Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790.guter Wille mit der möglichsten Anwendung der von So wird es doch auch mir nicht unmöglich und F 5
guter Wille mit der möglichſten Anwendung der von So wird es doch auch mir nicht unmöglich und F 5
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0105" n="89[101]"/> guter Wille mit der möglichſten Anwendung der von<lb/> Gott verliehnen Kräfte vermag. Hat er nicht auch<lb/> lernen müſſen? Iſt er nicht als Kind geboren, als<lb/> Knabe herangewachſen, als Jüngling allen Gefahren<lb/> dieſer Jahre ausgeſetzt geweſen, und hat auf eben<lb/> den Stufen, die vor mir lagen, oder noch liegen,<lb/> das reifere Alter erreicht? Wird es ihm immer leicht<lb/> geweſen ſeyn, das, was Recht und Gut war, dem,<lb/> was ſchmeichelte und gefiel, vorzuziehen? Wird er<lb/> nie Ermüdung geſühlt, nie mit ſeiner Natur ge-<lb/> kämpft haben? Hat er nicht an Leiden Gehorſam<lb/> gelernt und iſt <hi rendition="#fr">ſo</hi> vollendet?</p><lb/> <p>So wird es doch auch mir nicht unmöglich<lb/> ſeyn, der ein ſolches Muſter vor ſich hat, — dem<lb/> Gott ſo viel Aufmunterung gab, — dem er ſo viel<lb/> Beyſtand verſpricht. Was kann ich nicht werden,<lb/> wenn ſeine memand verſagte Kraft mich unterſtützt,<lb/> und ich allen meinen Fleiß daran thue, dieſem grof-<lb/> ſen Vorbilde deſſen, der die Menſchheit ſo hoch<lb/> geehrt hat, nachzuſtreben? Wie kann ſich in mir<lb/> Schwäche in Kraft, Ohnmacht in Stärke verwan-<lb/> deln, wenn ich nicht vorſetzlich der kleine, unver-<lb/> mögende, ſinnliche, allen ſeinen Trieben nachge-<lb/> bende Menſch bleiben, ſondern, wie es meinem<lb/> beſſern edlern Theil zukömmt, mich ſelbſt beherrſchen<lb/> <fw place="bottom" type="sig">F 5</fw><fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [89[101]/0105]
guter Wille mit der möglichſten Anwendung der von
Gott verliehnen Kräfte vermag. Hat er nicht auch
lernen müſſen? Iſt er nicht als Kind geboren, als
Knabe herangewachſen, als Jüngling allen Gefahren
dieſer Jahre ausgeſetzt geweſen, und hat auf eben
den Stufen, die vor mir lagen, oder noch liegen,
das reifere Alter erreicht? Wird es ihm immer leicht
geweſen ſeyn, das, was Recht und Gut war, dem,
was ſchmeichelte und gefiel, vorzuziehen? Wird er
nie Ermüdung geſühlt, nie mit ſeiner Natur ge-
kämpft haben? Hat er nicht an Leiden Gehorſam
gelernt und iſt ſo vollendet?
So wird es doch auch mir nicht unmöglich
ſeyn, der ein ſolches Muſter vor ſich hat, — dem
Gott ſo viel Aufmunterung gab, — dem er ſo viel
Beyſtand verſpricht. Was kann ich nicht werden,
wenn ſeine memand verſagte Kraft mich unterſtützt,
und ich allen meinen Fleiß daran thue, dieſem grof-
ſen Vorbilde deſſen, der die Menſchheit ſo hoch
geehrt hat, nachzuſtreben? Wie kann ſich in mir
Schwäche in Kraft, Ohnmacht in Stärke verwan-
deln, wenn ich nicht vorſetzlich der kleine, unver-
mögende, ſinnliche, allen ſeinen Trieben nachge-
bende Menſch bleiben, ſondern, wie es meinem
beſſern edlern Theil zukömmt, mich ſelbſt beherrſchen
und
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