die einzigen Mittel nicht zu langwierig, welche, ohne Ge- walt und todte Ummodelung, sondern frey und lebendig zum Ziele führten. Eine Revolution die in griechischen Republiken oder in Florenz gewaltsam in wenigen Mona- ten unternommen, ausgeführt oder gescheitert, mit Ver- bannungen und Blut besiegelt wäre, reifte während zehn Jahren unablässigen männlichen Ringens, und hat kei- nem einzigen Bürger seinen Frieden gestört 35).
Einer so groß gedachten, so groß ausgeführten Un- ternehmung hat dennoch der Haß der unterliegenden Parthey elende weibliche Eitelkeit als Ursache angedich- tet. Freylich kann es nicht befremden, daß sie die ge- rechten Ansprüche eines längst der Kindheit entwachse- nen Standes auf Gleichheit als eine leidige Eitelkeit verschrie, wie sie ihre eigene Herrschsucht als pflicht- mäßige Erhaltung ererbter, ihren Nachkommen schuldi- ger Rechte angesehen haben wollte. Selbsttäuschung ist in solchen Fällen, wenn auch manchmal eine warnende Stimme im innersten Bewußtseyn redet, so begreiflich, daß der Unbefangene nicht hart über sie richten darf: aber er darf auch nicht zulassen daß ihr Urtheil als be- gründet gelte. Daß die Erzählung wie die beleidigte Eitelkeit der Gattin des C. Licinius Calvus Stolo ihn angetrieben habe die Verfassung umzuschaffen, für histo-
risch,
35) Doch Obst, das bald vom Baume gehet, Das taugt gemeiniglich nicht viel: Ich denke, wie's im Liede stehet, Laß fahren was nicht bleiben will. Opitz.
die einzigen Mittel nicht zu langwierig, welche, ohne Ge- walt und todte Ummodelung, ſondern frey und lebendig zum Ziele fuͤhrten. Eine Revolution die in griechiſchen Republiken oder in Florenz gewaltſam in wenigen Mona- ten unternommen, ausgefuͤhrt oder geſcheitert, mit Ver- bannungen und Blut beſiegelt waͤre, reifte waͤhrend zehn Jahren unablaͤſſigen maͤnnlichen Ringens, und hat kei- nem einzigen Buͤrger ſeinen Frieden geſtoͤrt 35).
Einer ſo groß gedachten, ſo groß ausgefuͤhrten Un- ternehmung hat dennoch der Haß der unterliegenden Parthey elende weibliche Eitelkeit als Urſache angedich- tet. Freylich kann es nicht befremden, daß ſie die ge- rechten Anſpruͤche eines laͤngſt der Kindheit entwachſe- nen Standes auf Gleichheit als eine leidige Eitelkeit verſchrie, wie ſie ihre eigene Herrſchſucht als pflicht- maͤßige Erhaltung ererbter, ihren Nachkommen ſchuldi- ger Rechte angeſehen haben wollte. Selbſttaͤuſchung iſt in ſolchen Faͤllen, wenn auch manchmal eine warnende Stimme im innerſten Bewußtſeyn redet, ſo begreiflich, daß der Unbefangene nicht hart uͤber ſie richten darf: aber er darf auch nicht zulaſſen daß ihr Urtheil als be- gruͤndet gelte. Daß die Erzaͤhlung wie die beleidigte Eitelkeit der Gattin des C. Licinius Calvus Stolo ihn angetrieben habe die Verfaſſung umzuſchaffen, fuͤr hiſto-
riſch,
35) Doch Obſt, das bald vom Baume gehet, Das taugt gemeiniglich nicht viel: Ich denke, wie’s im Liede ſtehet, Laß fahren was nicht bleiben will. Opitz.
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die einzigen Mittel nicht zu langwierig, welche, ohne Ge-
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zum Ziele fuͤhrten. Eine Revolution die in griechiſchen
Republiken oder in Florenz gewaltſam in wenigen Mona-
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bannungen und Blut beſiegelt waͤre, reifte waͤhrend zehn
Jahren unablaͤſſigen maͤnnlichen Ringens, und hat kei-
nem einzigen Buͤrger ſeinen Frieden geſtoͤrt 35).
Einer ſo groß gedachten, ſo groß ausgefuͤhrten Un-
ternehmung hat dennoch der Haß der unterliegenden
Parthey elende weibliche Eitelkeit als Urſache angedich-
tet. Freylich kann es nicht befremden, daß ſie die ge-
rechten Anſpruͤche eines laͤngſt der Kindheit entwachſe-
nen Standes auf Gleichheit als eine leidige Eitelkeit
verſchrie, wie ſie ihre eigene Herrſchſucht als pflicht-
maͤßige Erhaltung ererbter, ihren Nachkommen ſchuldi-
ger Rechte angeſehen haben wollte. Selbſttaͤuſchung iſt
in ſolchen Faͤllen, wenn auch manchmal eine warnende
Stimme im innerſten Bewußtſeyn redet, ſo begreiflich,
daß der Unbefangene nicht hart uͤber ſie richten darf:
aber er darf auch nicht zulaſſen daß ihr Urtheil als be-
gruͤndet gelte. Daß die Erzaͤhlung wie die beleidigte
Eitelkeit der Gattin des C. Licinius Calvus Stolo ihn
angetrieben habe die Verfaſſung umzuſchaffen, fuͤr hiſto-
riſch,
35) Doch Obſt, das bald vom Baume gehet,
Das taugt gemeiniglich nicht viel:
Ich denke, wie’s im Liede ſtehet,
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/352>, abgerufen am 22.11.2024.
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