den Begriff des unmittelbar vorliegenden hinauszugehen. Das Zeitalter worin Glossatoren entstehen konnten welche die Rechtsbücher durch unaufhörliche Vergleichungen aus sich selbst erklärten, hatte den entscheidenden Schritt aus der Barbarey gethan, und stand schon in der Geistesfrey- heit wovon Italien zur Poesie und zu den Wundern der Künste fortgehen konnte.
Ein mündlicher Unterricht erhielt sich noch über die Agrimensur in jenem Elend der Barbarey, und für den wurden kürzere Werke gebraucht. Nicht zusammengezo- gene Systeme, denn das Zeitalter hatte kein Bedürfniß für sie, sondern Werke worin ein Theil des zu lehrenden vor- kam. Mündliche Tradition mochte einiges ergänzen was sich nicht in ihnen fand. Gerade so stand es mit dem Recht.
Damals ist der Auszug jener alten Sammlung ver- faßt worden welchen wir haben. Die Zunft der Landmes- ser dauerte fort, ihre Kunst ward in allen Theilen Ita- liens gebraucht welche der griechischen Herrschaft und den römischen Gesetzen unterworfen blieben. Die Untertha- nen der Longobarden verlohren freylich nicht nur ihre Ge- setze, sondern der Vertilgungskrieg übertrug fast allent- halben das Eigenthum an Barbaren die sich neue Grän- zen setzten. Aber das Exarchat, das römische Gebiet, ein großer Theil von Süditalien und Sicilien blieben in der Verfassung die sie unter Justinian empfangen hatten.
Die rohe Unwissenheit der Zeit ist sichtbar in jedem Theil der Sammlung. Ihr Verfasser muß ein sehr ver- worrenes Exemplar vor sich gehabt haben, worin Blät- ter der verschiedensten Tractate vermischt waren, andere
den Begriff des unmittelbar vorliegenden hinauszugehen. Das Zeitalter worin Gloſſatoren entſtehen konnten welche die Rechtsbuͤcher durch unaufhoͤrliche Vergleichungen aus ſich ſelbſt erklaͤrten, hatte den entſcheidenden Schritt aus der Barbarey gethan, und ſtand ſchon in der Geiſtesfrey- heit wovon Italien zur Poeſie und zu den Wundern der Kuͤnſte fortgehen konnte.
Ein muͤndlicher Unterricht erhielt ſich noch uͤber die Agrimenſur in jenem Elend der Barbarey, und fuͤr den wurden kuͤrzere Werke gebraucht. Nicht zuſammengezo- gene Syſteme, denn das Zeitalter hatte kein Beduͤrfniß fuͤr ſie, ſondern Werke worin ein Theil des zu lehrenden vor- kam. Muͤndliche Tradition mochte einiges ergaͤnzen was ſich nicht in ihnen fand. Gerade ſo ſtand es mit dem Recht.
Damals iſt der Auszug jener alten Sammlung ver- faßt worden welchen wir haben. Die Zunft der Landmeſ- ſer dauerte fort, ihre Kunſt ward in allen Theilen Ita- liens gebraucht welche der griechiſchen Herrſchaft und den roͤmiſchen Geſetzen unterworfen blieben. Die Untertha- nen der Longobarden verlohren freylich nicht nur ihre Ge- ſetze, ſondern der Vertilgungskrieg uͤbertrug faſt allent- halben das Eigenthum an Barbaren die ſich neue Graͤn- zen ſetzten. Aber das Exarchat, das roͤmiſche Gebiet, ein großer Theil von Suͤditalien und Sicilien blieben in der Verfaſſung die ſie unter Juſtinian empfangen hatten.
Die rohe Unwiſſenheit der Zeit iſt ſichtbar in jedem Theil der Sammlung. Ihr Verfaſſer muß ein ſehr ver- worrenes Exemplar vor ſich gehabt haben, worin Blaͤt- ter der verſchiedenſten Tractate vermiſcht waren, andere
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den Begriff des unmittelbar vorliegenden hinauszugehen.
Das Zeitalter worin Gloſſatoren entſtehen konnten welche
die Rechtsbuͤcher durch unaufhoͤrliche Vergleichungen aus
ſich ſelbſt erklaͤrten, hatte den entſcheidenden Schritt aus
der Barbarey gethan, und ſtand ſchon in der Geiſtesfrey-
heit wovon Italien zur Poeſie und zu den Wundern der
Kuͤnſte fortgehen konnte.
Ein muͤndlicher Unterricht erhielt ſich noch uͤber die
Agrimenſur in jenem Elend der Barbarey, und fuͤr den
wurden kuͤrzere Werke gebraucht. Nicht zuſammengezo-
gene Syſteme, denn das Zeitalter hatte kein Beduͤrfniß fuͤr
ſie, ſondern Werke worin ein Theil des zu lehrenden vor-
kam. Muͤndliche Tradition mochte einiges ergaͤnzen was
ſich nicht in ihnen fand. Gerade ſo ſtand es mit dem Recht.
Damals iſt der Auszug jener alten Sammlung ver-
faßt worden welchen wir haben. Die Zunft der Landmeſ-
ſer dauerte fort, ihre Kunſt ward in allen Theilen Ita-
liens gebraucht welche der griechiſchen Herrſchaft und den
roͤmiſchen Geſetzen unterworfen blieben. Die Untertha-
nen der Longobarden verlohren freylich nicht nur ihre Ge-
ſetze, ſondern der Vertilgungskrieg uͤbertrug faſt allent-
halben das Eigenthum an Barbaren die ſich neue Graͤn-
zen ſetzten. Aber das Exarchat, das roͤmiſche Gebiet, ein
großer Theil von Suͤditalien und Sicilien blieben in der
Verfaſſung die ſie unter Juſtinian empfangen hatten.
Die rohe Unwiſſenheit der Zeit iſt ſichtbar in jedem
Theil der Sammlung. Ihr Verfaſſer muß ein ſehr ver-
worrenes Exemplar vor ſich gehabt haben, worin Blaͤt-
ter der verſchiedenſten Tractate vermiſcht waren, andere
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 538. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/554>, abgerufen am 23.11.2024.
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