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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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ten, waren weitläuftige Werke eine unnütze und beschwer-
liche Last. Ein Zeitalter welches keine tüchtige Schriften
hervorbringen kann, vermag auch nicht Bücher zu lesen.
So war es damals: es ist als ob die Fähigkeit zu ergrün-
den und zu entwickeln in jenen unglücklichen Jahrhunder-
ten ganz verschwunden gewesen wäre. In dem geheim-
nißvollen Würken des Geistes welches im Lauf des Lebens
die Gedankenwelt schafft die unser eigentlicher Reichthum
ist, können wir wenigstens die lebensvollen, vor dem an-
schauenden Nachsinnen aufkeimenden und sich entfaltenden
Ideen, sey es daß wir sie unmittelbar bilden oder daß sie
von Andern auf uns hinübergehen, von denen sehr be-
stimmt unterscheiden welche leblos, nur unter der äußern
Hülle der sie bezeichnenden Worte, bestehen. Wie nun
die Gewohnheit die Ideen von der äußeren Seite zu be-
handeln die Kraft ihr Leben zu wecken gefährdet, und so-
fern das Wortgedächtniß nicht mit Unrecht als bedenklich
verrufen ist, so giebt es Nationen und Zeitalter welche
nur einer äußerlichen Verbindung derselben fähig sind:
denen ihre Belebung versagt zu seyn scheint. Man muß
dies von den Morgenländern eingestehen, und es ist eben
so gewiß von den Jahrhunderten welche vom Verfall
Roms bis zur Wiederbelebung Italiens verflossen. Das
zeigt sich in den zeichnenden Künsten, welche, mit einer
merkwürdigen Uebereinstimmung zwischen den Gestalten
der Kunstwerke jener Zeit und denen welche noch jetzt die
persischen und indischen Mahler hervorbringen, auch bey
sorgfältiger Behandlung leblos und unnatürlich sind: es
zeigt sich in der Unfähigkeit in den Wissenschaften über

ten, waren weitlaͤuftige Werke eine unnuͤtze und beſchwer-
liche Laſt. Ein Zeitalter welches keine tuͤchtige Schriften
hervorbringen kann, vermag auch nicht Buͤcher zu leſen.
So war es damals: es iſt als ob die Faͤhigkeit zu ergruͤn-
den und zu entwickeln in jenen ungluͤcklichen Jahrhunder-
ten ganz verſchwunden geweſen waͤre. In dem geheim-
nißvollen Wuͤrken des Geiſtes welches im Lauf des Lebens
die Gedankenwelt ſchafft die unſer eigentlicher Reichthum
iſt, koͤnnen wir wenigſtens die lebensvollen, vor dem an-
ſchauenden Nachſinnen aufkeimenden und ſich entfaltenden
Ideen, ſey es daß wir ſie unmittelbar bilden oder daß ſie
von Andern auf uns hinuͤbergehen, von denen ſehr be-
ſtimmt unterſcheiden welche leblos, nur unter der aͤußern
Huͤlle der ſie bezeichnenden Worte, beſtehen. Wie nun
die Gewohnheit die Ideen von der aͤußeren Seite zu be-
handeln die Kraft ihr Leben zu wecken gefaͤhrdet, und ſo-
fern das Wortgedaͤchtniß nicht mit Unrecht als bedenklich
verrufen iſt, ſo giebt es Nationen und Zeitalter welche
nur einer aͤußerlichen Verbindung derſelben faͤhig ſind:
denen ihre Belebung verſagt zu ſeyn ſcheint. Man muß
dies von den Morgenlaͤndern eingeſtehen, und es iſt eben
ſo gewiß von den Jahrhunderten welche vom Verfall
Roms bis zur Wiederbelebung Italiens verfloſſen. Das
zeigt ſich in den zeichnenden Kuͤnſten, welche, mit einer
merkwuͤrdigen Uebereinſtimmung zwiſchen den Geſtalten
der Kunſtwerke jener Zeit und denen welche noch jetzt die
perſiſchen und indiſchen Mahler hervorbringen, auch bey
ſorgfaͤltiger Behandlung leblos und unnatuͤrlich ſind: es
zeigt ſich in der Unfaͤhigkeit in den Wiſſenſchaften uͤber

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[537/0553] ten, waren weitlaͤuftige Werke eine unnuͤtze und beſchwer- liche Laſt. Ein Zeitalter welches keine tuͤchtige Schriften hervorbringen kann, vermag auch nicht Buͤcher zu leſen. So war es damals: es iſt als ob die Faͤhigkeit zu ergruͤn- den und zu entwickeln in jenen ungluͤcklichen Jahrhunder- ten ganz verſchwunden geweſen waͤre. In dem geheim- nißvollen Wuͤrken des Geiſtes welches im Lauf des Lebens die Gedankenwelt ſchafft die unſer eigentlicher Reichthum iſt, koͤnnen wir wenigſtens die lebensvollen, vor dem an- ſchauenden Nachſinnen aufkeimenden und ſich entfaltenden Ideen, ſey es daß wir ſie unmittelbar bilden oder daß ſie von Andern auf uns hinuͤbergehen, von denen ſehr be- ſtimmt unterſcheiden welche leblos, nur unter der aͤußern Huͤlle der ſie bezeichnenden Worte, beſtehen. Wie nun die Gewohnheit die Ideen von der aͤußeren Seite zu be- handeln die Kraft ihr Leben zu wecken gefaͤhrdet, und ſo- fern das Wortgedaͤchtniß nicht mit Unrecht als bedenklich verrufen iſt, ſo giebt es Nationen und Zeitalter welche nur einer aͤußerlichen Verbindung derſelben faͤhig ſind: denen ihre Belebung verſagt zu ſeyn ſcheint. Man muß dies von den Morgenlaͤndern eingeſtehen, und es iſt eben ſo gewiß von den Jahrhunderten welche vom Verfall Roms bis zur Wiederbelebung Italiens verfloſſen. Das zeigt ſich in den zeichnenden Kuͤnſten, welche, mit einer merkwuͤrdigen Uebereinſtimmung zwiſchen den Geſtalten der Kunſtwerke jener Zeit und denen welche noch jetzt die perſiſchen und indiſchen Mahler hervorbringen, auch bey ſorgfaͤltiger Behandlung leblos und unnatuͤrlich ſind: es zeigt ſich in der Unfaͤhigkeit in den Wiſſenſchaften uͤber

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/553>, abgerufen am 22.11.2024.