dem Andenken an einen großen Mann, wie groß auch ſeine politiſchen Suͤnden waren, ſehr unangenehmes Gefuͤhl, daß die welche ſich bereit erklaͤrten fuͤr ihn, nach der Pflicht ihres ange- ſtammten Verhaͤltniſſes, die Strafe zu zahlen, ihm zu- gleich bekannten: freyſprechen koͤnnten ſie ihn nicht 99). Nach Diodor 300) haben einige Annalen die Multation des Camillus bey einem ganz andern Zeitpunkt, einige gar nicht erwaͤhnt. Angenommen daß ſie hiſtoriſch zu- verlaͤſſig ſey, ſo war das Gebet eines freywillig Aus- wandernden, aus Stolz ſich ſelbſt verbannenden, graͤß- lich, daß die Goͤtter ihn bald der Nation nothwendig 98) Plutarch Camill. p. 134. E. 99) Livius V. c. 32. Se collaturos quanti damnatus esset, absolvere eum non posse. 300) Diodor XIV. c. ult.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/266
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/266>, abgerufen am 24.11.2024.