Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
1.
Romulus, Aeneas Enkel.

Nävius und Ennius wußten nichts von albanischen
Vorfahren der Gründer der Stadt: Ilia, auch bey die-
sen Dichtern ihre Mutter, war, nach ihnen, Aeneas Toch-
ter. Ennius erzählte, Amulius von Alba habe sie in den
Strohm stürzen lassen: es ist ungewiß ob er die Tiber oder
den Anio nannte: der Flußgott habe sie errettet und sich
vermählt. (Servius, ergänzt aus dem Cod. Fuld. ad
Aeneid. I. v.
274. und VI. v. 778. Schol. zu Horaz
Carm. I. 2. Auch erklärt sich hieraus in dem Enniani-
schen Fragm. p. 124. ed. Hessel. Post ex fluvio for-
tuna resistet.
) Sonst aber fand sich in seinem Gedicht
die einheimische Sage von der Knaben göttlicher Erzeu-
gung und wunderbarer Ernährung (Serv. ad Aeneid.
VIII. v.
630.); und diese scheint so unzweydeutig allgemei-
ner Nationalglaube gewesen zu seyn, daß man jener ande-
ren römischen Erzählung (bey Dionysius I. c. 73.) ohne
Bedenken den Charakter der Aechtheit und des Alterthums
absprechen kann, welche Romulus und Remus zwar auch,
der Chronologie zum Trotz, an Aeneas Zeit, als seine
Enkel, hinaufrückt, aber von ihnen nichts als prosaische
Historie weiß.

Jene Poeten des sechsten Jahrhunderts, besonders
Ennius, ein Halbgrieche und gar kein Fremdling in der
Litteratur, hätten wohl leicht die einheimischen Sagen zur
Uebereinstimmung mit der Chronologie des Eratosthenes
und Timäus gekünstelt: daß sie von ihr sich entfernt haben

1.
Romulus, Aeneas Enkel.

Naͤvius und Ennius wußten nichts von albaniſchen
Vorfahren der Gruͤnder der Stadt: Ilia, auch bey die-
ſen Dichtern ihre Mutter, war, nach ihnen, Aeneas Toch-
ter. Ennius erzaͤhlte, Amulius von Alba habe ſie in den
Strohm ſtuͤrzen laſſen: es iſt ungewiß ob er die Tiber oder
den Anio nannte: der Flußgott habe ſie errettet und ſich
vermaͤhlt. (Servius, ergaͤnzt aus dem Cod. Fuld. ad
Aeneid. I. v.
274. und VI. v. 778. Schol. zu Horaz
Carm. I. 2. Auch erklaͤrt ſich hieraus in dem Enniani-
ſchen Fragm. p. 124. ed. Hessel. Post ex fluvio for-
tuna resistet.
) Sonſt aber fand ſich in ſeinem Gedicht
die einheimiſche Sage von der Knaben goͤttlicher Erzeu-
gung und wunderbarer Ernaͤhrung (Serv. ad Aeneid.
VIII. v.
630.); und dieſe ſcheint ſo unzweydeutig allgemei-
ner Nationalglaube geweſen zu ſeyn, daß man jener ande-
ren roͤmiſchen Erzaͤhlung (bey Dionyſius I. c. 73.) ohne
Bedenken den Charakter der Aechtheit und des Alterthums
abſprechen kann, welche Romulus und Remus zwar auch,
der Chronologie zum Trotz, an Aeneas Zeit, als ſeine
Enkel, hinaufruͤckt, aber von ihnen nichts als proſaiſche
Hiſtorie weiß.

Jene Poeten des ſechſten Jahrhunderts, beſonders
Ennius, ein Halbgrieche und gar kein Fremdling in der
Litteratur, haͤtten wohl leicht die einheimiſchen Sagen zur
Uebereinſtimmung mit der Chronologie des Eratoſthenes
und Timaͤus gekuͤnſtelt: daß ſie von ihr ſich entfernt haben

