neswegs so unzulässig erscheinen darf als ihn Livius schildert. So weit seine Erzählung uns für historisch gelten kann, unternahmen die Römer, um einen Vor- wand des Kriegs gegen die Latiner zu haben, die Ver- mittelung zwischen ihnen und den Samnitern. Latini- sche Gesandte, und selbst die beyden Prätoren des Bun- des begaben sich nach Rom, wo ihnen der Senat auf dem Capitol Gehör gab. Diese Gesandten erklärten im Nahmen ihrer Nation: Sie sähen wohl ein daß das von den Vorvätern ererbte Verhältniß nicht mehr auf die jetzigen Umstände anwendbar sey, und daß es sich durch Krieg oder Vertrag ändern müsse. Sie wären bereit Roms Vorrang anzuerkennen, und den gemein- schaftlichen Nahmen ihres Landes mit dem der ersten unter allen latinischen Städten zu vertauschen. Der römische Nahme möge statt des latinischen herrschen. Aber seiner Würde und Freiheit etwas zu vergeben, sey Latium so wenig genöthigt als geneigt, jetzt da es das Haupt aller umwohnenden Völker sey. Es gebe nur eine wahre Verbindung zweyer Völker, in gemein- schaftlicher Regierung und völliger Gleichheit. Rom und Latium möchten zu einer Nation zusammentreten: die Hälfte des Senats aus Latinern bestehen, und ein Consul aus Latium erwählt werden. -- In dem Sinn dieses Antrags war nothwendig enthalten daß die Zahl der römischen Tribus -- es waren ihrer damals sieben und zwanzig -- durch eben so viele latinische vermehrt, und die Theilnahme an den Magistraturen auf jede die zwiefache Stellen hatte ausgedehnt, alle andern, durch
neswegs ſo unzulaͤſſig erſcheinen darf als ihn Livius ſchildert. So weit ſeine Erzaͤhlung uns fuͤr hiſtoriſch gelten kann, unternahmen die Roͤmer, um einen Vor- wand des Kriegs gegen die Latiner zu haben, die Ver- mittelung zwiſchen ihnen und den Samnitern. Latini- ſche Geſandte, und ſelbſt die beyden Praͤtoren des Bun- des begaben ſich nach Rom, wo ihnen der Senat auf dem Capitol Gehoͤr gab. Dieſe Geſandten erklaͤrten im Nahmen ihrer Nation: Sie ſaͤhen wohl ein daß das von den Vorvaͤtern ererbte Verhaͤltniß nicht mehr auf die jetzigen Umſtaͤnde anwendbar ſey, und daß es ſich durch Krieg oder Vertrag aͤndern muͤſſe. Sie waͤren bereit Roms Vorrang anzuerkennen, und den gemein- ſchaftlichen Nahmen ihres Landes mit dem der erſten unter allen latiniſchen Staͤdten zu vertauſchen. Der roͤmiſche Nahme moͤge ſtatt des latiniſchen herrſchen. Aber ſeiner Wuͤrde und Freiheit etwas zu vergeben, ſey Latium ſo wenig genoͤthigt als geneigt, jetzt da es das Haupt aller umwohnenden Voͤlker ſey. Es gebe nur eine wahre Verbindung zweyer Voͤlker, in gemein- ſchaftlicher Regierung und voͤlliger Gleichheit. Rom und Latium moͤchten zu einer Nation zuſammentreten: die Haͤlfte des Senats aus Latinern beſtehen, und ein Conſul aus Latium erwaͤhlt werden. — In dem Sinn dieſes Antrags war nothwendig enthalten daß die Zahl der roͤmiſchen Tribus — es waren ihrer damals ſieben und zwanzig — durch eben ſo viele latiniſche vermehrt, und die Theilnahme an den Magiſtraturen auf jede die zwiefache Stellen hatte ausgedehnt, alle andern, durch
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neswegs ſo unzulaͤſſig erſcheinen darf als ihn Livius
ſchildert. So weit ſeine Erzaͤhlung uns fuͤr hiſtoriſch
gelten kann, unternahmen die Roͤmer, um einen Vor-
wand des Kriegs gegen die Latiner zu haben, die Ver-
mittelung zwiſchen ihnen und den Samnitern. Latini-
ſche Geſandte, und ſelbſt die beyden Praͤtoren des Bun-
des begaben ſich nach Rom, wo ihnen der Senat auf
dem Capitol Gehoͤr gab. Dieſe Geſandten erklaͤrten im
Nahmen ihrer Nation: Sie ſaͤhen wohl ein daß das
von den Vorvaͤtern ererbte Verhaͤltniß nicht mehr auf
die jetzigen Umſtaͤnde anwendbar ſey, und daß es ſich
durch Krieg oder Vertrag aͤndern muͤſſe. Sie waͤren
bereit Roms Vorrang anzuerkennen, und den gemein-
ſchaftlichen Nahmen ihres Landes mit dem der erſten
unter allen latiniſchen Staͤdten zu vertauſchen. Der
roͤmiſche Nahme moͤge ſtatt des latiniſchen herrſchen.
Aber ſeiner Wuͤrde und Freiheit etwas zu vergeben,
ſey Latium ſo wenig genoͤthigt als geneigt, jetzt da es
das Haupt aller umwohnenden Voͤlker ſey. Es gebe
nur eine wahre Verbindung zweyer Voͤlker, in gemein-
ſchaftlicher Regierung und voͤlliger Gleichheit. Rom
und Latium moͤchten zu einer Nation zuſammentreten:
die Haͤlfte des Senats aus Latinern beſtehen, und ein
Conſul aus Latium erwaͤhlt werden. — In dem Sinn
dieſes Antrags war nothwendig enthalten daß die Zahl
der roͤmiſchen Tribus — es waren ihrer damals ſieben
und zwanzig — durch eben ſo viele latiniſche vermehrt,
und die Theilnahme an den Magiſtraturen auf jede die
zwiefache Stellen hatte ausgedehnt, alle andern, durch
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/524>, abgerufen am 22.11.2024.
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