Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

gelungen sey sie von der Führung der Heere auszu-
schließen, hätten plebejische Consulartribunen auf dem
nämlichen Boden gesiegt, der durch die verschuldete
Niederlage ihrer patricischen Vorgänger traurig gewor-
den war. Wer bey Allia dem Heer geboten habe? Und
im schlimmsten Fall biete die Verfassung selbst die Ret-
tung dar: durch die Dictatur, welche an keinen Stand
gebunden seyn solle. Denn auch aus den Plebejern wür-
den Männer erstehen die als Dictatoren ihr Vaterland ret-
ten, es nicht bedrohen, noch Waffen die für den Feind
bestimmt waren gegen die Bürger wenden würden.

Weise habe der römische Staat von Alters her gan-
zen Gemeinden die Civität verliehen um eine Bürgerschaft
zu einer großen Nation zu erweitern. Für höhere Zwecke
als seit der patricischen Alleinherrschaft gefaßt wären,
werde eine weit größere Ausdehnung dieses Systems noth-
wendig seyn. Könne man denn aber die verbürgerrechte-
ten Völker an das neue Vaterland mit Liebe binden wenn
ihrem Ritterstand alle Ehren versagt würden? Und wenn,
wie schon patricische Geschlechter ausgestorben wären,
ihre Zahl fortdauernd abnähme, wenn man die Plebejer
gewaltsam von allem edeln Emporstreben abhielte, ihre
Reichen zum Gelderwerb als Beschäftigung hinwiese, die
Erneuerung des ersten Standes durch reinitalische edle
Geschlechter hindere, wenn aufgenommene Freygelassene
den Stamm der Nation verfälschten, dürfe dann das
Maaß der Geistesgröße und Tugend der noch übrigen Pa-
tricier den Beruf der Republik bestimmen? Jede Erfah-
rung lehre daß Oligarchieen nicht schleuniger an Zahl als

gelungen ſey ſie von der Fuͤhrung der Heere auszu-
ſchließen, haͤtten plebejiſche Conſulartribunen auf dem
naͤmlichen Boden geſiegt, der durch die verſchuldete
Niederlage ihrer patriciſchen Vorgaͤnger traurig gewor-
den war. Wer bey Allia dem Heer geboten habe? Und
im ſchlimmſten Fall biete die Verfaſſung ſelbſt die Ret-
tung dar: durch die Dictatur, welche an keinen Stand
gebunden ſeyn ſolle. Denn auch aus den Plebejern wuͤr-
den Maͤnner erſtehen die als Dictatoren ihr Vaterland ret-
ten, es nicht bedrohen, noch Waffen die fuͤr den Feind
beſtimmt waren gegen die Buͤrger wenden wuͤrden.