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0542" n="526"/>
          <div n="3">
            <head>1.<lb/><hi rendition="#g">Romulus, Aeneas Enkel</hi>.</head><lb/>
            <p>Na&#x0364;vius und Ennius wußten nichts von albani&#x017F;chen<lb/>
Vorfahren der Gru&#x0364;nder der Stadt: Ilia, auch bey die-<lb/>
&#x017F;en Dichtern ihre Mutter, war, nach ihnen, Aeneas Toch-<lb/>
ter. Ennius erza&#x0364;hlte, Amulius von Alba habe &#x017F;ie in den<lb/>
Strohm &#x017F;tu&#x0364;rzen la&#x017F;&#x017F;en: es i&#x017F;t ungewiß ob er die Tiber oder<lb/>
den Anio nannte: der Flußgott habe &#x017F;ie errettet und &#x017F;ich<lb/>
verma&#x0364;hlt. (Servius, erga&#x0364;nzt aus dem <hi rendition="#aq">Cod. Fuld. ad<lb/>
Aeneid. I. v.</hi> 274. und <hi rendition="#aq">VI. v.</hi> 778. Schol. zu Horaz<lb/><hi rendition="#aq">Carm. I.</hi> 2. Auch erkla&#x0364;rt &#x017F;ich hieraus in dem Enniani-<lb/>
&#x017F;chen Fragm. <hi rendition="#aq">p.</hi> 124. <hi rendition="#aq">ed. Hessel. Post <hi rendition="#i">ex fluvio</hi> for-<lb/>
tuna resistet.</hi>) Son&#x017F;t aber fand &#x017F;ich in &#x017F;einem Gedicht<lb/>
die einheimi&#x017F;che Sage von der Knaben go&#x0364;ttlicher Erzeu-<lb/>
gung und wunderbarer Erna&#x0364;hrung (Serv. <hi rendition="#aq">ad Aeneid.<lb/>
VIII. v.</hi> 630.); und die&#x017F;e &#x017F;cheint &#x017F;o unzweydeutig allgemei-<lb/>
ner Nationalglaube gewe&#x017F;en zu &#x017F;eyn, daß man jener ande-<lb/>
ren ro&#x0364;mi&#x017F;chen Erza&#x0364;hlung (bey Diony&#x017F;ius <hi rendition="#aq">I. c.</hi> 73.) ohne<lb/>
Bedenken den Charakter der Aechtheit und des Alterthums<lb/>
ab&#x017F;prechen kann, welche Romulus und Remus zwar auch,<lb/>
der Chronologie zum Trotz, an Aeneas Zeit, als &#x017F;eine<lb/>
Enkel, hinaufru&#x0364;ckt, aber von ihnen nichts als pro&#x017F;ai&#x017F;che<lb/>
Hi&#x017F;torie weiß.</p><lb/>
            <p>Jene Poeten des &#x017F;ech&#x017F;ten Jahrhunderts, be&#x017F;onders<lb/>
Ennius, ein Halbgrieche und gar kein Fremdling in der<lb/>
Litteratur, ha&#x0364;tten wohl leicht die einheimi&#x017F;chen Sagen zur<lb/>
Ueberein&#x017F;timmung mit der Chronologie des Erato&#x017F;thenes<lb/>
und Tima&#x0364;us geku&#x0364;n&#x017F;telt: daß &#x017F;ie von ihr &#x017F;ich entfernt haben<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[526/0542] 1. Romulus, Aeneas Enkel. Naͤvius und Ennius wußten nichts von albaniſchen Vorfahren der Gruͤnder der Stadt: Ilia, auch bey die- ſen Dichtern ihre Mutter, war, nach ihnen, Aeneas Toch- ter. Ennius erzaͤhlte, Amulius von Alba habe ſie in den Strohm ſtuͤrzen laſſen: es iſt ungewiß ob er die Tiber oder den Anio nannte: der Flußgott habe ſie errettet und ſich vermaͤhlt. (Servius, ergaͤnzt aus dem Cod. Fuld. ad Aeneid. I. v. 274. und VI. v. 778. Schol. zu Horaz Carm. I. 2. Auch erklaͤrt ſich hieraus in dem Enniani- ſchen Fragm. p. 124. ed. Hessel. Post ex fluvio for- tuna resistet.) Sonſt aber fand ſich in ſeinem Gedicht die einheimiſche Sage von der Knaben goͤttlicher Erzeu- gung und wunderbarer Ernaͤhrung (Serv. ad Aeneid. VIII. v. 630.); und dieſe ſcheint ſo unzweydeutig allgemei- ner Nationalglaube geweſen zu ſeyn, daß man jener ande- ren roͤmiſchen Erzaͤhlung (bey Dionyſius I. c. 73.) ohne Bedenken den Charakter der Aechtheit und des Alterthums abſprechen kann, welche Romulus und Remus zwar auch, der Chronologie zum Trotz, an Aeneas Zeit, als ſeine Enkel, hinaufruͤckt, aber von ihnen nichts als proſaiſche Hiſtorie weiß. Jene Poeten des ſechſten Jahrhunderts, beſonders Ennius, ein Halbgrieche und gar kein Fremdling in der Litteratur, haͤtten wohl leicht die einheimiſchen Sagen zur Uebereinſtimmung mit der Chronologie des Eratoſthenes und Timaͤus gekuͤnſtelt: daß ſie von ihr ſich entfernt haben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/542
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 526. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/542>, abgerufen am 22.11.2024.