gesetze in Kraft gewesen seyn können. Jetzt erst können also auch die Strafbestimmungen gegen Wucherzinsen, ursprünglich zum Vortheil der Staatscasse, eingetreten seyn; und man muß dieses Gesetz gänzlich aus den Her- stellungen der zwölf Tafeln entfernen.
Ueber die Größe dieses Zinsfußes gelten zwey in einem vielleicht beyspiellosen Grade von einander abweichende Meinungen: neben ihnen und gegen sie muß ich eine dritte aufstellen. Jene beyden setzen gemeinschaftlich voraus daß die später in Rom unstreitig allein herrschende Zins- rechnung nach Monaten auch ursprünglich allein ge- bräuchlich gewesen sey: aber von hier weichen sie in das Entgegengesetzteste aus einander. Die Erklärung, welche die Centesima, das monatliche Procent, als die Einheit ansieht, deren Zwölftheil der gesetzliche Zinsfuß gewesen sey, rechnet diesen zu Eins vom Hundert im Jahr: die welche die Einheit, das As, im Capital sieht, von dem monatlich ein Zwölftheil stipulirt werden durfte, auf hun- dert Procent jährlich.
Diese letzte kann sich nur als Hypothese darbieten, denn ihr dient keine einzige Stelle weder als Zeugniß noch als Analogie: und anstatt innerer Wahrscheinlichkeit, die auch einer nicht unterstützten Hypothese das Wort reden kann, leidet sie vielmehr an der höchsten Unglaublichkeit. Ein solcher Zinsfuß hat in der ganzen Welt nie und nir- gends bestanden noch bestehen können. Denn wer aus Roth borgt, und so viel Eigenthum besitzt daß er dem Darleiher zahlungsfähig scheint, wird doch sein Eigen- thum noch mit weniger als funfzig Prozent Verlust ver-
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geſetze in Kraft geweſen ſeyn koͤnnen. Jetzt erſt koͤnnen alſo auch die Strafbeſtimmungen gegen Wucherzinſen, urſpruͤnglich zum Vortheil der Staatscaſſe, eingetreten ſeyn; und man muß dieſes Geſetz gaͤnzlich aus den Her- ſtellungen der zwoͤlf Tafeln entfernen.
Ueber die Groͤße dieſes Zinsfußes gelten zwey in einem vielleicht beyſpielloſen Grade von einander abweichende Meinungen: neben ihnen und gegen ſie muß ich eine dritte aufſtellen. Jene beyden ſetzen gemeinſchaftlich voraus daß die ſpaͤter in Rom unſtreitig allein herrſchende Zins- rechnung nach Monaten auch urſpruͤnglich allein ge- braͤuchlich geweſen ſey: aber von hier weichen ſie in das Entgegengeſetzteſte aus einander. Die Erklaͤrung, welche die Centesima, das monatliche Procent, als die Einheit anſieht, deren Zwoͤlftheil der geſetzliche Zinsfuß geweſen ſey, rechnet dieſen zu Eins vom Hundert im Jahr: die welche die Einheit, das As, im Capital ſieht, von dem monatlich ein Zwoͤlftheil ſtipulirt werden durfte, auf hun- dert Procent jaͤhrlich.
Dieſe letzte kann ſich nur als Hypotheſe darbieten, denn ihr dient keine einzige Stelle weder als Zeugniß noch als Analogie: und anſtatt innerer Wahrſcheinlichkeit, die auch einer nicht unterſtuͤtzten Hypotheſe das Wort reden kann, leidet ſie vielmehr an der hoͤchſten Unglaublichkeit. Ein ſolcher Zinsfuß hat in der ganzen Welt nie und nir- gends beſtanden noch beſtehen koͤnnen. Denn wer aus Roth borgt, und ſo viel Eigenthum beſitzt daß er dem Darleiher zahlungsfaͤhig ſcheint, wird doch ſein Eigen- thum noch mit weniger als funfzig Prozent Verluſt ver-
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geſetze in Kraft geweſen ſeyn koͤnnen. Jetzt erſt koͤnnen
alſo auch die Strafbeſtimmungen gegen Wucherzinſen,
urſpruͤnglich zum Vortheil der Staatscaſſe, eingetreten
ſeyn; und man muß dieſes Geſetz gaͤnzlich aus den Her-
ſtellungen der zwoͤlf Tafeln entfernen.
Ueber die Groͤße dieſes Zinsfußes gelten zwey in einem
vielleicht beyſpielloſen Grade von einander abweichende
Meinungen: neben ihnen und gegen ſie muß ich eine dritte
aufſtellen. Jene beyden ſetzen gemeinſchaftlich voraus
daß die ſpaͤter in Rom unſtreitig allein herrſchende Zins-
rechnung nach Monaten auch urſpruͤnglich allein ge-
braͤuchlich geweſen ſey: aber von hier weichen ſie in das
Entgegengeſetzteſte aus einander. Die Erklaͤrung, welche
die Centesima, das monatliche Procent, als die Einheit
anſieht, deren Zwoͤlftheil der geſetzliche Zinsfuß geweſen
ſey, rechnet dieſen zu Eins vom Hundert im Jahr: die
welche die Einheit, das As, im Capital ſieht, von dem
monatlich ein Zwoͤlftheil ſtipulirt werden durfte, auf hun-
dert Procent jaͤhrlich.
Dieſe letzte kann ſich nur als Hypotheſe darbieten,
denn ihr dient keine einzige Stelle weder als Zeugniß noch
als Analogie: und anſtatt innerer Wahrſcheinlichkeit, die
auch einer nicht unterſtuͤtzten Hypotheſe das Wort reden
kann, leidet ſie vielmehr an der hoͤchſten Unglaublichkeit.
Ein ſolcher Zinsfuß hat in der ganzen Welt nie und nir-
gends beſtanden noch beſtehen koͤnnen. Denn wer aus
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/448>, abgerufen am 22.11.2024.
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