Weiſe habe der roͤmiſche Staat von Alters her gan-
zen Gemeinden die Civitaͤt verliehen um eine Buͤrgerſchaft
zu einer großen Nation zu erweitern. Fuͤr hoͤhere Zwecke
als ſeit der patriciſchen Alleinherrſchaft gefaßt waͤren,
werde eine weit groͤßere Ausdehnung dieſes Syſtems noth-
wendig ſeyn. Koͤnne man denn aber die verbuͤrgerrechte-
ten Voͤlker an das neue Vaterland mit Liebe binden wenn
ihrem Ritterſtand alle Ehren verſagt wuͤrden? Und wenn,
wie ſchon patriciſche Geſchlechter ausgeſtorben waͤren,
ihre Zahl fortdauernd abnaͤhme, wenn man die Plebejer
gewaltſam von allem edeln Emporſtreben abhielte, ihre
Reichen zum Gelderwerb als Beſchaͤftigung hinwieſe, die
Erneuerung des erſten Standes durch reinitaliſche edle
Geſchlechter hindere, wenn aufgenommene Freygelaſſene
den Stamm der Nation verfaͤlſchten, duͤrfe dann das
Maaß der Geiſtesgroͤße und Tugend der noch uͤbrigen Pa-
tricier den Beruf der Republik beſtimmen? Jede Erfah-
rung lehre daß Oligarchieen nicht ſchleuniger an Zahl als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0361" n="345"/>
gelungen &#x017F;ey &#x017F;ie von der Fu&#x0364;hrung der Heere auszu-<lb/>
&#x017F;chließen, ha&#x0364;tten plebeji&#x017F;che Con&#x017F;ulartribunen auf dem<lb/>
na&#x0364;mlichen Boden ge&#x017F;iegt, der durch die ver&#x017F;chuldete<lb/>
Niederlage ihrer patrici&#x017F;chen Vorga&#x0364;nger traurig gewor-<lb/>
den war. Wer bey Allia dem Heer geboten habe? Und<lb/>
im &#x017F;chlimm&#x017F;ten Fall biete die Verfa&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;elb&#x017F;t die Ret-<lb/>
tung dar: durch die Dictatur, welche an keinen Stand<lb/>
gebunden &#x017F;eyn &#x017F;olle. Denn auch aus den Plebejern wu&#x0364;r-<lb/>
den Ma&#x0364;nner er&#x017F;tehen die als Dictatoren ihr Vaterland ret-<lb/>
ten, es nicht bedrohen, noch Waffen die fu&#x0364;r den Feind<lb/>
be&#x017F;timmt waren gegen die Bu&#x0364;rger wenden wu&#x0364;rden.</p><lb/>
        <p>Wei&#x017F;e habe der ro&#x0364;mi&#x017F;che Staat von Alters her gan-<lb/>
zen Gemeinden die Civita&#x0364;t verliehen um eine Bu&#x0364;rger&#x017F;chaft<lb/>
zu einer großen Nation zu erweitern. Fu&#x0364;r ho&#x0364;here Zwecke<lb/>
als &#x017F;eit der patrici&#x017F;chen Alleinherr&#x017F;chaft gefaßt wa&#x0364;ren,<lb/>
werde eine weit gro&#x0364;ßere Ausdehnung die&#x017F;es Sy&#x017F;tems noth-<lb/>
wendig &#x017F;eyn. Ko&#x0364;nne man denn aber die verbu&#x0364;rgerrechte-<lb/>
ten Vo&#x0364;lker an das neue Vaterland mit Liebe binden wenn<lb/>
ihrem Ritter&#x017F;tand alle Ehren ver&#x017F;agt wu&#x0364;rden? Und wenn,<lb/>
wie &#x017F;chon patrici&#x017F;che Ge&#x017F;chlechter ausge&#x017F;torben wa&#x0364;ren,<lb/>
ihre Zahl fortdauernd abna&#x0364;hme, wenn man die Plebejer<lb/>
gewalt&#x017F;am von allem edeln Empor&#x017F;treben abhielte, ihre<lb/>
Reichen zum Gelderwerb als Be&#x017F;cha&#x0364;ftigung hinwie&#x017F;e, die<lb/>
Erneuerung des er&#x017F;ten Standes durch reinitali&#x017F;che edle<lb/>
Ge&#x017F;chlechter hindere, wenn aufgenommene Freygela&#x017F;&#x017F;ene<lb/>
den Stamm der Nation verfa&#x0364;l&#x017F;chten, du&#x0364;rfe dann das<lb/>
Maaß der Gei&#x017F;tesgro&#x0364;ße und Tugend der noch u&#x0364;brigen Pa-<lb/>
tricier den Beruf der Republik be&#x017F;timmen? Jede Erfah-<lb/>
rung lehre daß Oligarchieen nicht &#x017F;chleuniger an Zahl als<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[345/0361] gelungen ſey ſie von der Fuͤhrung der Heere auszu- ſchließen, haͤtten plebejiſche Conſulartribunen auf dem naͤmlichen Boden geſiegt, der durch die verſchuldete Niederlage ihrer patriciſchen Vorgaͤnger traurig gewor- den war. Wer bey Allia dem Heer geboten habe? Und im ſchlimmſten Fall biete die Verfaſſung ſelbſt die Ret- tung dar: durch die Dictatur, welche an keinen Stand gebunden ſeyn ſolle. Denn auch aus den Plebejern wuͤr- den Maͤnner erſtehen die als Dictatoren ihr Vaterland ret- ten, es nicht bedrohen, noch Waffen die fuͤr den Feind beſtimmt waren gegen die Buͤrger wenden wuͤrden. Weiſe habe der roͤmiſche Staat von Alters her gan- zen Gemeinden die Civitaͤt verliehen um eine Buͤrgerſchaft zu einer großen Nation zu erweitern. Fuͤr hoͤhere Zwecke als ſeit der patriciſchen Alleinherrſchaft gefaßt waͤren, werde eine weit groͤßere Ausdehnung dieſes Syſtems noth- wendig ſeyn. Koͤnne man denn aber die verbuͤrgerrechte- ten Voͤlker an das neue Vaterland mit Liebe binden wenn ihrem Ritterſtand alle Ehren verſagt wuͤrden? Und wenn, wie ſchon patriciſche Geſchlechter ausgeſtorben waͤren, ihre Zahl fortdauernd abnaͤhme, wenn man die Plebejer gewaltſam von allem edeln Emporſtreben abhielte, ihre Reichen zum Gelderwerb als Beſchaͤftigung hinwieſe, die Erneuerung des erſten Standes durch reinitaliſche edle Geſchlechter hindere, wenn aufgenommene Freygelaſſene den Stamm der Nation verfaͤlſchten, duͤrfe dann das Maaß der Geiſtesgroͤße und Tugend der noch uͤbrigen Pa- tricier den Beruf der Republik beſtimmen? Jede Erfah- rung lehre daß Oligarchieen nicht ſchleuniger an Zahl als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/361
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/361>, abgerufen am 25.11.2024.